Eskalation in Chemnitz

Rechte Hetzjagd nach Tod von 35-Jährigem auf Stadtfest

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Haftbefehle nach Tötungsdelikt auf Stadtfest beantragt. Deutsche Bundesregierung verurteilt "Hetzjagden" auf Ausländer.

Nach dem gewaltsamen Tod eines Manns auf dem Chemnitzer Stadtfest sind Haftbefehle gegen zwei Tatverdächtige beantragt worden. Wie die Staatsanwaltschaft Chemnitz am Montag mitteilte, wird einem 23-jährigen Syrer und einem 22-jährigen Iraker gemeinschaftlicher Totschlag vorgeworfen.

Die deutsche Bundesregierung verurteilte die Ausschreitungen in Chemnitz nach dem Tötungsdelikt. Derartige "Zusammenrottungen" und "Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens" seien nicht hinnehmbar, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.

35-Jähriger starb nach Ausschreitungen bei Stadtfest

In der Nacht zum Sonntag war es am Rande des Chemnitzer Stadtfests zu einer Auseinandersetzung zwischen mehreren Menschen unterschiedlicher Nationalitäten gekommen. Dabei wurden drei Männer schwer verletzt. Ein 35-Jähriger starb später im Krankenhaus. Zwei Männer, die zunächst vom Tatort flüchteten, wurden anschließend vorläufig festgenommen.

Die 22 und 23 Jahre alten Männer seien aufgrund der bisherigen Ermittlungen "dringend verdächtig", nach einem verbalen Streit ohne Grund mehrfach mit einem Messer auf den 35-jährigen Deutschen eingestochen zu haben, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Sie sollten dem Haftrichter am Amtsgericht Chemnitz vorgeführt werden, der über die Haftanträge entscheiden muss.

 


 

 


 

Motiv noch unklar - Polizei wies Spekulationen zurück

Das Tatmotiv sowie der genauer Ablauf der Tat blieben zunächst weiter im Dunkeln. Die Staatsanwaltschaft gab dazu mit Verweis auf die andauernden Ermittlungen nichts bekannt. Die Polizei dementierte Gerüchte, wonach es angeblich einen zweiten Todesfall gegeben habe. Zuvor hatte sie bereits Spekulationen zurückgewiesen, wonach der Auseinandersetzung die Belästigung einer Frau vorausgegangen sein soll.

Nach der Gewalttat hatte sich die Situation in Chemnitz hochgeschaukelt, auch befeuert durch Gerüchte in den sozialen Netzwerken. Nach einer von der AfD organisierten Spontankundgebung mit rund einhundert Teilnehmern zogen am Sonntagnachmittag dann rund 800 Menschen durch die Innenstadt. Dazu aufgerufen hatte eine rechtsextreme Hooligangruppe. Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei, die zunächst mit der Situation überfordert schien. Auch Jagdszenen auf Ausländer soll es gegeben haben.

 

Demos gehen weiter - Polizei versucht Aufeinandertreffen zu verhindern

 

Am Tag nach den Übergriffen auf Ausländer in Chemnitz hat die Polizei versucht, ein Aufeinanderprallen von rechten und linken Gruppen zu verhindern. Kurz nach einer Kundgebung gegen rechte Gewalt im Stadtpark von Chemnitz drängten am Montag Hunderte Demonstranten in Richtung einer Kundgebung der rechten Szene auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Dort skandierten sie Parolen wie "Nationalismus raus aus den Köpfen" und "Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda".

In Sicht- und Hörweite hatte die rechte Szene am Karl-Marx-Monument eine Kundgebung mit einem Aufzug durch die Innenstadt beantragt. Geschätzt 1.000 Menschen hatten sich dort versammelt. Am Monument wurde ein Transparent mit dem Spruch "Deitsch un' frei woll'n mer sei" des Dichters Anton Günther (1876-1937) angebracht. Hunderte Beamte der Bereitschaftspolizei hatten die Straße zwischen beiden Kundgebungen gesperrt.

Der Oberbürgermeister von Chemnitz, Miko Runkel, erklärte, man habe keine Handhabe, den Marsch der rechten Szene durch die Stadt zu untersagen. Es seien aber entsprechende Auflagen erteilt worden. Details nannte er keine.

Die Bereitschaftspolizei sicherte mit Hunderten Beamten beide Veranstaltungsorte und versuchte, ein Zusammentreffen der beiden Gruppierungen zu verhindern. "Wir sind gut vorbereitet. Wir haben ausreichend Kräfte angefordert", sagte die Chemnitzer Polizeipräsidentin Sonja Penzel. Zu der Anzahl der Einsatzkräfte wollte sie aus einsatztaktischen Gründen keine Angaben machen.

Regierung verurteilt rechten Aufmarsch

"In Deutschland ist kein Platz für Selbstjustiz, für Gruppen, die auf den Straßen Hass verbreiten wollen, für Intoleranz und für Extremismus", sagte Regierungssprecher Seibert. Was in Chemnitz vorgefallen sei, habe "in unserem Rechtsstaat keinen Platz". Der Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete den Tod des 35-Jährigen bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung als "schrecklich". Die Bluttat werde nun von der Polizei "mit allem Einsatz aufgeklärt". Auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil verurteilte jegliche Form von Selbstjustiz.

Für den späten Montagnachmittag riefen linke und rechte Gruppierungen zu weiteren Demonstrationen in Chemnitz auf. Linke Gruppen wie "Chemnitz nazifrei" wollten gegen eine von der rechtspopulistischen "Bürgerbewegung Pro Chemnitz" geplante Kundgebung protestieren.

Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) sagte im ARD-"Mittagsmagazin", die Polizei sei am Abend mit zusätzlichen Kräften vor Ort. Es müsse verhindert werden, dass "Gewalttäter die Situation für sich instrumentalisieren". Wöller sprach von einer "schrecklichen Tat, die uns alle erschüttert".

Sachsens SPD-Chef und stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig warnte vor Selbstjustiz und Gerüchtemacherei. Die "anständigen Sachsen" müssten sich dagegen wehren, "dass rechte Populisten und Extremisten die Gunst der Stunde nutzen, um gegen Ausländer zu hetzen". Grüne und Linke forderten von der Staatsregierung, Gewaltexzesse von Rechten nicht zu dulden.

Die AfD distanzierte sich von den Ausschreitungen Rechtsextremer. Zugleich kündigte die sächsische AfD an, am Samstag gemeinsam mit der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung in Chemnitz gegen die "durch die CDU-Politik der offenen Grenzen erzeugte Gewalt in Sachsen" zu demonstrieren.
 

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