Vor US-Wahl

Konservative Christen wenden sich von Trump ab

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Dem US-Präsidenten würde es an Charakter, Kompetenz, Ehrlichkeit und Integrität fehlen.

In der Vergangenheit hat sich John Carr mit Wahlempfehlungen stets diskret zurückgehalten. Ganz im Geist des Leitfadens "Faithful Citizenship" der katholischen Bischöfe, an dessen Entstehen er als Spitzenberater der US-Bischofskonferenz maßgeblich mitgewirkt hatte. Dieser dient den US-Katholiken seit 1976 als eine Art politischer Gewissensspiegel.
 
Carr, der inzwischen ein Institut für Katholische Soziallehre an der Georgetown University der Jesuiten leitet, begründet seine Unterstützung für Joe Biden im Jesuiten-Magazin "America" mit "schwerwiegenden moralischen Gründen".
 

Charakter und Aufrichtigkeit

Bei diesen Wahlen gehe es in erster Linie um "Charakter, Kompetenz, Ehrlichkeit und Integrität" - die Amtsinhaber Donald Trump laut Carr fehlen. Obwohl er über Bidens Haltung in der Abtreibungsfrage "enttäuscht" sei, habe dieser "Charakter und Aufrichtigkeit", der Nation dabei zu helfen, "sich zu erholen und zu heilen".
 
Der ehemalige Bischofskonferenz-Mitarbeiter und Pro-Life-Aktivist widerspricht aber dem Versuch einzelner Bischöfe und Priester, das Abtreibungsthema zu einem Ausschlusskriterium für die Wahl des Demokraten zu erklären. Das entspreche nicht dem Geist von "Faithful Citizenship". Angesichts der vielen Opfer von Armut, Rassismus und Corona-Pandemie müsse es am 3. November "um den Schutz aller Leben und der Würde von Gottes Kindern" gehen.
 
Carrs Festlegung steht symbolisch für eine Abwendung weißer Katholiken von Trump, auf deren starke Unterstützung der Präsident setzt. Laut Nachwahluntersuchungen des Meinungsforschungsinstituts Pew hatte Trump 2016 in dieser Klientel rund 60 Prozent der Stimmen gewonnen. Da es sich dabei um die größte einzelne religiöse Wählergruppe handelt, würde der Verlust von ein paar Prozentpunkten am Wahltag einen spürbaren Unterschied ausmachen. Und genau danach sieht es im Trend der Umfragen derzeit aus.
 

Katholik Biden vorne

Zuletzt stellte eine Erhebung der Organisation "Vote Common Good" einen Pendelschlag von 16 Prozent zugunsten des Katholiken Biden in den entscheidenden Wechselwählerstaaten fest. Die Demoskopen befragten Katholiken und protestantische Evangelikale, die 2016 noch zu 81 Prozent Trump den Vorzug gegeben hatten.
 
In beiden Gruppen zusammen hat Trump USA-weit elf Prozent an Unterstützung eingebüßt. Als Grund nennen die Befragten, wie Bischofs-Berater Carr, den Charakter der Kandidaten. 2016 hätten religiöse Wähler Hillary Clinton für korrupter und unsympathischer als Trump gehalten, meint Doug Pagit, der die Studie in Auftrag gegeben hatte. "Dieselben Wähler halten Trump heute für korrupter und weniger sympathisch als Biden."
 
Im Einzelnen bemängeln religiöse Wähler Trumps "kühle Reaktion" auf die Proteste nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd, seinen "unsympathischen" Umgang mit anderen und die "fehlende Anteilnahme" angesichts von fast 200.000 Toten einer Pandemie, die er herunterspielte.
 
Wie als Bestätigung erhob am Donnerstag eine hohe Ex-Mitarbeiterin der Corona-Taskforce des evangelikalen Vizepräsidenten Michael Pence schwere Vorwürfe gegen den Präsidenten. Olivia Troye sagte, Trump habe in der Pandemie "geradezu Missachtung für das Leben anderer" gezeigt. Das Weiße Haus wies die Vorwürfe als unbegründet zurück. Troye sei eine unzufriedene Ex-Mitarbeiterin.
 
Das Online-Portal "Politico" zitiert einen Führer der Evangelikalen, der die Beobachtung teilt, dass es unter den treuesten Anhängern Trumps bröckelt. Bidens Positionen zu Abtreibung und Religionsfreiheit hätten in der Vergangenheit gereicht, Konservative abzuschrecken. Dies werde bei dieser Wahl "durch den Kontrast zwischen dessen fühlbarem Glauben und Trumps transaktionaler Sicht von Religion überlagert".
 
Analysten sind sich einig, dass Biden keine Mehrheiten im Lager der konservativen Christen braucht. Wenn er Trump dort ein paar Punkte abnimmt, könnte das reichen, den Amtsinhaber abzulösen. Tim Huelskamp von der Pro-Trump-Lobby "CatholicVote" gibt sich gelassen. "Das wird nicht funktionieren", meint der frühere Kongressabgeordnete aus Kansas. Es reiche nicht aus, "einen Rosenkranz in der Tasche zu tragen" und die eigene Politik vergessen zu machen.
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