Parteivorsitzender vor Ablöse

Laschet-Nachfolger bringen sich in Stellung

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Mit überraschend viel Selbstkritik nimmt Laschet der Jungen Union den Wind aus den Segeln.

Schonungslose Abrechnung, trauriger Abschied und schon so etwas wie Bewerbung für den Neuanfang - der Deutschlandtag der Jungen Union (JU) ist am Wochenende ein Wechselbad der Gefühle. So niedergeschlagen, teilweise richtig angerührt sieht man Armin Laschet, der als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen eher als rheinische Frohnatur bekannt ist, selten.

Als der gescheiterte Kanzlerkandidat am Samstagmorgen in Münster vor die über 300 Delegierten tritt, nimmt der 60-Jährige dem Parteinachwuchs, der zur Aufarbeitung des Debakels bei der Bundestagswahl angetreten ist, mit einer überraschend offenen, selbstkritischen Rede viel Wind aus den Segeln.

"Den Wahlkampf, die Kampagne habe ich zu verantworten und sonst niemand", sagt der Parteichef über das historisch schlechteste Unionsergebnis bei einer Bundestagswahl. Zu dem Zeitpunkt kursiert bereits eine Beschlussvorlage des Bundesvorstands zu "Analyse und Konsequenzen", das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt.

"Armin Laschet konnte die Herzen der Menschen leider nicht erreichen. Ganz im Gegenteil: Viele Wähler haben der Union wegen des Personalangebots die Stimme nicht gegeben", heißt es dort etwa. Die Kommunikation im Wahlkampf sei "weder klar noch mutig" gewesen. Eine "Kultur der Illoyalität" wird beklagt und das schlechte Zusammenspiel der Schwesterparteien.

Die meisten hatten nach der Lektüre ein Scherbengericht über Laschet erwartet. Doch der bekennt sich unumwunden zu Fehlern und sagt zu der eigentlich vernichtenden Bestandsanalyse: "Ich stimme in nahezu allem zu - was mich betrifft und was den Wahlkampf betrifft." Nur mit Offenheit "und übrigens auch mit Charakter" habe die Union eine Chance, wieder nach vorne zu kommen.

Viele der jungen Delegierten, die anschließend zur Aussprache ans Mikrofon treten, würdigen ausdrücklich Laschets Selbstkritik und seine Courage, überhaupt zu dem für ihn wenig erbaulichen Termin anzutreten. "Respekt", ist vielfach zu hören. Krawallige Töne bleiben gänzlich aus. Bayerns Ministerpräsident, CSU-Chef Markus Söder, der kürzlich bei der JU im Freistaat Missmut einstecken musste, hatte abgesagt.

Ein JU-Delegierter aus Schleswig-Holstein macht in der erstaunlich offenen Debatte in Münster eine von der Öffentlichkeit entkoppelte "Berliner Blase" für das schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl mitverantwortlich. Ein Berliner JU-Wahlkämpfer wirft Laschet vor: "Sie haben uns auf einen Kuschel-Wahlkampf eingestellt. Nur leider hat der politische Gegner nicht mitgekuschelt." Stattdessen hätten die Wettbewerber hart gegen die Union und gegen Laschet persönlich polarisiert. "Wir haben nicht den Kampfanzug angezogen, sondern Zuneigung von Leuten gesucht, die nie vorhatten, uns zu wählen."

Zwei der möglichen Nachfolgekandidaten für den CDU-Bundesvorsitz, Jens Spahn und Carsten Linnemann, richten den Blick vor dem politischen Nachwuchs gezielt nach vorn. Ihre forschen Ansprachen an die Delegierten klingen schon wie Bewerberreden - vor allem Linnemann wird umjubelt

Der 44-jährige Wirtschaftspolitiker fordert die Union auf, "auch die ganz heißen Eisen anzupacken". Dazu zähle das künftige Rentensystem und das strittige Thema Verbeamtungen. Für die CDU gehe es um ihren Status als Volkspartei, mahnt Linnemann in einer sehr kurzen, aber hörbar gut ankommenden Rede. Für ihre programmatischen Fragen werde die Partei ein bis zwei Jahre brauchen. Eine Kernfrage sei: "Wie bekommen wir in Deutschland eine Mentalität des Machens hin?"

Außenpolitiker Norbert Röttgen, der neben dem Wirtschaftsexperten Friedrich Merz und Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus ebenfalls als möglicher Nachfolger für die Parteispitze gehandelt wird, lauscht der Rede aufmerksam als Gast zwischen den Delegiertenreihen.

Spahn dekliniert mit viel Emphase "Leitsätze" durch - "wenn man nachts wach gemacht wird und sagen soll: wofür steht die CDU?". Der 41-Jährige hinterfragt das bürgerliche Verständnis von Leistungsgesellschaft und wirft die Frage auf, wie Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen partizipieren können vom wachsenden Wohlstand von Menschen mit "leistungslosem Einkommen und Vermögen".

Spahn präsentiert sich als schneidiger Erneuerer, aber auch sehr persönlich. Er spricht über das neue Verständnis von Familie, über Homosexualität und seinen Ehemann. Er erzählt, dass er in die Politik gegangen sei, weil er Verantwortung übernehmen wollte. Dazu bekenne er sich weiter, obwohl er mehr als einmal als "Volksverräter" und "schwule Sau" beschimpft worden sei. "Die CDU ist nicht erledigt", ruft er den Delegierten zu. Jetzt gehe es darum, nach dem Wahldebakel wieder aufzustehen.

Gefeiert wird zudem ein 46-jähriger, ehemaliger JU-Landesvorsitzender, der in Kürze als Laschets Nachfolger zu Nordrhein-Westfalens jüngstem Ministerpräsidenten gewählt werden soll. Zu den Trommeln des "Höhner" Songs "Jetzt geht' s los (Wir sind nicht mehr aufzuhalten)" wird der nordrhein-westfälische Verkehrsminister Hendrik Wüst auf dem Podium von Fahnen schwenkenden JU-Delegierten umjubelt.

"Wir haben die Bundestagswahl verloren, ja, und nach Lage der Dinge haben wir auch die Regierungsbeteiligung verloren", rief Wüst in die Münsterlandhalle. "Aber wir dürfen nicht noch unsere Haltung, unser Benehmen und unsere Selbstachtung verlieren." Nicht zuletzt mit Blick auf die vier Landtagswahlen im nächsten Jahr gelte: "Haltung statt Spaltung muss der Maßstab sein!"

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