Fall Praljak

Kritische Reaktionen in Kroatien

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Zagreb lehnt Verwicklung in den Bosnien-Krieg ab.

In Kroatien ist das zweitinstanzliche Urteil gegen sechs bosnischen Kroaten kritisch aufgenommen worden, vor allem in dem Teil, in dem die Verwicklung Zagrebs in den Bosnien-Krieg bestätigt wurde. "Das, was wir gehört haben, entsprich nicht der historischeren Wahrheit", meinte Parlamentspräsident Goran Jandrokovic und betonte, dass Kroaten die Opfer des Geschehens in Bosnien gewesen seien.

Das Urteil negiere alles, was Kroatien für Bosnien gemacht habe, betonte Jandrokovic mit Blick auf mehr als 700.000 Flüchtlinge aus Bosnien, die in Kroatien aufgenommen wurden. Das und viele andere Sachen seien aus dem Urteil nicht ersichtlich, deshalb lehne er ein derartiges "Dolmetschen der Geschichte" ab, sagte er.

Unfassbar

Der Parlamentsvize Zeljko Reiner, der so wie Jandrokovic aus der Regierungspartei HDZ kommt, betonte, dass das Urteil "nicht nur historisch unwahr und ungerecht gegenüber Kroatien und den Kroaten in Bosnien-Herzegowina ist, aber auch absolut unfassbar", sagte er laut Nachrichtenagentur Hina.

Das Haager Gericht hat in der Berufung die Teilnahme aller sechs Angeklagten an einem gemeinsamen verbrecherischen Vorhaben unter Führung des damaligen kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman bestätigt. Dieses zielte laut dem rechtskräftigen Urteil auf den Anschluss des Gebietes der damals selbstproklamierten Herceg Bosna unter Kontrolle der bosnisch-kroatischen Truppen an Kroatien ab. Tudjman selbst war vom UNO-Tribunal nie angeklagt worden.

Schock

Schockiert zeigten sich die Politiker unterdessen über die Tat des früheren Befehlshabers des Kroatischen Verteidigungsrates (HVO) in Herceg Bosna, Slobodan Praljak (72). Der Kroate hat nach seiner rechtskräftigen Verurteilung zu 20 Jahren Haft zuerst protestiert und dann Gift geschluckt, woran er später im Krankenhaus gestorben ist.

Die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic hat wegen der Ereignisse eine Dienstreise in Island abgebrochen und kehrt vorzeitig nach Zagreb zurück, berichteten die Medien.

UNO-Urteil darf nicht politisiert werden

Der hohe Bosnien-Beauftragter Valentin Inzko hat dazu aufgerufen, das Urteil des UNO-Tribunals für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) gegen sechs bosnische Kroaten vom Mittwoch "vollständig" zu respektieren. Es dürfe keinesfalls politisiert werden und solle vielmehr als "Wendepunkt" für Bosnien-Herzegowina dienen, erklärte Inzko in einer der APA übermittelten Stellungnahme.

Kritische Reaktionen in Kroatien
© APA


Der Österreicher rief Bosnien-Herzegowina dazu auf, das nun rechtskräftige Urteil zu respektieren und weiter den "Weg Richtung Versöhnung" zu gehen. "Wahrheit und Gerechtigkeit" seien der einzig mögliche Weg nach vorne, hin zu einer "besseren Zukunft", erklärte Inzko. Der Hohe Beauftragte nannte Deutschland als Beispiel und lobte dessen "ehrlichen und starken" Umgang mit dessen Geschichte. Das sei auch der Grund für den "drastischen" Fortschritt des Landes und den weltweiten Respekt, den es nun genieße. Damit Bosnien ähnliches erzielen könne, müsse das Urteil des UNO-Tribunals nun "vollständig respektiert" werden.

Inzko betonte zudem, dass es "keine schlechten Völker" gebe. "Wir müssen uns daran erinnern, dass es sich um Taten Einzelner handelt und nicht um Taten ganzer Nationen - und dass jeder von uns nur anhand seiner Taten und nicht seiner Nationalität beurteilt werden sollte", so Inzko.

Für viele Bosnier sei mit der Verkündung der Urteile am Mittwoch ein "tragisches Kapitel" ihres Lebens abgeschlossen worden, für manche "vielleicht sogar der Krieg von 1992 bis 1995", meinte der UNO-Beauftragte.

Die Urteile für den früheren bosnisch-kroatischen Militärchef Slobodan Praljak und fünf weitere Angeklagte wurden durch das ICTY bestätigt und sind damit rechtskräftig.
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