Kriegszustand besteht wegen Kurilen-Streits offiziell fort - Friedensvertrag "ohne Vorbedingungen"
Mehr als 70 Jahre nach dem Kriegsende hat Russlands Präsident Wladimir Putin Japan überraschend einen Friedensvertrag noch in diesem Jahr vorgeschlagen. Die Nachbarn streiten sich seit Jahrzehnten über die Kurilen-Inseln im Pazifik und haben deshalb nach dem Zweiten Weltkrieg offiziell noch nicht die Waffen endgültig niedergelegt.
Putin mit "einer Idee im Sinn"
"Mir kommt gerade eine Idee in den Sinn", sagte Putin am Mittwoch zu Japans Regierungschef Shinzo Abe auf einem Wirtschaftsforum in Wladiwostok: "Lassen Sie uns einen Friedensvertrag vor Ende des Jahres schließen, ohne irgendwelche Vorbedingungen." Abe äußerte sich zunächst nicht zu dem Angebot.
Abe hatte allerdings bereits am Montag gesagt, die Gespräche mit Putin würden sich auf einen Friedensvertrag zubewegen. Später in der gemeinsamen Veranstaltung mit Abe unterstrich Putin: "Ich habe das nicht scherzhaft gemeint." Die Kurilen ziehen sich in einem 1.200 Kilometer langen Bogen aus rund 30 Inseln von der nördlichen japanischen Hauptinsel Hokkaido zur russischen Halbinsel Kamtschatka. Japan beansprucht die von der Roten Armee in den letzten Kriegstagen besetzen südlichen Kurilen. Damals mussten Tausende Japaner ihre Heimat verlassen. Russland hatte seine Militärpräsenz auf den Kurilen zuletzt ausgebaut. Auf den felsigen Inseln leben rund 19.000 Russen.
Kurilen-Streit seit Jahrzehnten Belastung
Der Kurilen-Streit belastet seit Jahrzehnten die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder. Putin sagte, sein Vorschlag sei, dass zunächst ein Friedensvertrag geschlossen und dann über die Streitfragen gesprochen werde. Wegen der hohen Bedeutung der Kurilen-Frage in der japanischen Politik halten es Beobachter allerdings für unwahrscheinlich, dass die Regierung in Tokio ohne Zusicherungen des Kreml zum Schicksal der Inseln einen Friedensvertrag unterzeichnen würde. In Japan werden die Inseln als "Nördliche Gebiete" bezeichnet.
Sowohl Putin als auch Abe haben öffentlich erklärt, sie wollten den Insel-Streit beilegen. Abe zufolge könnte dies Investitionen japanischer Unternehmen in Russland erleichtern. Russland leidet unter westlichen Sanktionen, unter anderem wegen der Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim. Eine Rückgabe der Inseln könnte Putin in der Heimat allerdings als Schwäche ausgelegt werden. Putin hatte sich zuletzt auch besorgt gezeigt über eine mögliche Stationierung eines US-Raketenabwehrsystems in der Region. Japan hatte vergangenes Jahr erklärt, seine Raketenabwehr mit dem US-System "Aegis" verstärken zu wollen. Begründet wurde dies mit der Bedrohung durch Nordkoreas Raketen.
In 70 Jahren keine Lösung gefunden
Moskau und Tokio versuchten seit 70 Jahren, eine Lösung in dem Gebietsstreit zu finden, sagte Putin. Abe habe vorgeschlagen, die Herangehensweise zu ändern, seine Antwort sei: "Lasst es uns tun! Lasst uns ein Friedensabkommen schließen, nicht jetzt, aber bis Jahresende, ohne Vorbedingungen." Auf dessen Grundlage könnten dann beide "als Freunde" alle Probleme lösen, "die wir in den vergangenen 70 Jahren nicht lösen konnten".
Ein japanischer Regierungssprecher reagierte zurückhaltend. Er wolle Putins Vorschlag nicht kommentieren, sagte Yoshihide Suga. Er erinnerte an das "grundlegende Prinzip" wonach Tokio ein Friedensabkommen nur nach einer vorherigen Beilegung des Gebietsstreits um die Kurilen unterzeichnen werde.
Putins Äußerungen bloß Provokation?
Putins Äußerungen stehen im Widerspruch zu seiner bisherigen Haltung. Noch am Montag hatte er betont, es wäre "naiv zu glauben, dass das Problem bald gelöst werden kann". Der russische Präsident und der japanische Regierungschef hatten in den vergangenen Jahren zahlreiche Gespräche zu dem Thema geführt. Vor Putins Angebot hatte Abe bei dem Wirtschaftsforum erneut zu einer Einigung aufgerufen: "Wenn wir es jetzt nicht tun, wann dann? Wenn wir es nicht tun, wer dann?", mahnte der japanische Regierungschef. Beide Seiten seien sich allerdings im Klaren darüber, "dass es nicht leicht wird".
Der frühere russische Vize-Außenminister Georgi Kunadse sagte dem Radiosender Moskauer Echo, Putins Äußerungen seien lediglich eine gezielte Provokation. Der Präsident erwarte überhaupt keine Einigung mit Japan. Zudem sei es höchst unwahrscheinlich, dass Abe ein Abkommen ohne vorherige Einigung im Gebietsstreit unterzeichnen würde.