Viele Tote in Konfliktgebiet

Krieg im Kaukasus: Erdogan und Putin im Konflikt

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Blutiger Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan flammt wieder auf - Kriegszustand erklärt.

Die Lage in der Unruheregion Berg-Karabach im Südkaukasus ist nach ungewöhnlich heftigen Kämpfen zwischen den verfeindeten Nachbarn Armenien und Aserbaidschan eskaliert. Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan wertete die Gefechte als Kriegserklärung gegen sein Volk.
 
"Das autoritäre Regime von Aliyev hat seine Feindseligkeiten wieder aufgenommen. Es hat dem armenischen Volk den Krieg erklärt", sagte Paschinjan am Sonntag in Eriwan. "Wir sind zu diesem Krieg bereit." Zuvor hatte der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev eine Militäroperation an der Demarkationslinie begonnen sowie von der Eroberung von sieben Dörfern gesprochen.
 
Armenien rief den Kriegszustand aus und kündigte eine Generalmobilmachung des ganzen Landes an. In Aserbaidschan sollte in einigen Landesteilen ab Mitternacht Ortszeit (22.00 Uhr MESZ) der Kriegszustand mit Ausgangssperren gelten.
 
Die von Armenien kontrollierte Region mit geschätzten 145 000 Einwohnern gehört völkerrechtlich zum islamisch geprägten Aserbaidschan. Es handelt sich um die schwerste Eskalation seit Jahrzehnten.
 

Gefechte am Sonntagmorgen

 
Zwischen den verfeindeten Ländern kam es nach Angaben beider Seiten am frühen Sonntagmorgen zu den Gefechten. Berg-Karabachs Hauptstadt Stepanakert sei beschossen worden, hieß es. Zahlreiche Häuser seien zudem zerstört. Auf Videos war zu sehen, wie Panzer durch die Orte fuhren und Rauchwolken über Stepanakert aufstiegen. In Berg-Karabach wurden nach offiziellen Angaben 16 Soldaten durch Beschuss getötet und mehr als hundert verletzt. Aserbaidschan teilte ebenfalls mit, dass es fünf Tote und Verletzte in den eigenen Reihen gebe. Unter den Opfern sind nach Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz auch Zivilisten.
 
Aserbaidschan eroberte nach Angaben des Verteidigungsministeriums sieben Dörfer im Konfliktgebiet. Die Gebiete seien von der armenischen Besatzung befreit worden, sagte Verteidigungsminister Zakir Hasanov. Die Behörden in Berg-Karabach betonten stattdessen, dass dies eine "absolute Lüge" sei. Sie hätten die Lage inzwischen unter Kontrolle.
 
 

Gegenseitige Schuldzuweisung

 
Beide Seiten gaben sich die Schuld an den Gefechten. Armenien habe Hubschrauber und Kampfdrohnen abgeschossen. Drei gegnerische Panzer seien getroffen worden. Aserbaidschan dementierte dies. Präsident Aliyev warf Armenien vor, den Verhandlungsprozess für eine friedliche Lösung des Konflikts zerstört zu haben. Der aktuelle Zustand sei nicht mehr hinnehmbar. "Das bedeutet, dass die Okkupation beendet werden muss." Aserbaidschan wolle den Konflikt komplett lösen. "Das Problem Berg-Karabach ist unsere nationale Aufgabe", sagte Aliyev.
 
Aserbaidschan hatte in einem Krieg nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Kontrolle über das Gebiet verloren. Berg-Karabach wird heute von christlichen Karabach-Armeniern bewohnt. Seit 1994 gilt eine brüchige Waffenruhe. Das völlig verarmte Armenien setzt auf Russland als Schutzmacht, das dort Tausende Soldaten und Waffen stationiert hat. Erst am Wochenende hatte Eriwan ein gemeinsames Militärmanöver mit Moskau beendet. Das öl- und gasreiche Aserbaidschan hat die Türkei als verbündeten Bruderstaat.
 
Baku hatte immer wieder angekündigt, sich die Region notfalls mit militärischer Gewalt zurückzuholen. Das Land hatte in den vergangenen Jahren sein Militär massiv aufgerüstet. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sicherte Aserbaidschan bereits seine Unterstützung zu. Beide Länder hatten in diesem Sommer ein großes Militärmanöver in Aserbaidschan abgehalten zur Abschreckung Armeniens.
 

Eskalation wirft Region um Jahrzehnte zurück

 
Zuletzt flammte der Konflikt 2016 stark auf. Dabei starben mehr als 120 Menschen. Vor wenigen Monaten - im Juli - kam es an der Grenze zwischen den verfeindeten Ländern erneut zu schweren Gefechten; die Kämpfe lagen jedoch Hunderte Kilometer nördlich von Berg-Karabach.
 
Russische Politologen meinten, dass eine neue Eskalation die Bemühungen in der Region um Jahrzehnte zurückwerfen könnte. Es handle sich bei den Gefechten nicht nur um Scharmützel, die es in der Vergangenheit immer wieder gab, schrieb der russische Experte Dmitri Trenin vom Moskauer Carnegie Center. "Hier kündigt sich ein Krieg an." Staaten wie Russland und die USA müssten alles tun, um diese Entwicklung zu stoppen.
 
Zudem zweifelten Experten an der aserbaidschanischen Darstellung. Der Politologe Arkadi Dubnow sieht dem Portal turan.az zufolge einen wohl kalkulierten "Krieg" von aserbaidschanischer Seite. Russland werde die "brutalen" und von der Türkei unterstützten Handlungen Aserbaidschans nur verurteilen, aber nicht noch eine Front aufmachen.
 

Internationale Einmischung

 
Kremlchef Wladimir Putin sprach persönlich mit dem armenischen Regierungschef. Moskau sei demnach ernsthaft besorgt über die Lage, teilte der Kreml mit. Alle Kampfhandlungen sollten aufhören. Eine weitere Eskalation müsse daher unter allen Umständen verhindert werden. Außenminister Sergej Lawrow führte intensive Gespräche mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu. Die Konfliktparteien müssten an den Verhandlungstisch zurückkehren, hieß es.
 
Deutschland und Frankreich forderten ebenfalls eine sofortige Einstellung der Kämpfe und eine Wiederaufnahme des Dialogs. Der deutsche Außenminnister Heiko Maas (SPD) zeigte sich alarmiert über die Auseinandersetzungen und Berichte über zivile Opfer. Die OSZE-Minsk-Gruppe stehe mit ihren drei Co-Vorsitzenden Frankreich, Russland und USA für Verhandlungen bereit. Die OSZE ist die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
 
Auch der Iran bot an, im Konflikt als Vermittler zu agieren. Das sagte der iranische Außenamtssprecher Said Chatibsadeh am Sonntag nach Angaben der Nachrichtenagentur Isna. Teheran verfolge die Gefechte im Südkaukasus mit großer Sorge. Der Iran pflegt zu beiden Staaten gute diplomatische Beziehungen und hat deshalb im Konflikt um Berg-Karabach schon in der Vergangenheit vermittelt.
 
EU-Ratschef Charles Michel zeigte sich in einem Tweet tief besorgt. Der einzige Ausweg sei die unverzügliche Rückkehr zu Verhandlungen ohne Vorbedingungen. Auch Europarat-Generalsekretärin Marija Pejčinović Burić erklärte, die Konfliktstaaten sollten Verantwortung übernehmen und Zurückhaltung üben. "Beim Beitritt zum Europarat haben sich beide Länder verpflichtet, den Konflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen, und diese Verpflichtung ist strikt einzuhalten."
 
Papst Franziskus rief zudem zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts auf. "Ich bete für den Frieden im Kaukasus", sagte er in seiner Angelus-Botschaft zu Gläubigen auf dem Petersplatz. An die Konfliktparteien appellierte er, mit "Gesten des guten Willens und der Brüderlichkeit" dazu beizutragen, dass Probleme nicht mit Gewalt und Waffen, sondern durch Dialog und Verhandlungen gelöst werden.
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