Istanbul

Straßenschlachten bei Protesten gegen Erdogan

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Polizei ging mit Tränengas und Wasserwerfern gegen Demonstranten vor.

Nach mehrtägiger Konfrontation mit Demonstranten in Istanbul hat sich die türkische Polizei am Samstag vom zentralen Taksim-Platz zurückgezogen. Tausende Protestteilnehmer rückten daraufhin umgehend auf den Platz vor, wie AFP-Korrespondenten berichteten. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan forderte ein sofortiges Ende der Proteste, räumte aber ein, dass die Polizei in einigen Fällen "extrem" auf die gewaltsamen Demonstrationen reagiert habe. Die Proteste breiteten sich am Samstag auch auf andere türkische Städte aus. In Wien fand eine Solidaritätskundgebung statt.

Am Samstag hatte es in der Millionenmetropole zunächst den zweiten Tag in Folge heftige Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei gegeben. Schon in der Nacht zum Samstag gab die Polizei die Zahl der Festgenommenen mit 63 an. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) sprach von mehr als 100 Verletzten. Von diesen wurden nach offiziellen Angaben zwölf im Krankenhaus behandelt, darunter eine Frau mit einem Schädelbruch.

Straßenschlachten in Istanbul

Die Sicherheitskräfte im Stadtzentrum waren darum bemüht, ein Vordringen der zumeist jungen und vermummten Demonstranten zum Taksim-Platz zu verhindern. Die Protestierer riefen "Gemeinsam gegen den Faschismus" und forderten den Rücktritt der Regierung. Auch zum Schutz gegen das Tränengas hatten sie sich Taschentücher und chirurgische Masken umgebunden. Kellner aus umliegenden Luxushotels brachten ihnen Zitronen, mit denen sich die Demonstranten das Tränengas aus den Augen wischten. Hausbewohner signalisierten Unterstützung, indem sei lautstark auf Töpfe und Pfannen schlugen.

"Hier kommen Menschen aus allen Schichten zusammen", sagte ein friedlich protestierender Architekt. "Sie demonstrieren gegen die Regierung und die Art Erdogans, wie ein König zu entscheiden." Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) warf Erdogan diktatorisches Verhalten vor. "Zehntausende sagen Nein und opponieren gegen den Diktator", sagte Parteichef Kemal Kilicdaroglu.

Die Proteste richteten sich unmittelbar gegen die Umgestaltung des Gezi-Parks und die Errichtung eines Einkaufszentrums unweit des Taksim-Platzes im Stadtzentrum, zielen inzwischen aber auch auf die Regierung. Die Kritiker prangern vor allem einen zunehmend konservativen und autoritären Regierungsstil an. Kritisiert wird unter anderem das jüngst verschärfte Verbot zum Verkauf von Alkohol während der Nacht.

Funken springen über
Am Samstag griffen die Proteste auch auf andere türkische Städte über. In Ankara verhinderte die Polizei am Samstag einen Protestzug zum Parlament und zum Büro des Ministerpräsidenten. Die Demonstrationen sind eine der größten Protestbewegungen gegen Erdogan, seit dieser 2002 an die Macht kam.

Erdogan kündigte an, den Tränengaseinsatz untersuchen zu lassen. Die Polizei habe aber das Recht, auf die Lage angemessen zu reagieren. Der Taksim-Platz dürfe nicht den Extremisten überlassen werden. Der Platz hat eine lange Tradition als Demonstrationsort. Zugleich bekräftigte Erdogan die Pläne zum Umbau des Taksim-Platzes. Für die Demonstranten seien sie nur ein Vorwand, Spannungen auszulösen, sagte der konservative Regierungschef und forderte ein Ende der Demonstrationen. "Wer Probleme mit der Politik der Regierung hat, kann sie im Rahmen der Gesetze und der Demokratie vortragen. Ich fordere das sofortige Ende dieser Aktionen." Allerdings gab es nahezu zeitgleich Aufrufe zu Protestkundgebungen in mehr als einem Dutzend türkischer Städte.

Solidaritätskundgebung in Wien
Auch in Wien fand am Samstag unter dem Motto "Halt durch Gezi Park. Wien ist hinter dir" eine Solidaritätskundgebung mit den Demonstranten in Istanbul statt. Rund 500 Menschen versammelten sich nach Angaben der Polizei zu Beginn der Veranstaltung um 16.30 Uhr im Resselpark am Karlsplatz. Die vorwiegend jungen Männer und Frauen schwenkten türkische Fahnen, "Istanbul du bist nicht allein", war auf einem großen Transparent zu lesen. Der Demonstrationszug soll später zum Stadtpark ziehen, die Polizei erwartet bis zu 2.000 Teilnehmer. Auf Facebook hatten sich knapp 3.000 Personen für die Veranstaltung angemeldet.

Regierungschefs besorgt
Besorgte Reaktionen kamen aus der EU und den USA. Europaparlaments-Präsident Martin Schulz erklärte, die Härte der Polizei sei "völlig unangemessen". Ähnlich äußerte sich die österreichische EU-Abgeordnete Evelyn Regner (S): Die EU dürfe nicht wegschauen, sondern müsse Verletzungen der Menschenrechte in der Türkei, die mit der EU über einen Beitritt verhandelt, "auf das Schärfste verurteilen". Alev Korun, außenpolitische Sprecherin der Grünen, forderte Erdogan auf, die " "Gewaltexzessen der türkischen Polizei" gegen friedliche Demonstranten zu beenden. Das US-Außenministerium erklärte, "die langfristige Stabilität, Sicherheit und der Wohlstand" der Türkei könnten am besten durch Garantien für die "grundlegenden Rechte der Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit garantiert" werden.

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