Tusk drängt Türkei zu mehr Engagement, Brüssel will Schengen retten.
Aufgerüttelt durch das Drama an der griechisch-mazedonischen Grenze verstärkt die EU ihre Anstrengungen für eine gemeinsame Lösung der Flüchtlingskrise. EU-Ratspräsident Donald Tusk verurteilte bei einem Besuch in Athen am Donnerstag nationale Alleingänge - und verlangte später in Ankara stärkere türkische Bemühungen zur Eindämmung der ungeregelten Migration.
Warnung an Migranten
EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos will am Freitag (12 Uhr) einen Fahrplan für ein Ende der Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raumes präsentieren. Nach einem Entwurf für das Papier soll Griechenland mehr Hilfe bei der Sicherung seiner EU-Außengrenze zur Türkei bekommen. Bis November soll eine europäische Grenz- und Küstenwache einsatzbereit sein.
Gipfelchef Tusk schickte von Athen aus zunächst eine eindringliche Warnung an Migranten, die sich aus wirtschaftlichen Gründen auf den Weg in die EU machen: "Kommen Sie nicht nach Europa. Glauben Sie nicht den Schmugglern. Riskieren Sie nicht Ihr Leben und Ihr Geld. Es ist alles umsonst."
Kritik an Österreich
Nach einem Gespräch mit Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras kritisierte Tusk Österreich und die Länder an der Balkanroute, die ihre Grenzen weitgehend dicht gemacht haben, sodass inzwischen mehr als 30.000 Flüchtlinge in Griechenland gestrandet sind: "Unilaterale Entscheidungen ohne vorherige Abstimmung stehen im Widerspruch zum europäischen Geist der Solidarität."
Das Ergebnis: am Donnerstag saßen beim griechischen Grenzübergang Idomeni weiter 11.500 Flüchtlinge unter "unmenschlichen Bedingungen" fest, wie die Organisation Ärzte ohne Grenzen klagte.
Bestrafung von EU-Mitgliedern
In den vergangenen zehn Tagen habe Mazedonien nur knapp 1.200 Menschen passieren lassen, sagte der griechische Vizeverteidigungsminister Dimitres Vitsas. In seinem Land hielten sich inzwischen 32.000 Flüchtlinge auf, 6.900 von ihnen auf den Ägäis-Inseln. Immerhin sei es gelungen, binnen zehn Tagen 10.000 Unterbringungsplätze zu schaffen, sagte Vizeinnenminister Ioannis Mouzalas.
Tsipras forderte angesichts der verzweifelten Lage gar eine Bestrafung von EU-Mitgliedern, die ihre Grenzen im Alleingang schließen. "Es muss Sanktionen für diejenigen geben, die die gemeinsamen Entscheidungen der EU nicht respektieren." Österreichs Außenminister Sebastian Kurz machte seinerseits Druck auf Athen, das "Durchwinken" der Flüchtlinge zu stoppen. Es könne nicht sein, "dass die, die es bis nach Griechenland schaffen, automatisch weiterreisen dürfen", sagte er der "Süddeutschen Zeitung".
Europäischer Grenz- und Küstenschutz
Die EU-Kommission fordert in ihrem Schengen-Fahrplan, der am Freitag vorgestellt werden soll, das "Flickwerk" nationaler Grenzkontrollen durch eine "abgestimmte Herangehensweise bei zeitlich befristeten Grenzkontrollen" zu ersetzen. Überdies soll demnach der schnelle Aufbau eines europäischen Grenz- und Küstenschutzes die Außengrenzen sichern, damit "alle internen Kontrollen" bis "spätestens November" wieder aufgehoben werden können. Andernfalls könnten wirtschaftliche Kosten von bis zu 1,4 Billionen Euro entstehen.
Das Ziel scheint überaus ambitioniert: So verkündeten Dänemark und Schweden am Donnerstag, ihre Grenzkontrollen zunächst bis zum 3. beziehungsweise 8. April zu verlängern. "Europa hat es nicht geschafft, seine Außengrenzen zu schützen", sagte der schwedische Innenminister Anders Ygeman. "Solange es keine gemeinsame europäische Lösung gibt, ist Schweden gezwungen, kurzfristige nationale Maßnahmen zu ergreifen."
"Weiteres Handeln ist notwendig"
Der Schutz der EU-Außengrenzen stand auch im Mittelpunkt eines Gesprächs von Ratspräsident Tusk mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu. Die Zahl der Flüchtlinge, die aus der Türkei durch die Ägäis nach Griechenland gelangten, sei "noch viel zu hoch", sagte Tusk im Anschluss. "Weiteres Handeln ist notwendig." Der aussichtsreichste Ansatz sei für viele in Europa, "irreguläre" Migranten sofort nach ihrer Ankunft in Griechenland mit Schiffen wieder zurück in die Türkei zu bringen. "Das würde das Geschäftsmodell der Schmuggler wirksam kaputtmachen."
Die Krisendiplomatie wird bis zum Sondergipfel am Montag - an dem Davutoglu teilnehmen wird - auf höchsten Ebenen fortgesetzt. So wird Tusk am Freitag mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan beraten und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande nach Paris reisen.