Showdown um 18 Uhr: Sagt sich Katalonien heute von Spanien los.
Wenige Stunden vor dem geplanten Auftritt des katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont vor dem Regionalparlament blickt Spanien gebannt und nervös nach Barcelona. Nach dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendums vom 1. Oktober, bei dem mehr als 90 Prozent der Wähler für eine Trennung gestimmt hatten, will sich Puigdemont um 18.00 Uhr vor dem Parlament äußern.
Sollte er dabei wirklich die Unabhängigkeit der Region ausrufen, droht eine harte Reaktion aus Madrid. Auch eine Festnahme Puigdemonts und anderer Separatisten wird nicht ausgeschlossen. Die Sicherheitsvorkehrungen vor dem Regionalparlament in Barcelona wurden unterdessen verschärft. Die Umgebung wurde für den Verkehr gesperrt.
TV-Bericht
Laut dem katalanischen Regionalsender TV3 wird Puigdemont nicht die Unabhängigkeit ausrufen, aber das Ergebnis des Unabhängigkeitsreferendums als Basis nehmen, das Recht Kataloniens zu begründen, schon bald die Loslösung von Spanien in die Wege leiten zu können. TV3 berief sich in seinem Bericht auf ein heimlich mitgeschnittenes Gespräch zwischen Kataloniens Vizeministerpräsidenten Oriol Junqueras und Jordi Cuixart von der separatistischen Bürgerbewegung Omnium Cultural. "Die CUP wird durchdrehen", versicherte Cuixart auf die Ankündigung Junqueras, Puigdemont werde kein konkretes Datum für die Unabhängigkeitserklärung nennen. Die separatistische Linksradikale CUP, von der Puigdemonts regierende Mehrparteien-Allianz Junts pel Si (Gemeinsam für Ja) für im Parlament abhängt, drängt auf die sofortige und einseitige Unabhängigkeitserklärung.
In einem Kommentar der Zeitung "El Pais" hieß es am Dienstag, wenn Puigdemont tatsächlich einseitig die Unabhängigkeit der Region ausrufen und seine "selbstmörderischen Pläne vorantreiben" würde, sei dies völlig unverantwortlich. Die Regionalregierung steuere in vollem Bewusstsein auf einen Abgrund zu. Auch im spanischen Fernsehen gab es kein anderes Thema als die Katalonien-Krise und die möglichen Auswirkungen von Puigdemonts Rede.
Die Präsidentin des spanischen Unterhauses, Ana Pastor, sagte, Ministerpräsident Mariano Rajoy werde am Mittwoch (16.00 Uhr) vor der Abgeordnetenkammer in Madrid Stellung zu Puigdemonts Aussagen beziehen. Er könnte Experten zufolge im Falle einer Unabhängigkeitserklärung auch erstmals den Artikel 155 der spanischen Verfassung anwenden, der besagt, dass die Zentralregierung eine Regionalregierung entmachten kann, wenn diese die Verfassung missachtet. Wahrscheinlich sei dann, dass Madrid die katalanische Regionalregierung suspendiere und auch Polizei und Ministerien übernehme, sagte der Experte für Internationales Recht Nico Krisch der dpa.
"Aber der Artikel kann nicht von einer Minute auf die andere angewendet werden. Er muss erst vom Senat gebilligt werden", erklärte der Journalist Joaquin Luna von der Zeitung "La Vanguardia". Wie lange das dauern könnte, sei nicht bekannt.
"Katalanische Republik"
Derweil spekulierten politische Analysten und Medien in Spanien über den möglichen Inhalt von Puigdemonts Rede. Eine angesehene Journalistin sagte am Dienstag im TV-Sender "La Sexta", Puigdemont werde im Parlament nach ihren Informationen die "Katalanische Republik" ausrufen. Ob er das Wort "Unabhängigkeit" aussprechen werde, sei jedoch noch nicht klar, sagte sie unter Berufung auf Angehörige der katalanischen Regionalregierung. Wie Madrid auf eine solche Formulierung reagieren würde, war ebenfalls unklar.
Auch die Ausrufung von Neuwahlen wäre theoretisch möglich, sowie ein neuerlicher Aufruf Puigdemonts in Richtung Zentralregierung, endlich Gespräche mit der katalanischen Führung aufzunehmen. Auf ein ernsthaftes Gesprächsangebot Madrids würden die Katalanen nach Einschätzung von Rechtsexperte Krisch "sehr positiv" reagieren. Dies verweigere Madrid jedoch bisher strikt. Rajoy sei im Moment nicht willens, einen solchen Weg zu gehen - es sei denn, es gebe einen internationalen Schlichtungsversuch, der für Madrid schwer zurückzuweisen wäre.
Regierungssprecher Inigo Mendez de Vigo appellierte unterdessen erneut an Puigdemont, "nichts Unumkehrbares zu tun" und rief den Chef der Regionalregierung auf, keinen "Weg einschlagen, von dem es kein Zurück gibt", keine "einseitige Unabhängigkeitserklärung" verkünden und "zur Legalität zurückkehren".
Am Dienstag in der Früh war bekannt geworden, dass die Regionalregierung die derzeitige Konfrontation mit Madrid offenbar von langer Hand geplant hatte. Die Zeitung "El Pais" zitierte aus einem angeblich von der Polizei sichergestellten Dokument, in dem die Allianz von Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont, Junts pel Si, den Weg seit den letzten Regionalwahlen 2015 bis heute vorgezeichnet habe.
Madrids Reaktion
Dieser sah unter anderem eine heftige Reaktion der Zentralregierung sowie das Eingreifen der Justiz und der Polizei vor - ähnlich zu dem, was jetzt im Zuge der Volksbefragung auch geschehen ist. Ziel sollte ein "demokratischer Konflikt sein, der auf die Unterstützung von einem großen Teil der Bürger zählen kann und der auf eine politische und wirtschaftliche Destabilisierung abzielt, der den Staat letztlich dazu zwingt, Trennungsverhandlungen oder ein Referendum zu akzeptieren".
Spaniens Wirtschaftsminister Luis de Guindos erklärte indes, er glaube, dass die EU "alle Aktionen unterstützen wird, die wir im Rahmen der Verfassung und der Rechtmäßigkeit in Spanien ergreifen werden". Es gehe bei Katalonien nicht um Unabhängigkeit, sondern um "eine Rebellion gegen den Rechtsstaat", so der Minister beim beim Treffen der EU-Finanzminister in Luxemburg.
Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) hoffte, dass die Krise in Katalonien und die Auseinandersetzung mit der spanischen Regierung "nicht in Richtung Euro überschlägt".