Die türkische Regierung erwartet vom Wahlsieger die Fortsetzung der Wiedervereinigungsgespräche.
Nach dem Sieg des Hardliners Dervis Eroglu bei der Präsidentenwahl im türkischen Nordteil Zyperns hat die Türkei in sehr deutlicher Form die Erwartung ausgedrückt, dass die Wiedervereinigungsverhandlungen, die der abgewählte Volksgruppenführer Mehmet Ali Talat seit mehr als eineinhalb Jahren mit dem zypriotischen Präsidenten Demetris Christofias als Vertreter der griechischen Mehrheitsbevölkerung geführt hat, nicht gestoppt werden dürften. "Für den Erfolg der Verhandlungen wird die Türkei den Willen des türkisch-zypriotischen Volkes weiter unterstützen", schrieb Staatspräsident Abdullah Gül am Montag in einer Gratulationsbotschaft an Eroglu.
50,38 Prozent für Eroglu
Der Zypern-Konflikt ist das
Haupthindernis für eine Annäherung der Türkei an die Europäische Union,
deren Mitglied (seit 2004) die Republik Zypern ist. Die "Türkische Republik
Nordzypern" (KKTC) in dem seit 1974 von der Türkei militärisch besetzten
Inselteil wird nur von Ankara anerkannt und ist vollständig von der Türkei
abhängig. Eroglu, der Verfechter eine Zweistaatenlösung ist, legte
unmittelbar nach seinem Wahlsieg ein Gelöbnis im Sinne der Vorgaben aus
Ankara ab. "Niemand soll glauben, dass ich den Verhandlungstisch verlassen
werde. Der Gesprächsprozess muss weitergehen", sagte der bisherige Premier
und künftige KKTC-Präsident im türkischen Fernsehen.
Nach Angaben der Wahlbehörde kam Eroglu auf 50,38 Prozent der Stimmen. Damit erübrigt sich eine Stichwahl. Der bisherige Amtsinhaber Talat erhielt 42,85 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 75 Prozent. 164.000 Stimmberechtigte waren registriert. Da Ankara die demografischen Strukturen in den vergangenen Jahren durch die massive Ansiedlung von Festlandtürken stark verändert hat, machte der Anteil der Siedler schätzungsweise 100.000 aus. Ihnen dürfte der Gedanke, im Fall einer Volksgruppen-Einigung nach Anatolien zurückkehren zu müssen, eher Unbehagen bereiten. Ein UNO-Wiedervereinigungsplan war 2004 von den griechischen Zyprioten in einem Referendum massiv verworfen worden. Begründet wurde die Ablehnung damit, dass der Plan dem Großteil der nach der türkischen Invasion aus dem Norden Vertriebenen bzw. deren Nachkommen die Rückkehr in ihre Heimatorte verwehrte, zugleich aber vorsah, dass ein beträchtlicher Teil der angesiedelten Festlandtürken auf der Insel bleiben kann.
Gespräche werden fortgesetzt
Der türkische Ministerpräsident
Recep Tayyip Erdogan erklärte am Montag, es sei der Wunsch seiner Regierung,
dass die Wiedervereinigungsverhandlungen der beiden Zypern-Volksgruppen
fortgesetzt würden. In einem Kommuniqué des türkischen Außenministeriums,
das politische Kommentatoren als "kaum verhüllte Warnung" an die Adresse
Eroglus interpretierten, wurde der "besondere Charakter" der Beziehungen der
Türkei zur KKTC hervorgehoben und zugleich die Erwartung ausgedrückt, dass
die neue türkisch-zypriotische Führung nicht aus dem Verhandlungsprozess mit
den griechischen Zyprioten ausschere.
Eroglus deklariertes Verhandlungsziel - "eine Partnerschaft aus zwei souveränen Staaten" - lässt eine Einigung allerdings unmöglich erscheinen. Doch habe der Wahlsieger realpolitisch keine Möglichkeit, auf seinen bekannten Positionen zu beharren, erklärte der türkische Politologe Niyazi Kizilyürek. Denn das Zypern-Problem ist die größte Hürde auf dem Weg der Türkei in die EU. Die schleppenden Beitrittsgespräche beschränken sich bisher auf zwölf der insgesamt 35 Verhandlungskapitel. Acht wurden wegen der Weigerung Ankaras eingefroren, das EU-Mitglied Zypern anzuerkennen.
"Nicht wieder bei Null beginnen"
Die UNO-Resolutionen
sehen die Wiedervereinigung der Insel in Form eines "bikommunalen" und
"bizonalen" Bundesstaates vor. In den Volksgruppenverhandlungen ist die
griechisch-zypriotische Seite für eine "vereinigte Bundesrepublik" aus zwei
gleichberechtigten Gebietseinheiten eingetreten. Talat hatte eine Einigung
bis Mitte 2011 für möglich gehalten. Christofias hat kurz vor der
Nordzypern-Wahl erklärt, die Verhandlungen könnten im Fall eines
Machtwechsels "nicht wieder bei Null beginnen". "Ich bin nicht bereit, nach
18 Monaten wieder von vorn anzufangen. Wer das verlangen sollte, muss auch
den Preis dafür bezahlen, in Europa und auf internationaler Ebene", erklärte
der zypriotische Präsident.
Die Mittelmeerinsel ist seit 36 Jahren geteilt. 1974 waren türkische Truppen nach einem vom damaligen griechischen Militärregime in Athen mit Wissen des US-Geheimdienstes CIA inszenierten Putsch gegen den zypriotischen Präsidenten Erzbischof Makarios auf der Insel gelandet, um deren Anschluss ("Enosis") an Griechenland zu verhindern. Sie besetzten 37,5 Prozent des Inselterritoriums. 200.000 griechische Zyprioten wurden aus dem Norden vertrieben, etwa 50.000 türkische Zyprioten flüchteten aus dem Süden in den Norden.