Umfragen: Konservative Volkspartei stärkste Kraft

Parlamentswahlen: Spanien könnte nach rechts rücken

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Die konservative Volkspartei ist laut Umfragen stärkste Kraft – gibt es eine Kooperation mit der rechtsextremen Vox?

Madrid. Spanien wählt am heutigen Sonntag ein neues Parlament. Umfragen prognostizieren eine Niederlage für die linke Minderheitsregierung des sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez (PSOE). Die konservative Volkspartei (PP) dürfte in dem Land mit rund 47 Millionen Einwohnern stärkste Kraft werden, die absolute Mehrheit aber verfehlen. Ihr Spitzenkandidat Alberto Núñez Feijóo wäre dann zur Regierungsbildung auf die rechtsextreme Populistenpartei Vox angewiesen.

Hatte sich am frühen Nachmittag eine etwas höhere Beteiligung als beim vorläufig letzten Urnengang im Jahr 2019 abgezeichnet, fiel dieser Wert bis zum frühen Abend. Laut der Zeitung "El Mundo" (Onlineausgabe) gaben bis 18.00 Uhr MESZ 53,07 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimmen ab, um fast vier Prozentpunkte weniger als 2019. Damals waren es demnach zu diesem Zeitpunkt 56,85 Prozent gewesen.

Wahllokale schließen um 20.00 Uhr

Die Wahllokale schließen um 20.00 Uhr MESZ, auf den Kanarischen Inseln um 21.00 MESZ. Insgesamt 37,5 Millionen Spanierinnen und Spanier sind zur Wahl von 350 Abgeordneten aufgerufen. 1,6 Millionen wählen zum ersten Mal. Angaben des Meinungsforschungsinstituts GESOP vom Freitag zufolge darf Feijóos PP mit 32,7 Prozent der Stimmen rechnen, die Sozialisten (PSOE) von Premier Sánchez mit 28,5 Prozent.

Regieren würde Feijóo am liebsten alleine. Aber keine einzige Umfrage sagt der PP mehr als 156 Sitze in einem Kongress voraus, in dem die absolute Mehrheit bei 176 Sitzen liegt. Es hängt also alles vom großen Heer der Unentschlossenen ab, das immerhin 15,2 Prozent der Wahlberechtigten ausmacht. Aber auch von der Wahlbeteiligung. Vor allem die niedrige Teilnahme an den landesweiten Kommunalwahlen und den insgesamt zwölf Regionalwahlen Ende Mai war laut Experten Schuld am Wahldebakel der Sozialisten.

Um so mehr verwunderte es auch, dass Spaniens sozialistischer Regierungschef in einer Art Flucht nach vorne die Neuwahlen ausgerechnet auf den 23. Juli vorzog. Eigentlich befindet sich das Land nämlich zu dieser Zeit im Ferien- und nicht im Wahlmodus. Hunderttausende Spanier sind bereits an den Mittelmeerküsten des Landes und genießen am Strand Paellas und "Tintos de Verano" (Rotwein mit Limonade).

20.000 Zusatzhelfer

So war es auch folgerichtig, dass die spanische Post bis zu 20.000 Zusatzhelfer einstellen musste, um die 2,5 Millionen Anträge auf Briefwahl bearbeiten zu können - doppelt so viele wie bei den vorläufig letzten Parlamentswahlen 2019. Von Wahlmüdigkeit ist also zumindest im Vorfeld keine Spur. Kein Wunder, steht doch viel auf dem Spiel.

Da eine absolute Mehrheit für eine der beiden großen Volksparteien eine Überraschung wäre, gibt es nur drei mögliche Szenarien, erklärt Politikexperte Pablo Simón der APA: "Neuwahlen" oder eine erneute, aber unwahrscheinlichere Mehrheit von Sozialisten und des Linkpakts "Sumar", zu dem auch der bisherige Regierungspartner Unidas Podemos gehört. "Oder, und so sagen es auch sämtliche Umfragen voraus, ein Wahlsieg der Konservativen, die allerdings von der rechtspopulistischen Vox-Partei abhängen würden".

Alternativen haben die Konservativen keine

Parlamentarische Alternativen haben die Konservativen keine. Sánchez wiederum stellte bereits selbst klar, er werde keine konservative Minderheitsregierung unterstützen, auch wenn dies heiße, dass die Konservativen die Rechtsradikalen in die Regierung holen müssten.

Genau dieses Panorama suchte anscheinend Premierminister Sánchez, als er die Parlamentswahlen selbst für seine eigene Partei überraschend in die spanischen Sommerferien legte. Er wusste, dass die Konservativen nach den Kommunal- und Regionalwahlen kurz vor Beginn der Wahlkampagne Koalitionen mit der Rechtsextremen eingehen mussten. Und so war es auch in Hunderten von Rathäusern und zahlreichen Regionalregierungen, die Mitte Juni gebildet wurden.

So hofft Sánchez, mit dem "Schreckgespenst des Rechtsrucks" moderate Zentrumswähler verunsichern und Spaniens Linkswähler mobilisieren zu können. Es wäre tatsächlich das erste Mal seit dem Ende der faschistischen Franco-Diktatur 1975, dass wieder eine rechtsextreme Partei in Spanien an die Macht käme.

Inhaltsloser Wahlkampf

Dementsprechend inhaltslos sah dann auch der Wahlkampf aus. Fast alle Parteien konzentrierten sich lieber drauf, den politischen Gegner zu diffamieren. Aber nicht nur von sozialistischer Seite. Auch Feijóo reduzierte seine Kampagne auf die simple Grundsatzentscheidung "Sánchez oder Spanien".

Seine Rechnung kann aufgehen. Die Person Sánchez ist in der Bevölkerung umstritten. So konzentrierte Feijóo seine Angriffe auf Sánchez selber und seinen Führungsstil und weniger auf seine Regierungspolitik. Das Problem der Konservativen: "Sie können Sánchez' wirtschaftspolitische Erfolge nicht kleinreden. Unter Sánchez wuchs die spanische Wirtschaft über dem EU-Schnitt. Viele Arbeitsplätze wurden geschaffen, die Mindestlöhne angehoben. Die Inflation ist mit knapp 1,6 Prozent eine der niedrigsten Europas", erklärt Politikexperte Simón.

Unter Sánchez, einem überzeugten Feministen, der sich seit dem 1. Juli zudem als staatsmännischer EU-Ratspräsident auf der internationalen Bühne zeigt, wurde Spanien in vielen Aspekten auch zur angesehenen Avantgarde in Europa, was Frauen- und Gleichheitsrechte betrifft. Sánchez führte Parität in Politik und Unternehmen ein, liberalisierte die Abtreibungs- und Euthanasiegesetze, brachte fortschrittliche Transgender voran und traute sich sogar Diktator Franco aus seiner berühmten Gruft im "Tal der Gefallenen" zu holen und auf einem konventionellen Friedhof umzubetten.

Unabhängigkeitskonflikt mit den Katalanen ruhiger

Unter Sánchez ist es sogar im Unabhängigkeitskonflikt mit den Katalanen ruhiger geworden. Doch hier setzt die Opposition an, die ihm vorhält, den Separatisten, von denen Sánchez Minderheitsregierung bisher abhängte, einen hohen Preis zu bezahlen. Wie seine Katalonien-Politik werden auch seine gesellschaftspolitischen Erfolge gerade von konservativen Wählern als rotes Tuch angesehen.

Es dürfte aber vor allem die polemische Politik seines bisherigen Koalitionspartners, der linkspopulistischen Unidas Podemos sein, die Sánchez sein Amt kosten könnte. Wenn nicht die neue Linkspartei Sumar, in der jetzt auch Podemos aufging, einen Überraschungserfolg bei den Wahlen hinlegt und doch noch eine Mehrheit für den spanischen Linksblock erzielen könnte.

Als Sánchez am Sonntag in Madrid seine Stimme abgab, wurde er laut Nachrichtenagentur Reuters von einer kleinen Gruppe von Menschen empfangen, die ihm "Lügner" zuriefen. Allerdings war auch eine ähnlich große Anzahl seiner Fans vor Ort, die ihn als "Premierminister" feierten, wie im spanischen Fernsehen TVE zu sehen war. Er sagte Reportern, er habe für die Wahl ein "gutes Gefühl".

PP-Spitzenkandidat Feijóo erklärte vor seinem Wahllokal in Galicien, er hoffe, dass Spanien eine "neue Ära" beginnen könne. Vox-Chef Santiago Abascal wiederum betonte "das Wichtigste" sei, dass Spanien seinen Kurs ändert". Sumar-Chefin Yolanda Díaz meinte, die Menschen müssten verstehen, dass ihre "Rechte auf dem Spiel stehen", sie sollten zahlreich an den "wahrscheinlich wichtigsten Wahlen" ihrer Generation teilnehmen.

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