Ende einer Ära

"Atlantis" startete zum letzten Mal + Diashow

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Der letzte Flug besiegelt das Ende der bemannten Raumfahrt in den USA.

Mit seinem letzten Start ins Weltall hat der Spaceshuttle Atlantis am Freitag eine Zeitenwende in der Raumfahrt eingeleitet. Der Orbiter hob am Freitag ungeachtet dunkler Wolken am Himmel mit leichter Verspätung um 17.29 Uhr deutscher Zeit vom Weltraumbahnhof in Cape Canaveral (Florida) ab. Vier Astronauten an Bord bringen nun Ausrüstung und Verpflegung zur Internationalen Raumstation ISS. Ihre knapp zweiwöchige Reise beendet für bisher unabsehbare Zeit die Ära der bemannten Raumfahrt in den USA.

Letzter Start des Spaceshuttles Atlantis

Problemloser Start
Die Raumfahrtbehörde NASA sprach von einem "problemlosen Start". Allerdings musste der Countdown kurz vor dem geplanten Abflug um 17.26 Uhr unterbrochen werden, weil kurzzeitig befürchtet wurde, dass sich ein Haltearm nicht komplett von der "Atlantis" gelöst hatte. Die Entwarnung kam rechtzeitig, bevor sich das zehnminütige Startfenster wieder schloss. Schließlich schob sich der Flieger schnurgerade auf einer Säule aus Flammen und Rauch in den Orbit.

Schlechtes Wetter als Zitterpartie
Der lang angekündigte Flugtermin hatte bis zuletzt wegen des schlechten Wetters gewackelt. Feuchtes Tropenwetter aus der Karibik hatte dicke Wolken über die Atlantikküste in Florida geschoben, die auch am Freitag den Himmel verdunkelten und einen Flug beinahe zu unsicher gemacht hätten. Die Startchancen lagen bis zuletzt nur bei 30 Prozent - doch pünktlich zum Abflug klarte es ausreichend auf.

Hunderttausende Schaulustige
Hunderttausende Schaulustige in der Region um das Kennedy Space Center wurden Zeugen des historischen Shuttle-Starts. Einige waren um den halben Globus gereist, um dem bewegenden Moment beiwohnen zu können. Schon in den Vortagen hatten sich Fans an den umliegenden Stränden die Plätze mit der besten Sicht auf den Himmel über dem Weltraumbahnhof gesichert. Ein Bilderbuchstart blieb ihnen verwehrt, zu schnell verschwand der Shuttle hinter den tief hängenden Wolken.

Tausende zelteten und campierten

Bereits am Donnerstagabend waren etwa in der 40.000 Einwohner zählenden Stadt Titusville die Campingplätze, Rasenflächen und Betonparkplätze von Supermärkten mit Zelten und Wohnmobilen übersät. Tausende fanden keinen Ort zum Übernachten und mussten die regnerische Nacht im Auto oder im Freien auf Stühlen sitzend verbringen. Der Straßenverkehr stockte schon um 6.00 Uhr (Ortszeit), vor dem Start ging auch auf den Highways gar nichts mehr.

Wochenlange Vorbereitungen
Während der wochenlangen Vorbereitung auf den Abschiedsflug hatte sich die "Atlantis" in technischer Topform gezeigt, wie selten ein Shuttle zuvor. Ihre letzte Reise beschließt nicht nur das Ende des Shuttle-Programms nach drei Jahrzehnten, sondern sie besiegelt auf bisher unabsehbare Zeit das Ende der bemannten Raumfahrt in den USA.

Jahresvorrat für die Raumstation ISS
Ziel der 135. Shuttle-Mission ist es, einen Jahresvorrat von mehr als 3,8 Tonnen Proviant, Ausrüstung und Ersatzteilen zur ISS zu bringen. Zudem soll eine neue Methode getestet werden, Satelliten im Weltall von Robotern betanken zu lassen.

Experiment: Aus Urin wird Trinkwasser
Als weiteres Experiment ist geplant, mit neu entwickelten Plastikbehältern menschliches Urin in Trinkwasser zu verwandeln. Außerdem wollen die Astronauten eine schwergewichtige defekte Kühlpumpe von der ISS mit nach Hause bringen - ein Transportvorhaben, das ohne Shuttle künftig nicht mehr möglich sein wird.

Zukunft der bemannten US-Raumflüge ungewiss
Nach der "Atlantis"-Rückkehr, die für den 20. Juli vorgesehen ist, verfügen die USA mindestens für mehrere Jahre über keine Weltraumvehikel, die Astronauten ins All befördern können. Die NASA ist dann für ihre Astronauten auf Mitfluggelegenheiten in den russischen "Sojus"-Kapseln angewiesen. Große Fracht aus dem All kann künftig überhaupt nicht mehr zur Erde zurückgebracht werden.

Lesen Sie einen Stimmungsbericht aus Capa Canaveral auf Seite 2 >>>

3,2,1... und Stille. Unendlich lang scheint die Welt innezuhalten, bis sich plötzlich eine gewaltige Rauchwolke ausbreitet. In Wirklichkeit sind es nur Bruchteile einer Sekunde, dann vibriert der Boden im Weltraumbahnhof in Cape Canaveral. Flammende Raketen dröhnen lauter als eine Parade tausender Motorradfahrer es jemals könnte. Bis es wehtut blendet der Feuerschwall unter dem Spaceshuttle Atlantis die Augen, auch in Kilometern Entfernung noch. Seine Hitze erreicht die Betrachter wie Wüstenwind.

Es dauert keine Minute, dann verschwindet das 2.000 Tonnen schwere Luftgefährt in den dichten Wolken über dem Atlantik. Ein letztes Mal erleben Hunderttausende Menschen, wie es ist, eine der berühmten Raumfähren in den Orbit fliegen zu sehen. Mancher zahlte auf dem Schwarzmarkt Tausende Dollar für eigentlich recht günstige Eintrittskarten ins Kennedy Space Center. Es war ihre letzte Chance - die Ikonen von Raumfahrtfans werden nie wieder ins All fliegen. Nach 30 Jahren sind die Spaceshuttle jetzt nur noch Museumsstücke.

 "Es ist eines der Dinge im Leben, die ich noch einmal sehen musste", sagt Stephane Delettre, der sich das Spektakel in Titusville anschaute. Der Ort bietet von seiner Küste eine klare Sicht auf den 20 Kilometer entfernten Weltraumbahnhof. Die ganze Nacht ist der Fluglinien-Mitarbeiter mit seinem Sohn Alex von seinem Heimatsstaat Virginia durchgefahren, nur um sich rechtzeitig am Vortag des Shuttle-Starts ein kleines durchnässtes Rasenstück für sein Zelt zu sichern. "Der Schönheit des Shuttle, sein Sound, die Vibration - das ist eine Ganzkörper-Erfahrung", schwärmt er.

Doch es ist nicht nur ein folkloristisches Schauspiel oder die Gelegenheit für einen Zeltausflug, das fast eine Million Menschen am Freitag an die sogenannte "Space Coast" in Florida trieb. Für viele ist die bemannte Raumfahrt ein nationaler Schatz, den es zu bewahren gilt und dem sie mit ihrem Besuch Respekt erweisen wollen. Mit der Entscheidung aus Washington, die überteuerten Shuttle ins Museum zu schicken, hadern sie schon aus patriotischen Gründen. "Wir müssen doch nach vorne denken. Man kann doch kein Preisschild auf die Erkundung des Weltalls kleben", sagt Beverly Carroll.

Billig wird es für die USA auch ohne Shuttle nicht. Künftig müssen sich US-Astronauten für gut 60 Millionen Dollar pro Sitzplatz in russischen "Sojus"-Kapseln einbuchen, um zur Internationalen Raumstation ISS gelangen zu können. Die Russen drohen gar mit einer Vervierfachung des Preises. Für viele Amerikaner ist das ein weiteres Symbol für den Niedergang ihres Landes. Ausgerechnet der einstige Erzfeind hält jetzt "das Monopol im Weltraum", kommentiert das "Wall Street Journal". Wie kann die USA noch Führungsmacht in der Welt sein, wenn sie keine Astronauten ins All schicken kann?

So setzte die NASA in den Tagen vor dem "Atlantis"-Start alle Hebel in Bewegung, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. "Die amerikanische Führung im Weltall wird mindestens ein weiteres halbes Jahrhundert dauern", insistierte der Chef der Behörde, Charles Bolden. "Unsere Ziele bleiben ehrgeizig: Der Mond, Asteroiden und der Mars." Ein neues Raumfahrzeug für dreiwöchige Reisen mit einer vierköpfigen Besatzung werde schließlich schon geplant.

Um die Routinereisen zur ISS müssten sich nun aber private Firmen kümmern. Nicht zufällig stellte die kalifornische SpaceX seine "Dragon"-Kapsel ausgerechnet kurz vor dem finalen Atlantis-Start in Cape Canaveral zur Schau. Hunderten Reportern aus aller Welt konnte das Unternehmen so erklären, was bald ein würdiger Nachfolger für die Shuttle sein soll. Ob das Vehikel aber wirklich schon 2015 Menschen sicher ins All bringt, wie Bolden vorhersagt, ist umstritten.

Vorher schafft ein kommerzielles Unternehmen nicht, wonach sich viele Raumfahrtfans sehnen: die emotionale Lücke zu füllen, die die Spaceshuttle hinterlassen. Denn wenn die gewaltige Rauchsäule nach dem Start der "Atlantis" in Cape Canevaral erstmal verzogen ist und das Adrenalin nach dem aufregenden Schauspiel nachlässt, bleibt für sie nur noch eine Frage: "Was kommt nun?".

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