Katastrophe in Genua

Todes-Brücke: Dutzende Opfer klagen an

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Dutzende Tote klagen die Be­treiber der Todesbrücke an. „Die Schuldigen müssen zahlen!“

Genua. Roberto Robbiano, ein Elektriker, seine Frau Er­silia Piccinino und ihr siebenjähriger Sohn Samuel fuhren am Dienstag gegen 11.30 Uhr nichts ahnend auf die Morandi-Brücke, als ein mächtiges Gewitter niederging. Gerade, als sie auf der Mitte der Brücke waren, gab ein 200 Meter langes Teilstück der mehr­spurigen Straße nach, krachte 40 Meter nach unten. Robbiano und seine Familie hatten keine Chance: Sie wurden in ihrem Auto von nachstürzenden Betonteilen und verdrehten Stahlteilen erdrückt.

Zumindest 35 Autos und drei Lastwagen waren auf der Brücke, als das Unglück geschah. Darunter auch der junge Franzose Nathan Gusman (20) und seine Freundin Melissa Artus. Sie waren auf dem Heimweg von einem Sardinienurlaub. Auch sie hatten keine Chance. Ebenso zwei Arbeiter, die auf einer Umweltinsel unter der Brücke gearbeitet hatten und von Betonteilen erschlagen wurden.

Familie zwischen Tonnen Stahlbeton eingeklemmt

Opfer. Bis Mittwochabend wurden 42 Tote geborgen. Noch immer werden Opfer unter den Trümmerteilen vermutet. 16 Verletzte liegen in Spitälern. Bei vielen besteht Lebensgefahr: „Die Schuldigen für diese Katastrophe müssen bestraft werden!“, so die Angehörigen der Opfer.

42 Menschen verloren an der Brücke ihr Leben.
 
Todes-Brücke: Dutzende Opfer klagen an
© Facebook
Familie starb: Roberto Robbiano, seine Frau Ersilia und Sohn Samuel stürzen in den Tod.
 
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Roberto Rabbiano und seine Frau am Strand. 
 
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Anästhesist Alberto Fanfani, 32, Freundin Marty, 29, starben.
 
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Nathan Gusman, 20, Freundin Melissa, 22, aus Frankreich.
 
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Stella Boccia, 24, und ihr Freund wurden zerquetscht.
 
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Juan carlos Pastenes, 64, und seine Frau Nora aus Chile.

15 Autofahrer konnten lebend aus ihren Wracks befreit werden, darunter Ex-Fußballer Davide Capello, der völlig unverletzt blieb (siehe rechts).

Vorwürfe. Seit dem Kollaps der Brücke werden die Vorwürfe gegen die privaten Betreiber der Autobahn immer lauter. Fotos, die vor drei Wochen aufgenommen wurden, zeigen brüchigen Beton (siehe unten), rostigen Stahl. Zahlreiche Experten forderten bereits 2009 den Abriss der Brücke: „Bisher wurde so viel Geld in die Reparaturen gesteckt, wie ein kompletter Neubau gekostet hätte“, sagt Antonio Brencich, Experte der örtlichen Universität. Bereits vor zwei Jahren hat er die Sperre der Morandi-Brücke angeregt.

Sanierung wurde immer wieder aufgeschoben

25,5 Millionen Autos fuhren pro Jahr über die Brücke. 20 Millionen Euro hätte eine Generalsanierung gekostet. Das wollte keiner finanzieren. Das Risiko wurde unterschätzt – mit katastrophalen Folgen.

Ausnahmezustand. Die italienische Regierung hat einen zwölfmonatigen Ausnahmezustand für Genua verhängt und fünf Millionen Euro Soforthilfe freigegeben.

"So desolat war die Brücke vor Einsturz"

Brüchig. Aufnahmen von vor drei Wochen zeigen: Der Beton an der Unterseite der Brücke ist brüchig, Seile hängen herunter, selbst mit freiem Auge war extreme Korrosion an den Metallteilen zu sehen. Anfang 1990 wurden die Tragseile der Brücke zuletzt ausgetauscht, seit 2016 gab es immer nur kleinere Wartungsarbeiten. Der private Autobahnbetreiber Autostrade bezifferte die Kosten für eine Generalüberholung mit 20 Mio. Euro, 12 Monate hätte die Brücke gesperrt werden müssen. Vorwürfe weist Autostrade zurück: Man habe die Brücke ­regelmäßig gemäß gesetzlichen Vorgaben kontrolliert.

Todes-Brücke: Dutzende Opfer klagen an
© Twitter

Kann das auch bei uns passieren?

Österreich. Rainer Kienreich ist als Asfinag-Geschäftsführer Herr über die größten Brücken Österreichs (siehe Interview). Für die lückenlose  Sicherheit setzt man hierzulande auf strenge Kontrollen.

Kontrolle. „Der Streckendienst ist täglich unterwegs, alle vier Monate wird durch ihn gewartet und kontrolliert“, so Kienreich gegenüber ÖSTERREICH. Alle zwei Jahre würden Bautechniker und Experten der Asfinag vor Ort im Detail kon­trollieren, alle sechs Jahre externe Ziviltechniker. Über diese Zeiträume könne man Veränderungen gut erkennen und „frühzeitig reagieren und sanieren, damit nichts passiert“.

Sogar Drohnen kommen zum Einsatz: „Damit kommt man wirklich in jeden Winkel“, so Kienreich. Sensoren machen außerdem eine Fern­überwachung möglich.

Rainer Kienreich: "Niemand muss bei uns Sorgen haben"

ÖSTERREICH: Wie kann so etwas passieren?

Rainer Kienreich: Wenn ein Teil im Tragebereich versagt, können das andere ausgleichen. Aber irgendwann kann das zu viel sein, und das System kollabiert.

ÖSTERREICH: Ist das auch in Österreich möglich?

Kienreich: Wir haben sehr robuste Bauwerke, die wir ständig kontrollieren. Da braucht niemand Sorgen haben, dass irgendwas schlummert. Hundertprozentige Sicherheit kann man aber nie garantieren.

ÖSTERREICH: Gibt es in Österreich ähnliche Brücken?

Kienreich: Wir haben zwei Schrägseilbrücken. Die Voest­brücke auf der A 7 bei Linz und eine auf der A 4 vom Flughafen nach Wien.

ÖSTERREICH: Was sagen Sie zu dem Unglück?

Kienreich: Jeder, der in diesem Bereich zu tun hat, ist wirklich betroffen.

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