Isabelle Daniel in Damaskus

Syrien: Über 300 Tote in Homs

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 Regime dementiert Armeeinsatz bei Blutbad in der Protesthochburg.

Bei einem Blutbad in der syrischen Protesthochburg Homs hat die Armee nach neusten Angaben des arabischen Fernsehsenders Al-Arabiya 337 Menschen getötet. Wie der Sender am frühen Samstag in der Früh weiter berichtete, wurden etwa 1.300 Menschen verletzt. Die syrische Führung dementierte unterdessen Berichte, wonach die Armee in Homs ein Blutbad verübt hat. Die Zivilisten seien von bewaffneten Männern getötet worden, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Sana.

Auch das syrische Staatsfernsehen bestritt nach Angaben des US-Senders CNN Berichte über den Beschuss von Stadtvierteln in Homs durch die Streitkräfte. Das sei eine "Medienkampagne", die Lügenmärchen und Unwahrheiten benutze, um die Entscheidung des UNO-Sicherheitsrates zu beeinflussen und um Verbrechen und Angriffe zu verschleiern, die von bewaffneten terroristischen Gruppen begangen worden seien, berichtete CNN weiter.

Trotz einer russischen Vetodrohung will der UNO-Sicherheitsrat noch heute über eine Syrien-Resolution entscheiden. Marokko hat für 10.00 Uhr (Ortszeit, 16.00 Uhr MEZ) eine Sondersitzung beantragt und will seinen Entwurf dann zur Abstimmung bringen, hieß es von westlichen Diplomaten. Nur wenige Stunden zuvor hatte die Vetomacht Russland mitteilen lassen, sie wolle das auch von ihrem Botschafter ausgehandelte Papier nicht mittragen.

Russland kann mit seinem Veto jede noch so starke Mehrheit überstimmen und hat das in der Vergangenheit auch getan, um jede Kritik an seinem Waffenkunden Syrien zu unterbinden. Auf russisches Drängen war der von Arabern und Europäern eingebrachte Entwurf bereits verwässert worden, die Ächtung des Waffenhandels, der Ruf nach freien Wahlen und der Ablösung von Präsident Bashar al-Assad fand sich nicht mehr in dem Kompromiss.

In Syrien gibt es seit fast elf Monaten massive Oppositionsproteste gegen das Assad-Regime, auf die dessen Sicherheitskräfte mit aller Gewalt reagieren. Die Führung in Damaskus macht immer wieder "Terroristen" für die anhaltende Gewalt im Land verantwortlich. Seit vergangenem März kamen nach UNO-Angaben mit Stand vor dem Massaker in Homs mehr als 5.400 Menschen ums Leben, Menschenrechtler gingen von mindestens 6.000 Todesopfern aus.

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Der nächste Brandherd im Nahen Osten: Aus Syrien erreichen uns täglich Informationen über blutige Kämpfe in den Straßen – vor allem in der Stadt Homs.

5.600 Menschen starben bereits, weil sie gegen den verhassten Präsidenten Bashar al-Assad protestierten. Der Bürgerkrieg beschäftigt derzeit auch den UNO-Sicherheitsrat.

Bericht aus Damaskus
Seit gestern ist ÖSTERREICH-Reporterin Isabelle Daniel im Krisengebiet, berichtet live:
Die Straßen von Damaskus sind fast gespenstisch ausgestorben. Da, wo sonst Unmengen an Menschen und Autos unterwegs sind, sieht man fast nur Polizisten. An jedem Eck stehen mindestens fünf. Die Menschen sind gezeichnet von elf Monaten Kämpfen. Man sieht ihnen die Angst an, dass der herandrohende Bürgerkrieg nun Damaskus erreichen könnte.

Rache
Bewaffnete Aufstände, die brutal niedergeschlagen werden, beherrschen das Land. Über 7.000 Menschen sind bereits ums Leben gekommen. Gestern vor genau 30 Jahren hatte Hafez al-Assad, der Vater des heutigen Präsidenten Bashar, rund 10.000 Menschen – laut syrischem Regime Islamisten – töten lassen. 30 Jahre später wollen sich hier viele am 47-jährigen Augenarzt, der zum Schrecken des Westens wurde, rächen.

Schwer bewaffnet
In der Nähe einer Moschee stehen Soldaten in Zivil, mit Kalaschnikows. Neben ihnen sind die Männer vom Mukhabarat – dem gefürchteten syrischen Geheimdienst postiert. Fotografieren sieht man hier nicht gerne. „Woher sind Sie?“, fragen drei Männer mit Kalaschnikows. „Nemsa – Österreich“, die dunklen Mienen hellen sich auf. „Ich habe bei Red Bull gearbeitet. Jetzt musste ich zum Militär“, sagt ein junger Soldat höflich. „Ist die Lage unter Kontrolle?“ „Im Zentrum schon“, antwortet er.

Hier hat Assad noch viel Unterstützung. Hier sieht man viele Fotos von ihm. Je näher man in die Peripherie kommt, desto mehr dreht sich das Bild: Kein Foto von Assad ist hier zu finden. Dafür schreckliche Armut. „Ich kann mir nicht einmal eine Ehefrau leisten“, beklagt ein junger Mann. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Korruption groß.

Blutdurst
Vereinzelt sieht man plötzlich Frauen. Alle sind verschleiert. Hier in Damaskus, wo noch vor wenigen Jahren viele Frauen stolz ihr Haar offen trugen, ist der Islamismus offensichtlich im Vormarsch. „Assad ist ein Ungläubiger“, sagt einer mit zornigen Augen. „Assad wird enden wie Gaddafi“, droht einer. Blutdurst liegt in der Luft. Auf beiden Seiten …

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