Die Verhandlungen wurden heute schon drei Mal nach hinten verschoben - ein erster Durchbruch konnte bei der Höhe der Corona-Hilfen erzielt werden.
Brüssel. Eigentlich sollte der EU-Gipfel nur am Freitag und Samstag stattfinden, doch die Marathonverhandlungen hielten bis Montag an. Bereits in der Nacht auf Sonntag wurde lange verhandelt - auch am Montag droht wieder eine Nacht-Schlacht um die Gelder des Corona-Wiederaufbaues. Zunächst war eine Fortsetzung um 14 Uhr geplant, aber der Termin wurde drei Mal verschoben.
Nach zahlreichen Verschiebungen wurden die Verhandlungen um 18.00 Uhr (MESZ) fortgesetzt. Während der spanische Ministerpräsident Sanchez auf eine Entscheidung in den kommenden Stunden hofft, zeigen sich Insider weniger optimistisch. Es laufe wohl auf eine nächste Nacht-Schlacht hinaus.
Nach einer Reihe von Zugeständnissen an die "sparsamen" Länder und sehr heftigen Diskussionen scheint eine Einigung zum Corona-Wiederaufbaupaket am vierten Tag des EU-Gipfels aber zumindest in Reichweite. Es gebe einen "Rahmen für eine mögliche Einigung", sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Montag in Brüssel. Es werde aber "nicht einfach werden".
Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der niederländische Premier Mark Rutte und der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez äußerten am Montag die Hoffnung auf eine Einigung. Die Staats- und Regierungschefs verhandeln seit Freitag über den Wiederaufbauplan für die Bewältigung der Coronakrise, für den 750 Milliarden Euro schwerer schuldenfinanzierter Aufbaufonds geschaffen und das nächste EU-Budget auf 1.074 Milliarden Euro aufgestockt werden soll.
Erster Durchbruch: Einigung auf 390 Milliarden Corona-Zuschüsse
Merkel sprach am vierten Gipfel-Tag von "unglaublich harten Verhandlungen". Es sei aber gelungen, "hier doch einen beträchtlichen Teil an Zuschüssen zu vereinbaren", sagte sie, ohne Zahlen zu nennen. Der Widerstand von Österreich, Schweden, Dänemark, Finnland und den Niederlanden gegen die Vergabe der Corona-Hilfen als nicht-rückzahlbare Zuschüsse galt bisher als Knackpunkt in den Verhandlungen.
Die Regierungschefs Österreichs und der Niederlande, Sebastian Kurz (ÖVP) und Mark Rutte, hatten sich zuvor zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der Verhandlungen gezeigt. Kurz hob hervor, dass der Anteil der Zuschüsse in dem geplanten Fonds deutlich gesenkt wurde. Auch dass die Rabatte, die Österreich auf seine Beiträge zum Gemeinschaftsbudget erhält, "sehr stark" gestiegen seien, begrüßte der Kanzler.
Nach dem ursprünglichen Vorschlag sollten 500 der 750 Milliarden Euro als Zuschüsse fließen. Darum wurde seit Samstag knallhart gefeilscht. EU-Ratspräsident Charles Michel senkte den Betrag zunächst auf 450 Milliarden Euro. Dann bot er 400 Milliarden Euro an. Die restlichen Mittel sollen als Kredite vergeben werden. Montagabend kam laut zahlreichen Online-Berichten schließlich der erste Durchbruch im Poker um die Corona-Milliarden: statt der von Deutschland und Frankreich geforderten 500 Milliarden Euro sollen nun nur 390 Milliarden Euro an Zuschüssen bereitgestellt werden. Die "sparsamen Vier" hatten zuvor ein Budget von 350 Milliarden Euro angestrebt.
Gesundheitsmilliarden flogen aus Coronafonds
Im EU-Fonds zum Wiederaufbau nach der Coronakrise ist ausgerechnet für Gesundheitsausgaben kein Platz mehr. Dies berichtet das Magazin "Politico" am Montagnachmittag unter Berufung auf aktualisierte Berechnungen, nachdem sich die EU-Staats- und Regierungschefs auf Druck der "sparsamen" Nettozahler rund um die Niederlande und Österreich auf eine Verringerung der Zuschüsse im Fonds geeinigt haben.
Weil der Zuschussanteil von 500 auf 390 Milliarden Euro sinkt, wurde unter anderem das 7,7 Milliarden Euro schwere Gesundheitsprogramm aus dem Fonds geworfen. Auch Das Forschungsprogramm Horizon sollte um weitere fünf Milliarden Euro gekürzt werden, was insgesamt 8,5 Milliarden Euro weniger ist als im ursprünglichen Fonds. Der "Just Transition Fund", der Regionen beim Übergang zum ökologischen Wirtschaften helfen soll, verliert demnach 20 Milliarden Euro.
Macron haute auf den Tisch
"Noch ist nichts beschlossen, ich bleibe also extrem vorsichtig", sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. In den vergangenen nächtlichen Verhandlungen hatte er seinen Unmut über die Haltung der "sparsamen" Länder kundgetan. "Er hat auf den Tisch gehauen und gewarnt, dass eine derartige Haltung schlecht enden wird", sagte ein Mitglied der Delegation eines EU-Landes.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
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Der Niederländer Rutte tat die Kritik ab. "Mir ist das nicht so wichtig", sagte er im Anschluss an die Gespräche. Er lasse sich davon nicht "ablenken" und werde weiter die Interessen seiner Bürger vertreten. Kurz hob den insgesamt "sehr professionellen" Umgang aller miteinander hervor. "Dass da bei manchen, wenn sie vielleicht wenig schlafen, irgendwann die Nerven blank liegen, das ist nachvollziehbar", sagte er in Anspielung an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der Kurz nach Medienberichten im Plenum scharf angegriffen hatte.
Neben dem Corona-Fonds war auch noch ein weiterer Streitpunkt offen: Ungarn und Polen wehren sich vehement gegen Pläne, die Auszahlung von EU-Budgetmitteln mit der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten zu verknüpfen. Beide Länder stehen wegen der Untergrabung von Werten wie der Pressefreiheit und Unabhängigkeit der Justiz seit Jahren in der EU am Pranger.
Längster EU-Gipfel seit Nizza
Der Gipfel ist bisher der längste seit einem legendären EU-Spitzentreffen in Nizza im Dezember 2000. EU-Parlamentspräsident David Sassoli kritisierte das Ausbleiben einer Einigung: "Wir sind besorgt über eine Zukunft, in der die europäische Solidarität und die Gemeinschaftsmethode verloren gehen", erklärte der Italiener, der zugleich mit einem Veto des EU-Parlaments gegen eine den Erwartungen der Volksvertretung nicht entsprechende Einigung drohte.
"Nach drei Tagen und drei Nächten Marathon-Verhandlungen kommen wir jetzt in die entscheidende Phase", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie habe den Eindruck, dass die Staats- und Regierungschefs "wirklich eine Einigung wollen".