ÖSTERREICH-Reporter

"So erlebe ich die Flut"

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Millionen in Pakistan leiden. Warten verzweifelt auf Hilfe. ÖSTERREICH-Reporter Florian Lems ist vor Ort. Sein Augenzeugenbericht der Katastrophe.

Lähmende Hitze – kaum zu ertragen. 40 Grad, 70 Prozent Luftfeuchtigkeit. Dazu immer wieder starke Regenfälle. Der mörderische Monsun in Pakistan ist noch längst nicht zu Ende. Die Katas­trophe geht weiter. Wird schlimmer, obwohl das Wasser an manchen Orten langsam abfließt, zurückgeht. Dadurch wird das ganze Ausmaß des Jahrhundert-Dramas sichtbar.

20 Millionen irren durchs Land, brauchen Hilfe
Es ist schon jetzt eine der größten Naturkatastrophen der Geschichte (20 Millionen Menschen sind auf der Flucht, mindestens 1.600 Tote wurden bisher geborgen, sechs Millionen sind akut von Krankheiten bedroht, vom Hungertod) .

Vor knapp drei Wochen begann hier der Weltuntergang. Kleine Bäche wurden zu reißenden Flüssen. Ganze Dörfer sind innerhalb weniger Stunden weggerissen worden, den Menschen blieb nichts. Sie konnten gerade mitnehmen, was sie am Leib trugen.

Dort, wo einst Wohnhäuser standen, sind heute nur mehr Trümmer. Fast wie im Kriegsgebiet: "Ich sah, wie unser Haus davongeschwommen ist", sagt eine Frau, die an der Grand- Truck-Road bei Peshawar auf Hilfe wartet: "Nur den Teppich konnte ich mitnehmen", weint sie, "sonst nichts." Ihre eineinhalbjährige Tochter ist seit Tagen krank, behält keine Nahrung. Extremer Durchfall. Das Kind bräuchte Infusionen. Es gibt keine. 3,5 Millionen Kindern geht es wie dem kleinen Mädchen: "Typhus, Cholera und Durchfall-Erkrankungen grassieren ebenso wie Haut- und Infektionskrankheiten", klagen die Helfer. "Gerade bei Hygieneartikeln und sauberem Wasser herrscht akuter Bedarf."

900.000 Häuser wurden durch die Flut weggerissen, die gesamte Mais-, Weizen-, Reis- und Baumwoll-Ernte im Punjab, dem Brotkorb Pakistans (172 Millionen Einwohner), ist zerstört. Mehr als eine Million Rinder, Schafe kamen in den Fluten um, die Menschen konnten ihr Vieh nicht mitnehmen. Mussten es zurücklassen. Die Existenzen der Bauern – zerstört. Die Flut wird in den nächsten Tagen gehen. Das Elend bleibt: Nun leben 20 Millionen in Zelt-Camps, errichtet von Hilfsorganisationen.

Austro-Teams sind seit Tagen im Einsatz
Gleich mehrere österreichische Organisationen haben jetzt ihre Mitarbeiter in der Krisenregion. Caritas-Helfer Thomas Preindl organisiert im Nordosten. Das Rote Kreuz ist mit drei Mitarbeitern vor Ort. Diakonie-Helfer Rainer Lang installiert Wasser-Tanks in Camps im Nordwesten.

Nach tagelanger Kritik hat die Bundesregierung jetzt reagiert: Fünf Millionen Euro stellt Österreich den Pakistan-Opfern zur Verfügung.
200.000 Euro vom Landwirtschaftsministerium – so sah bis Freitagnachmittag die magere staatliche Hilfe aus Österreich für die Flutopfer in Pakistan aus. Damit war Österreich absolutes Spendenschlusslicht für die 20 Millionen Flutopfer in Pakistan.

"Erbärmlich", nannte dies Max Santner, Leiter der Internationalen Hilfe des Roten Kreuzes im ÖSTERREICH-Interview. „Das kann sicher nur ein erster Schritt sein“, ergänzte CARITAS-Chef Michael Landau. „Beschämend“ fand das Zögern der Regierung Judith Schwendtner, entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen.

Späte Reaktion
Nun hat Österreichs Regierung endlich umgeschwenkt, ein umfassendes Rettungspaket geschnürt. Die Hilfe umfasst jetzt 1,5 Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds sowie 3,5 Millionen Euro aus Budget-Rücklagen. Die fünf Millionen werden über österreichische Hilfsorganisationen wie etwa Rotes Kreuz und Caritas, die seit Tagen Helfer vor Ort haben, abgewickelt werden.

Der entsprechende Beschluss dazu wird am kommenden Dienstag im Ministerrat fallen. "Wichtig ist, jetzt Solidarität mit der notleidenden pakistanischen Bevölkerung zu zeigen", erklärten SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann und ÖVP-Finanzminister Josef Pröll. ÖVP-Außenminister Michael Spindelegger ergänzte: "Ich kann den Österreichern versichern, dass die Hilfe bei denjenigen ankommt, die diese dringend brauchen."

Österreichs Regierung hilft mit fünf Millionen
"Reicht das aus?", fragte ÖSTERREICH Caritas-Wien-Direktor Michael Landau.

ÖSTERREICH: Die Regierung hat jetzt fünf Millionen Euro zur Verfügung gestellt, ist das genug?

Michael Landau: Das ist extrem erfreulich und ein sehr wichtiges Signal, dass Regierung und Bevölkerung in der internationalen Katastrophenhilfe zusammenarbeiten. Die Bürgerinnen und Bürger waren von Anfang an spendabler als die Regierung. Österreich leistet mit den fünf Millionen einen wichtigen Beitrag für die Millionen notleidenden Frauen, Männer und Kinder in Pakistan, schließlich haben wir es hier mit einer Jahrhundert-Katastrophe zu tun.

ÖSTERREICH: Tagelang geschah aber auf Regierungsebene überhaupt nichts ...

Landau: ... die ersten 200.000 Euro vom Landwirtschaftsminister waren ein rascher erster Schritt, dem nun ein weiterer folgte. Diese langsame Reaktion macht aber ganz deutlich, dass die Nothilfe-Kompetenzen viel zu zersplittert sind. Hier müssen die Zuständigkeiten in Zukunft viel besser gebündelt werden. Die Republik hat in diesem Punkt Nachholbedarf. Eine Schlüsselfunktion hat hier das Außenministerium, dessen Zuständigkeiten gestärkt werden müssen.

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