Untersuchungshaft aufgehoben - Berufung angekündigt.
Trotz internationaler Kritik hat ein Gericht in der Türkei mehrjährige Haftstrafen gegen führende Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" verhängt. Das Gericht in Silivri bei Istanbul verurteilte den Herausgeber Akin Atalay, den Chefredakteur Murat Sabuncu und den prominenten Investigativjournalisten Ahmet Sik am Mittwochabend wegen Unterstützung einer Terrororganisation.
Alle Angeklagten können für die Dauer des Berufungsverfahrens in Freiheit bleiben. Auch Atalay, der als Einziger noch in Untersuchungshaft saß, wurde vom Gericht unter Auflagen freigelassen. Von den 17 angeklagten Journalisten und Mitarbeitern der Zeitung wurden 14 zu Haftstrafen zwischen zweieinhalb und gut sieben Jahren verurteilt. 13 wurden der "Unterstützung von Terrorgruppen, ohne Mitglied zu sein", schuldig befunden. Nur der Buchhalter Emre Iper wurde wegen "Terrorpropaganda" verurteilt. Drei Mitarbeiter wurden freigesprochen.
Getrennte Verhandlungen
Der Prozess gegen den in Berlin im Exil lebenden Ex-Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung, Can Dündar sowie gegen den ebenfalls flüchtigen Ilhan Tanir wurde ausgeschieden und soll getrennt verhandelt werden.
Das Urteil nach dem neunmonatigen Verfahren ist noch nicht rechtskräftig. Die Anwälte hatten schon davor angekündigt, Einspruch einzulegen.
Mehr als sieben Jahre Haft
Atalay wurde zu sieben Jahren, drei Monaten und 15 Tagen Haft verurteilt, Sabuncu und Sik zu je siebeneinhalb Jahren. Gegen mehrere andere Mitarbeiter des Blattes wurden kürzere Haftstrafen verhängt.
Die Staatsanwaltschaft hatte den Angeklagten Unterstützung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, der linksextremistischen DHKP-C und der Gülen-Bewegung vorgeworfen. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan macht die Bewegung um den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich. Die Staatsanwaltschaft hatte langjährige Haftstrafen gefordert.
Internationale Kritik
Der Prozess war international kritisiert worden. "Cumhuriyet"-Anwalt Duygun Yarsuvat sagte bei seinem Schlussplädoyer am Mittwoch: "Das ist ein politisch motivierter Prozess." Er habe das Ziel, die "Cumhuriyet" zum Schweigen zu bringen.
Sabuncu sagte: "Journalismus ist kein Verbrechen, wir haben nur Journalismus betrieben." In dem Prozess waren als Indizien Artikel und Twitter-Nachrichten der Angeklagten aufgeführt worden.
Ein Großteil der "Cumhuriyet"-Mitarbeiter war bei Razzien Ende 2016 festgenommen und anschließend in U-Haft genommen worden. Bei Prozessbeginn am 24. Juli 2017 saßen zwölf "Cumhuriyet"-Mitarbeiter in Untersuchungshaft. Zuletzt wurden Sabuncu und Sik im vergangenen Monat nach 490 Tagen beziehungsweise 430 Tagen U-Haft entlassen. Atalay saß 18 Monate in Untersuchungshaft.
Medien unter Druck
Die Medien in der Türkei stehen seit langem unter Druck. Unter dem nach dem Putschversuch verhangenen Ausnahmezustand hatte Erdogan per Dekret zahlreiche Medien schließen lassen. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation P24 sitzen mehr als 150 Journalisten in der Türkei im Gefängnis.
In der Türkei angeklagt ist auch die deutsche Journalistin Mesale Tolu, deren Prozess an diesem Donnerstag weitergeht. Tolus deutsch-türkischer Kollege Adil Demirci war vergangene Woche verhaftet worden und sitzt nun im Hochsicherheitsgefängnis in Silivri, in dem bis zu seiner Freilassung im Februar auch der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel inhaftiert war.
Außerdem wurde in dem Prozess Ahmet Kemal Aydogdu, der nicht bei Cumhuriyet arbeitet, wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, er bleibt in Haft.