Er hat eine beispiellose Blitzkarriere hingelegt: Der 34 Jahre alte Gabriel Attal ist Frankreichs neuer Premierminister.
Der bisherige Bildungsminister löst Elisabeth Borne ab, die am Montag nach wochenlangen Spekulationen über eine Kabinettsumbildung ihren Rücktritt als Regierungschefin eingereicht hatte.
Nach einer diskreten Premierministerin, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron keine Konkurrenz gemacht hat, geht der Staatschef nun das Risiko ein, einen aufstrebenden und beliebten jungen Politiker an seine Seite zu holen. Von seinem ersten Premierminister Edouard Philippe hatte sich Macron getrennt als dieser in den Umfragen besser dastand als der Präsident selbst.
"Es ist das erste Mal, dass Macron jemanden ernennt, der ihm so nahe steht", sagte eine Ministerin, die nicht genannt werden wollte. "Nach dem Streit um das Einwanderungsgesetz ist es verständlich, dass er den Schulterschluss sucht", fügte sie hinzu. Das im Dezember verabschiedete Gesetz war so umstritten gewesen, dass der Gesundheitsminister aus Protest zurücktrat.
Steiler Aufstieg
Attal, der Sohn eines Filmproduzenten, ist rascher in der Hierarchie aufgestiegen, als viele es für möglich gehalten hätten. Er ist noch drei Jahre jünger als es Laurent Fabius war, der bislang den Rekord als jüngster Premierminister Frankreichs gehalten hatte.
"Sein Profil gleicht dem Macrons vor sieben Jahren", sagte der Politikwissenschaftler Benjamin Morel über Attal. Der heute 46-jährige Macron habe sich ungeachtet der schwierigen Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung nicht für einen zähen Verhandler, sondern für einen kampfeslustigen Politiker mit Blick auf die Europawahlen im Juni entschieden, analysierte Morel.
Attal ist auch der erste französische Regierungschef, der offen homosexuell ist. Er lebte zeitweise mit Stéphane Séjourné, dem Chef der liberalen Fraktion Renew Europe im EU-Parlament, in einer eingetragenen Partnerschaft.
Schon an der Pariser Eliteschule Ecole d'Alsace war Attal als redegewandter Bub aufgefallen, der öffentliche Auftritte liebte und dort jedes Jahr in einem Theaterstück mitspielte. Nach seinem Abschluss auf der Elite-Hochschule Sciences Po verbrachte er ein Jahr als Stipendiat der Villa Medici in Rom.
Berufserfahrung außerhalb der Politik hat er kaum. Nach einer Stippvisite bei den Sozialisten zählte er zu den frühen Weggefährten Macrons, wurde zum Abgeordneten gewählt und mit 29 Jahren zum jüngste Regierungsmitglied der Republik in ihrer aktuellen Verfassung ernannt. Als Staatssekretär für die Jugend engagierte Attal sich für einen nationalen Pflichtdienst - ein Anliegen, das er später als Bildungsminister weiter verfolgte.
Seinen Durchbruch verdankt Attal seinem Posten als Regierungssprecher, auf dem er sich als äußerst medientauglich erwies. Zur Belohnung ernannte Macron ihn erst zum Budget- und dann zum Bildungsminister.
Als einer der wenigen Regierungsmitglieder schaffte Attal es immer wieder, öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, etwa mit dem Verbot der bei manchen muslimischen Mädchen beliebten langen Gewänder an Schulen. Die Ankündigung, testweise Schuluniformen einzuführen, löste bei seinen ehemaligen linken Parteifreunde Entsetzen aus. "Er driftet wie Macron immer weiter nach rechts ab", kommentierte ein Ministeriumsmitarbeiter.
Als der junge Minister kürzlich eine Rede zum nationalen Lehrertag hielt, zeigte er sich mit einer französischen und einer europäischen Flagge im Hintergrund - als habe er seinem jüngsten Karriereschritt vorgreifen wollen. Als seine Ernennung zum Premierminister bekannt wurde, befand Attal sich gerade in einer Videokonferenz mit Schuldirektorinnen und -direktoren.
Es dürfte seiner Laufbahn auch nicht geschadet haben, dass die Präsidentengattin Brigitte Macron ihm sehr gewogen ist. Bei einem berühmt gewordenen Fischbrötchen-Imbiss der deutschen und französischen Regierungsmitglieder im November in Hamburg, stellte Brigitte Macron ihn persönlich dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz vor.
Attal entstammt einer Familie mit jüdischen und russisch-orthodoxen Wurzeln und wuchs mit seinen drei jüngeren Schwestern in Paris auf. Sein Vater habe ihn gewarnt, dass er wegen seines typisch jüdischen Namens Zielscheibe antisemitischer Angriffe sein könne, was auch eingetreten sei, sagte Attal einmal in einem Interview.
Seine erste Aufgabe als Regierungschef besteht nun darin, seine Regierungsmannschaft neu zusammenzustellen. Viel Spielraum dürfte er dabei nicht haben. Vermutlich hat der Präsident längst selbst über die Besetzung der Posten entschieden.
(Von Ulrike Koltermann/AFP)