Deutsche Kanzlerin stellt sich hinter UNO und fordert Taten im Jemen-Konflikt.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich bei der Eröffnung des Pariser Friedensforums in Sorge um die Zukunft der Europäischen Union gezeigt. Sie habe Sorge, "dass sich vielleicht wieder nationales Scheuklappendenken ausbreitet, selbst das europäische Friedensprojekt wieder infrage gestellt wird", sagte Merkel. So gebe es auch wieder die Bereitschaft, Eigeninteressen mit Gewalt durchzusetzen.
"Der Erste Weltkrieg hat uns gezeigt, in welches Verderben uns Isolationismus führen kann", sagte die deutsche Kanzlerin bei dem Forum, an dem auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen teilnahm. Sie räumte ein, dass es "Mut" brauche, um Kompromisse zu schließen und sie den Menschen zu erklären. "Kompromisslosigkeit ist der sichere Weg in den Unfrieden", mahnte sie in der Rede auf einer einem griechischen Marktplatz ("Agora") nachempfundenen kreisrunden Bühne.
"Der Friede, der ist alles andere als selbstverständlich"
"Der Friede, den wir zum Teil allzu selbstverständlich nehmen, der ist alles andere als selbstverständlich", übte Merkel deutliche Kritik an den aktuellen Zuständen in der internationalen Politik. So müsse es "fassungslos machen", dass heute 68 Millionen Menschen auf der Flucht seien, und erinnerte an die Konflikte in Syrien und im Jemen. "Während wir hier miteinander gedenken und arbeiten, müssen wir daran denken, dass sich im Jemen die größte humanitäre Katastrophe abspielt. Die Welt muss handeln, um hier zu einem Waffenstillstand und humanitärer Versorgung zu kommen."
"Wir dürfen uns mit den bewaffneten Konflikten nicht abfinden. Kein Staat, keine Religion, keine Bevölkerungsgruppe und kein einzelner Mensch darf von uns abgeschrieben werden", forderte Merkel. Sie warb auch dafür, die Vereinten Nationen allen Unzulänglichkeiten zum Trotz zu bewahren. "Zerstören kann man internationale Organisationen schnell - wieder aufbauen ist unglaublich schwierig", mahnte sie.
In diesem Zusammenhang erinnerte sie an die nach dem Zweiten Weltkrieg "unter dem Eindruck des Schreckens" verabschiedete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Sie befürchte, dass der heutigen Staatengemeinschaft der Beschluss einer solchen nicht mehr gelingen würde. Daher müsse man das damals Geschaffene "hüten, schätzen und weiterentwickeln".
Guterres: Konfliktspirale darf nicht weiter angetrieben werden
UNO-Generalsekretär Antonio Guterres warb als zweiter Redner ebenfalls für mehr internationale Zusammenarbeit und Respekt vor internationalen Regeln, damit nicht die "Konfliktspirale" noch weiter angetrieben werde. "Multilateralismus ist heute notwendiger denn je", betonte Guterres, der unter anderem die Ausrichtung eines Klimagipfels zum Beschluss noch ehrgeizigerer Schutzziele im kommenden Jahr ankündigte. Guterres warb auch für den jüngst in mehreren europäischen Staaten in die Kritik geratenen UNO-Migrationspakt, der eine "gemeinsame Vision" für eine bessere Regelung der Migration sei. Zugleich appellierte der portugiesische Ex-Premier, "die Integrität des internationalen Systems des Flüchtlingsschutzes zu bewahren".
Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte, er habe das - als NGO organisierte - Forum ins Leben gerufen, um nach Wegen zur dauerhaften Bewahrung des Friedens zu suchen. Diesbezüglich erinnerte er daran, wie die Welt 20 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg neuerlich zu den Waffen griff. Auch heute stelle sich die Frage, ob das Bild jener Staats- und Regierungschefs, die sich zur Gedenkfeier am Pariser Triumphbogen versammelt hätten, nur ein "Schnappschuss" sei, "das letzte Bild der Einheit, bevor die Welt in Unordnung versinkt".
"Davos des Friedens"
Nach dem Eröffnungspanel fand bei der Konferenz, die sich als "Davos des Friedens" profilieren will, ein Feuerwerk an hochkarätigen Podiumsdiskussionen statt. Größtenteils parallel setzten sich die Präsidenten, Regierungschefs und Chefs internationaler Organisationen zusammen, um verschiedene Themen zu erörtern.
Macron diskutierte mit seinen Amtskollegen aus Costa Rica, Norwegen, Tunesien, Kanada und dem Senegal mit der diesjährigen Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad sowie den Chefs von Europarat und UNESCO. Eine Debatte über den Klimawandel war mit Staatsführern aus dem Kongo, Kenia, Dänemark, Dschibuti und Spanien besetzt. Das Thema Friedens- und Sicherheitspolitik erörterten die Präsidenten der Ukraine, der Schweiz und von Mali. Den "Dialog der Kontinente" bestritten die Präsidentin der UNO-Generalversammlung sowie die Staats- und Regierungschefs aus Indien, Ruanda und Schweden.
Die Diskussionen sollten am Montag und Dienstag weitergehen, wobei Politiker, Experten und Bürger unter anderem über 122 konkrete Projekte diskutieren wollen, die für das Friedensforum eingereicht worden waren. Die Vorschläge reichten dabei von einem Programm zum Schutz von Schildkröten bis zum Vorschlag, die UNO zu einem Weltparlament umzuwandeln.