Liberale, Grüne und Unabhängige profitieren von Brexit-Chaos - Druck auf May und Corbyn steigt.
Die regierenden Tories haben bei den Kommunalwahlen in Großbritannien einen Denkzettel für das Brexit-Chaos bekommen: Die Partei von Premierministerin Theresa May büßte 1334 Sitze in den Kommunalparlamenten ein, wie die BBC am Freitagabend nach Auszählung aller 248 Bezirke meldete.
Leichte Verluste gab es für Labour. Große Gewinner waren die proeuropäischen Liberalen und Grünen sowie Unabhängige. Nach Auszählung aller Stimmen verloren die Konservativen die Kontrolle über 44 Bezirksverwaltungen.
Auch Labour muss sich mit Verlusten abfinden, allerdings fallen sie deutlich moderater aus: Die Partei von Jeremy Corbyn verzeichnete ein Minus von 82 Sitzen und musste sechs Bezirksverwaltungen aus der Hand geben. Würden die kommunalen Ergebnisse auf ganz Großbritannien umgerechnet, so kämen die beiden großen Parteien auf jeweils etwa 28 Prozent der Stimmen.
Der Meinungsforscher John Curtice brachte das Signal, das die Wähler den beiden großen Parteien schicken wollten, mit einem Shakespeare-Zitat auf den Punkt: "Die Pest auf eure beiden Häuser!", zitierte er den sterbenden Mercutio aus Romeo und Julia. Als Hauptgrund für die Verluste gilt das nicht enden wollende Ringen um den Austritt Großbritanniens aus der EU. Während Labour sich zu dem Thema nicht eindeutig positioniert, scheiterte May wiederholt mit dem Versuch, für das von ihr ausgehandelte Austrittsabkommen eine Mehrheit im Parlament zu bekommen.
May wertete die Ergebnisse der Kommunalwahlen als Votum für einen zügigen EU-Austritt des Vereinigten Königreichs. Das Wahlergebnis erhöht den Druck auf May und Corbyn, sich zu einigen, das Austrittsabkommen durchs Parlament zu bringen und so eine Teilnahme Großbritanniens an der Europawahl doch noch zu verhindern. Sonst könnten sie am 23. May von der Brexit-Partei von Nigel Farage übertrumpft werden, die laut einer You-Gov-Umfrage von Mitte April mit 23 Prozent die meisten Stimmen in Großbritannien erhalten könnte. Sie war bei den Kommunalwahlen nicht angetreten.
Knapp drei Wochen vor den Europawahlen, an denen Großbritannien eigentlich gar nicht mehr teilnehmen will, sah May in der Abstimmung ein Alarmzeichen. "Dies ist eine schwierige Zeit für unsere Partei und dieses Wahlergebnis ist ein Symptom dafür", sagte May bei einer Parteiveranstaltung in Wales. Sowohl für die Konservativen als auch für Labour enthielten die Resultate eine Botschaft: "Kommt voran und liefert den Brexit." Ein Mann rief May zu: "Warum treten Sie nicht zurück?"
Auch Corbyn zeigte sich ernüchtert über die Verluste seiner Partei. "Natürlich wollten wir besser abschneiden", sagte Corbyn dem Sender BBC. Teile der Wählerschaft hätten sich in der Brexit-Politik in keiner der beiden großen Parteien wiedergefunden. Die größte Oppositionspartei fährt einen Schlingerkurs, der es Brexit-Gegnern und -Befürwortern recht machen soll. So lehnt es Corbyn bisher ab, ein zweites Brexit-Referendum zu verlangen. Deutliche Zugewinne verbuchten die Brexit-Gegner von Liberaldemokraten, Grünen sowie unabhängige Kandidaten.
Die europafreundlichen Liberalen eroberten 703 neue Mandate in Kommunalparlamenten sowie zehn Bezirke. Ihr Chef Vince Cable sagte, die Wähler hätten "kein Vertrauen mehr in die Konservativen, aber sie wollten auch Labour nicht belohnen". Er versicherte, dass jede Stimme für seine Partei "eine Stimme für den Stopp des Brexit" gewesen sei.
Der konservative Abgeordnete Bernard Jenkin warf May vor, sie habe die Kontrolle über den Norden des Landes und über das Geschehen im allgemeinen verloren. Sein Parteifreund Greg Hands sagte im Deutschlandfunk, er erwarte einen Rücktritt Mays Ende Mai. "Ich denke, die erste Konsequenz ist wahrscheinlich, dass die Tage von Theresa May gezählt sind", sagte Hands.
Die frühere Entwicklungshilfeministerin Priti Patel sagte: "May ist ein Teil des Problems. Wir können einfach nicht so weitermachen. Wir brauchen einen Wechsel." Insgesamt waren bei den Kommunalwahlen mehr als 8000 Sitze zu verteilen - vor allem in ländlichen Gebieten und Vorstadtregionen in England; auch in elf Bezirken Nordirlands wurde gewählt.