Verfahren gestoppt

Eklat im Den Haager Strafprozess

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Kongos ehemaliger Milizenchef Lubanga Dyilo muss sich vor dem Strafgericht in Den Haag verantworten. Der vorsitzende Richter stoppte das Verfahren.

Ein schwerer Eklat überschattet den ersten Prozess vor dem fünf Jahre alten Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag. Die von dem erfahrenen britischen Richter Adrian Fulford geleitete Strafkammer hat das Verfahren gegen den früheren kongolesischen Milizenchef Thomas Lubanga Dyilo am Montag noch vor Beginn der Hauptverhandlung gestoppt. Lubanga ist unter anderem wegen des Einsatzes von Kindersoldaten angeklagt.

Zur Begründung teilte das Gericht am Montag mit:
Die Staatsanwaltschaft habe ihre Befugnisse missbraucht und Dokumente, die Lubanga entlasten könnten, für sich behalten. Der Milizenführer kann nun auf seine Freilassung aus der Untersuchungshaft in Den Haag hoffen. Darüber wird in der nächsten Woche beraten, ansonsten liegt der Prozess komplett auf Eis.

Was ist geschehen, dass das Gericht derart heftig die Notbremse zieht? Die Verfahrensregeln des Gerichts - das Statut - erlauben der Anklagevertretung, Informationen unter der Decke zu halten, falls die Informanten dies wünschen. Das soll das Sammeln von Beweisen erleichtern. Was aber, wenn darunter nicht nur belastendes, sondern möglicherweise auch entlastendes Material ist? Für das Gericht ist es klar, dass entlastendes Material dem Angeklagten und seinen Anwälten auszuhändigen ist - ein Grundprinzip für ein faires Verfahren.

Doch im Fall Lubanga hält die von Chefankläger Luis Moreno-Ocampo geleitete Behörde gut 200 Dokumente unter Verschluss, darunter allein 156 von den Vereinten Nationen. Die Ankläger behaupten, diese Dokumente könnten ohnehin nicht wirklich zur Entlastung Lubangas beitragen - doch nicht einmal die Richter dürfen das überprüfen. Die Vereinten Nationen halten den Daumen darauf und die Ankläger heben unschuldig die Schultern: "Wir dürfen nicht."

Schwer verständliche Prozessordnung
Der Streit um die UN-Dokumente beschäftigt die Prozessbeteiligten schon seit vielen Monaten. Das mag auch daran liegen, dass das Lubanga-Verfahren das erste überhaupt vor dem IStGH ist, der einst als "Weltgericht" gefeiert wurde, inzwischen aber in einem trostlosen Gewerbegebiet am Rand von Den Haag neben Autobahn und Eisenbahn ein Schattendasein führt. Mit fast jeder Entscheidung wird dort Neuland betreten, denn das vor genau zehn Jahren in Rom verabschiedete Statut hat keinerlei Vorläufer. Für Nichtjuristen sind die öffentlichen Sitzungen zur Prozessvorbereitung kaum zu verstehen.

Trotz dieser Pionierrolle dürfte Chefankläger Moreno-Ocampo das jetzt gezeigte Stopp-Signal als große Schlappe empfinden. Der Argentinier hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur Freunde gemacht. Aber nicht etwa, weil er zu scharf an seine Fälle heranginge. Obwohl kaum ein Tag ohne Krieg und Menschenrechtsverletzungen vergeht, ermittelt er bislang nur in fünf Ländern - und nur in Afrika: Kongo, Uganda, Zentralafrikanische Republik, Sudan (Darfur). Die ersten drei Staaten haben selbst um Ermittlungen im Zusammenhang mit ihren Bürgerkriegen gebeten, den Fall Darfur hat der UN-Sicherheitsrat dem IStGH übertragen. Eigene Initiativen hat Moreno-Ocampo noch nicht ergriffen.

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