Seine Rede wurde nicht gezeigt

Sensation in Weißrussland: Lukaschenko blitzt im Staatsfernsehen ab

Teilen

Es klingt für Westeuropäer wohl banal, in Belarus hingegen ist es eine kleine Sensation. Die sonst regimetreuen Fernsehsender ließen den Diktator im Regen stehen.

Eine Woche nach der umstrittenen Präsidentenwahl in Weißrussland (Belarus) und Massenprotesten gegen die Regierung sucht Staatschef Alexander Lukaschenko den Schulterschluss mit Russland. Präsident Wladimir Putin sicherte Lukaschenko in einem Telefonat am Sonntag auch militärische Hilfe zu und sprach von Druck von außen auf das Land.

Lukaschenko selbst warf der NATO einen Truppenaufmarsch an der Westgrenze der ehemaligen Sowjetrepublik vor, was die NATO umgehend zurückwies. Lukaschenko sagte, Panzer und Flugzeuge würden in Stellung gebracht. Nachbarn wie Polen oder Litauen wollten neue Wahlen in Belarus erzwingen, erklärte Lukaschenko vor Tausenden Anhängern bei einer für ihn organisierten Demonstration in Minsk. In der Hauptstadt protestierten am Sonntag auch wieder Zehntausende gegen Lukaschenko.

Der 65-Jährige regiert das Land seit 26 Jahren autoritär. Bei der Wahl am vergangenen Sonntag hatte er sich zum Sieger mit großem Vorsprung erklärt. Die Opposition machte Wahlbetrug aus und reagierte mit Demonstrationen, gegen die Sicherheitskräfte vorgingen. Auch die Europäische Union (EU) äußerte Zweifel an der Wahl. Lukaschenko wies die Vorwürfe zurück. Bei Ergebnissen von mehr als 80 Prozent könne es keinen Wahlbetrug geben, sagte er der Staatsagentur Belta zufolge am Sonntag bei einer Kundgebung von Anhängern in Minsk. "Ich stehe hier wie vor Gott." Zugleich lehnte er Neuwahlen ab.

Allerdings scheint sein Machtapparat langsam aber sicher den Geist aufzugeben. Denn die strikt durchgeplante Kundgebung für die Lukaschenko Tausende Anhänger aus dem ganzen Land nach Minsk bringen ließ und die eine Machtdemonstration seinerseits sein sollte, konnten nur die wenigsten Weißrussen auch wirklich sehen - zumindest live. Denn keiner der beiden Staatssender strahlte die Rede des Diktators live aus.

Die Journalisten der TV-Stationen kündigten bereits eine Arbeitsniederlegung an. Der Gegenwind für Lukaschenko wird immer stärker. Er selbst weiß dies wohl auch, weshalb sein Ton auch immer schärfer wird. "Ich würde Sie gerne fragen: Was ist los mit euch? Wenn ihr Lukaschenko zerstört, den ersten Präsidenten, wird das der Anfang von eurem Ende sein. Ihr werdet, wie in der Ukraine, auf euren Knien stehen und sonst jemanden anbeten", wetterte er in Richtung Opposition. "Wir werden Ihnen niemals unser Land geben. Ich habe diesem Land meine besten Jahre gegeben", so Lukaschenko in seiner Rede.

Am Freitag hatte die EU Sanktionen gegen Personen auf den Weg gebracht, die für mutmaßliche Wahlfälschung und die Niederschlagung von Protesten verantwortlich gemacht werden. Ein EU-Diplomat hatte gesagt, die Europäische Union müsse Druck auf Lukaschenko ausüben, ohne ihn weiter in die Arme Russlands zu treiben. Das Außenministerium in Minsk erklärte örtlichen Medien zufolge, Belarus wolle den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen, auch wenn es nun schwierig sei, den Dialog fortzusetzen.

Der weißrussische Botschafter in der Slowakei erklärte unterdessen seine Solidarität mit den Demonstranten in seiner Heimat. In einem undatierten Video, das am Wochenende von Nasha Niva Media veröffentlicht wurde, sagte Igor Leschenja: "Ich bin solidarisch mit jenen, die friedlich auf den Straßen belarussischer Städte marschieren, damit ihre Stimme gehört wird. Die Weißrussen haben dieses Recht durch ihr Leiden erreicht".

Lukaschenko lehnte es aber ab, dass das Ausland in seinem Land vermitteln könnte. Hilfe erhofft er sich offenbar nur aus dem Nachbarland Russland. Minsk hat wohl deshalb 33 russische "Söldner" freigelassen, die nach Darstellung der Behörden Unruhe vor der Wahl stiften wollten. Die Ukraine ist wegen der Freilassung verärgert, weil sie selbst gegen einige Männer ermitteln wollte. Der Vorwurf: Sie sollen Separatisten in der Ostukraine unterstützt haben.

Lukaschenko hatte lange eine enge Verbindung mit Russland gepflegt. Das Verhältnis war zwischenzeitlich aber abgekühlt. Im Zuge der jüngsten Proteste hatte Lukaschenko wieder verstärkt den Kontakt zu Putin gesucht. Am Samstag deutete Lukaschenko an, die Proteste könnten sich auch über Belarus hinaus ausweiten. Das russische Präsidialamt erklärte am Sonntag, man sei im Rahmen des mit dem Nachbarland bestehenden Militärabkommens zu Hilfe bereit.

Seinen Anhängern in Minsk rief Lukaschenko zu: "Die Truppen der NATO stehen vor unseren Türen. Litauen, Lettland, Polen und die Ukraine befehlen uns, neue Wahlen abzuhalten." Dies wäre aber das Ende des Staates Belarus. "Ich habe Euch niemals betrogen und werde das nie tun", versprach er. Wenn die Menschen Reformen wollten, sei er bereit, diese schon morgen anzugehen.

Eine NATO-Sprecherin erklärte, es gebe keinen Aufmarsch. Das Bündnis bedrohe kein Land und sei strikt defensiv. Litauen wies wie die NATO die Vorwürfe Lukaschenkos zurück. Es werde offenbar ein Vorwand für russische Hilfe gesucht, sagte Außenminister Linas Linkevicius. Dem litauischen Verteidigungsministerium zufolge war ein Manöver in der ersten August-Hälfte seit langem geplant gewesen. Weitere in diesem Monat werde es nicht geben. Der russischen Agentur RIA zufolge plant die Armee von Belarus nun ihrerseits Übungen an der litauischen und polnischen Grenze.

Die Opposition setzte ihre tagelangen Proteste gegen Lukaschenko auch am Sonntag fort, nachdem schon am Samstag wieder Zehntausende auf die Straße gegangen waren. Deutlich mehr Menschen als zuletzt beteiligten sich an den Protesten gegen Gewalt und Willkür unter dem Langzeitpräsidenten. Allein in Minsk wurde ihre Zahl auf etwa 100.000 geschätzt. In Videos in oppositionsnahen Kanälen des Nachrichtendienstes Telegram war eine riesige Menschenmenge zu sehen. Aktionen gab es in allen Städten des Landes. Es blieb zunächst überall friedlich.

Auch in den Staatsbetrieben rumort es und immer mehr Mitarbeiter legen aus Wut über das Vorgehen der Behörden die Arbeit nieder. Das könnte die Wirtschaft des Landes schwer schädigen. Lukaschenko wird deshalb nicht müde, genau davor zu warnen. Am Montag will er den staatlichen Lastwagenbauer besuchen.

Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja rief von Litauen aus zu weiteren Protesten auf und forderte eine Neuauszählung der Wahlzettel. Nach Angaben aus ihrem Wahlkampfteam bereitet sie einen Nationalen Rat zur Übergabe der Macht vor. Tichanowskaja war nach der Wahl offenbar nach Drohungen der Behörden nach Litauen emigriert. Ihr Mann ist als Oppositioneller seit längerem in Belarus in Haft.

Emotionale Szenen spielten sich auch bei einer Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten in Minsk ab. Fotos lassen Zweifel aufkommen, ob der 34-Jährige tatsächlich durch einen eigenen Sprengsatz ums Leben kam, den er auf Sicherheitskräfte schleudern wollte, wie die Behörden behaupten. Ein Augenzeuge sagte dem Portal tut.by, der Mann sei auf die Polizei zugelaufen, es habe keine Explosion gegeben.

Das Ausland, aber auch Künstler, Kirche und Musiker in Belarus selbst riefen den Staatsapparat zum Gewaltverzicht auf. Die weißrussische Rockband BI-2 etwa schrieb bei Telegram: "Leute, hört endlich auf, Eure eigenen Leute zu schlagen."
 

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.
OE24 Logo
Es gibt neue Nachrichten