Das russische Verteidigungsministerium kündigt eine Feuerpause in der Umgebung des belagerten Stahlwerks Asowstal in Mariupol an.
Die dort verschanzten ukrainischen Truppen sollten im Zeitraum ab 13.00 Uhr MESZ ihre Waffen niederlegen, hieß es in einer Mitteilung. Ein ähnliches Angebot am Dienstag sei von keinem einzigen ukrainischen Soldaten angenommen worden. Die Bedeutung der Hafenstadt für Moskau unterstrich Bundesheer-Experte Berthold Sandtner in der "ZiB2".
Die Stadt sei nicht nur strategisch und wirtschaftlich von großer Wichtigkeit, sondern Mariupol stelle auch den "Kern des russischen Narrativs der Entnazifizierung der Ukraine" dar, da dort das Asow-Regiment "eine wesentliche Rolle bei der Verteidigung Mariupols gespielt hat und spielt", sagte der Oberst in der ORF-Sendung. Der Einheit wird ein "Rekrutieren aus rechten Kreisen" vorgeworfen, so Sandtner.
Auf politischer Ebene spielen Rechtsextremisten in der nunmehr pro-europäischen Ukraine allerdings kaum eine Rolle. So konnte die Partei "National Corps" bei den Parlamentswahlen 2019 keine großen Erfolge verzeichnen: Sie kam auf gut zwei Prozent der Stimmen, ist damit an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und nicht im Parlament vertreten.
Dem ukrainischen Chefunterhändler Mychailo Podoljak zufolge ist es schwer zu sagen, wann die Friedensgespräche mit Russland wieder aufgenommen werden könnten. "Vor dem Hintergrund der Tragödie von Mariupol ist der Verhandlungsprozess natürlich sogar noch komplizierter geworden." "Russland verweigert trotzig jegliches Zeichen von Menschlichkeit und Humanismus, wenn es um gewisse humanitäre Korridore geht. Vor allem, wenn wir über Mariupol sprechen." Seit dem 29. März haben keine direkten Verhandlungen mehr stattgefunden. Beide Seiten machen sich dafür gegenseitig verantwortlich.
Nach Angaben aus europäischen Kreisen könnte die Stadt am Asowschen Meer innerhalb von Tagen fallen. "Ich befürchte, dass es schlimmer werden wird als in Butscha", so ein Insider. Nach der Einnahme Mariupols könnte Präsident Wladimir Putin am 9. Mai die Stadt für "befreit" erklären - an dem Tag, an dem in Russland die Kapitulation Nazi-Deutschlands gefeiert wird, hieß es weiter. Das mittelfristige russische Ziel sei wohl, die Luhansk- und Donezk-Regionen im Donbass zu kontrollieren sowie eine Verbindung zwischen der Krim und dem Donbass herzustellen. Dies dürfte vier bis sechs Monate dauern. Der Konflikt könnte dann in eine Patt-Situationen münden.
Derweil wird auch an anderen Stellen in der Ukraine heftig gekämpft. Im südukrainischen Gebiet Saporischja melden die Behörden schwere Kämpfe um die Kleinstadt Polohy. "Die Männer halten die Verteidigungslinie, aber es läuft ein massiver Angriff des Gegners", erklärte der Gebietsgouverneur Olexander Staruch.
Der ukrainische Generalstab teilte mit, dass im Donbass die Kleinstadt Marjinka wieder unter der Kontrolle Kiews sei. "In Richtung Donezk im Gebiet der Stadt Marjinka hat der Feind durch einen Gegenangriff unserer Streitkräfte hohe Verluste erlitten und sich zurückgezogen" - die ukrainischen Einheiten hätten die Kontrolle über die Ortschaft wiedergewonnen, hieß es im Lagebericht des Generalstabs. Keine Angaben gab es zum Status der Kleinstadt Kreminna unweit von Sjewjerodonezk, in die russische Einheiten am Vortag eingedrungen sein sollen.