Nach dem Tod von 18 Häftlingen konnten 300 aus der Psychiatrie entkommen.
Nach dem Tod von mindestens 18 Häftlingen in zwei Gefängnissen im Norden Brasiliens hat es aus einer Haftanstalt bei São Paulo eine Massenflucht von bis zu 300 Gefangenen gegeben. Wie das Portal "Folha de Sao Paulo" am Montagabend (Ortszeit) unter Berufung auf die Militärpolizei berichtete, war die Psychiatrie eines Gefängniskomplexes in der Stadt Franco da Rocha betroffen.
Demnach kam es zu einem Aufstand, mehrere Brände wurden gelegt und in der allgemeinen Konfusion konnten die Häftlinge in einen angrenzenden Wald entkommen. Die genaue Zahl war aber völlig unklar, es gab nur vage Schätzungen.
"Pulverfass"
Fabio Jaba, Chef der Gewerkschaft der Gefängnismitarbeiter in São Paulo, kritisierte die Zustände scharf. "Das Rezept ist perfekt. Der Mangel an Mittel und Strukturen macht das derzeitige Gefängnissystem zu einem Pulverfass, das jederzeit explodieren kann." Erst Ende September waren aus dem Gefängnis Jardinopolis (ebenfalls Bundesstaat São Paulo) rund 470 Häftlinge ausgebrochen, fast alle konnten aber von der Polizei wieder gefasst werden. Die Massenflucht war der dritte schwere Zwischenfall in Brasiliens Gefängnissen in 24 Stunden.
18 Häftlinge kamen seit Sonntag bei Kämpfen zwischen rivalisierenden Banden ums Lebens. Mehrere Häftlinge wurden im Gefängnis der Stadt Boa Vista an der Grenze zu Venezuela sogar nach Polizeiangaben enthauptet und verbrannt. Zunächst war allein hier von 25 Toten die Rede. Der Chef der Justizbehörde des Bundesstaats Roraima, Uziel de Castro, korrigierte erste Polizeiangaben aber später auf zehn Tote.
Geiselnahme
Der Gewaltausbruch ereignete sich während der Besuchszeit, Dutzende Angehörige von Gefangenen wurden als Geiseln genommen und konnten erst nach fünf Stunden von einem Spezialkommando befreit werden. Sie blieben dabei unverletzt. Bei einer weiteren Meuterei in einem Gefängnis in Porto Velho (Staat Rondonia) starben acht Häftlinge.
Hintergründe dieser beiden Gewaltausbrüche könnte ein wieder aufgeflammter Krieg zwischen zwei der berüchtigtsten Banden Brasiliens sein, dem Primeiro Comando da Capital (PCC/Erstes Kommando der Hauptstadt) mit Hauptsitz in Sao Paulo und dem Comando Vermelho (Rotes Kommando), das seine Bastion in Rio de Janeiro hat. Das PCC war bereits vor zehn Jahren für eine Reihe von Aufständen verantwortlich - die Banden haben landesweit Anhänger und können auch in den Haftanstalten in der Regel per Handy kommunizieren, da die Polizei sich im Inneren aus dem Geschehen meist heraushält. So blüht auch hinter den Gefängnismauern der Drogenhandel, die Gewerkschaften kritisieren vor allem eine völlig unzureichende Personalausstattung.
"Sie haben sich den Krieg erklärt"
Nach Informationen der Behörden handelte es sich bei den Angreifern in Boa Vista, die mit Holzlatten und Messern bewaffnet waren, um Mitglieder des Primeiro Comando da Capital. In dem attackierten Trakt seien Mitglieder des Comando Vermelho inhaftiert gewesen. Auch der inhaftierte lokale Chef des Comando Vermelho mit Kampfnamen "vida loka" ("Verrücktes Leben") wurden den Behörden zufolge getötet.
"Sie haben sich den Krieg erklärt", sagte der Chef der Justizbehörde des Bundesstaats Roraima, Castro. Bei der zweiten Meuterei in Porto Velho könnte es sich um einen Racheakt handeln - Auslöser waren hier wohl Anhänger des Comando Vermelho. Brasilien ist eines der Länder mit der höchsten Zahl an Gefängnisinsassen. Nach Angaben des Instituts IPCR gibt es derzeit im ganzen Land über 620.000 Häftlinge.