Der Kandidat der Rechten kommt auf fast 52 Prozent der Stimmen.
In Chile zeichnet sich eine historische Zäsur ab: Bei der Stichwahl um das Präsidentenamt liegt der rechtskonservative Milliardär Sebastian Pinera ersten Prognosen und Teilergebnissen zufolge leicht voran. Sollte sich der Trend am Sonntagabend bestätigen und der 60-jährige Unternehmer die Wahl für sich entscheiden, wäre dies nicht nur eine herbe Niederlage für das seit 20 Jahren ununterbrochen regierende Mitte-Links-Bündnis der Concertacion. Es wäre vor allem das erste Mal seit dem Ende der Diktatur von Augusto Pinochet 1990, dass die Chilenen einen Politiker der Rechten wieder an die Macht lassen würden.
Nach Angaben des Fernsehsenders Canal 13 kann der Harvard-Absolvent Pinera mit 52 Prozent der Stimmen rechnen, während der Regierungskandidat und Ex-Präsident Eduardo Frei auf 48 Prozent kommt. Mit seinen Nachwahlbefragungen lag der Sender bereits bei der ersten Abstimmungsrunde im Dezember sehr dicht am richtigen Ergebnis. Ein anderer Sender prognostizierte für Pinera 51,3 Prozent der Stimmen. Die Auszählung der Stimmen lief auf vollen Touren. Erste Teilergebnisse sahen Pinera bei 51,87 Prozent.
Keine zweite Amtszeit für Bachelet
Die in der Bevölkerung
äußerst beliebte Präsidentin Michelle Bachelet durfte gemäß Verfassung nicht
unmittelbar für eine zweite Amtszeit antreten. Deshalb schickte die
Concertacion den ehemaligen Präsidenten Frei wieder ins Rennen - eine
Entscheidung, die viele Wähler nicht überzeugte. Trotz der Popularität
Bachelets sind viele Chilenen von der regierenden Mitte-Links-Koalition
desillusioniert und wollen neue Gesichter in der Politik sehen. "Frei war
schon einmal an der Macht und er hat nicht viel gemacht", sagte etwa die
44-jährige Hausfrau Adriana Contreras, die in der Hauptstadt Santiago ihre
Stimme abgab. "Ich habe Pinera gewählt, damit es den Wandel geben wird, den
wir brauchen."
Im ersten Wahlgang war Frei auf knapp 30 Prozent der Stimmen gekommen, während Pinera 44 Prozent verbuchte. Für Spannung beim zweiten Wahldurchgang sorgten nun die Anhänger des in der ersten Runde ausgeschiedenen unabhängigen Kandidaten Marco Enriquez-Ominami, der einst der Concertacion angehörte. Der 36-jährige ehemalige Filmproduzent hatte sich nach langem Zögern wenige Tage vor der Wahl doch noch für seinen früheren Parteifreund Frei ausgesprochen.
Enriquez-Ominami macht die Rechte für die Tötung seines Vaters verantwortlich. Während der 17 Jahre dauernden Diktatur unter Pinochet kamen mehr als 3000 Menschen ums Leben oder verschwanden, 28.000 Menschen wurden Schätzungen zufolge gefoltert, darunter auch die scheidende Präsidentin Bachelet. Der Mitte-Links-Kandidat Frei ließ im Wahlkampf daher die Erinnerungen an die Vergangenheit wiederaufleben. "Wir haben Fehler gemacht, aber wir haben keine Gräueltaten begangen", betonte der ehemalige Präsident während des Schlussspurts seiner Kampagne.
Distanz zu Pinochet
Der 60-jährige Pinera hat zwar versucht, sich
vom blutigen Erbe der Diktatur Pinochets zu distanzieren und um die Stimmen
der breiten Mittelschicht geworben. Ein Bruder von Pinera war allerdings
Minister unter Pinochet, einige seiner Mitarbeiter haben ebenfalls für den
Diktator gearbeitet. Beobachter fragen sich deshalb, ob der Pinochet-Faktor
Frei doch noch zum Sieg verhelfen könnte.
Der Mitte-Links-Kandidat will die Sozialpolitik Bachelets fortsetzten und ausweiten. Zu seinen Prioritäten zählt eine Reform des Arbeitsmarktes, um die Gründung von Gewerkschaften zu fördern. Er hat sich zudem mehrere Vorhaben Enriquez-Ominamis zueigen gemacht. So will er das Steuersystem reformieren und die Einnahmen aus dem Bergbausektor erhöhen.
Pinera hat die Schaffung einer Million neuer Jobs in den kommenden vier Jahren und ein jährliches Wirtschaftswachstum von sechs Prozent versprochen, nachdem das südamerikanische Land im Zuge der globalen Wirtschaftskrise erstmals seit der Asienkrise in den 1990er Jahren wieder in die Rezession abgeglitten war. Der Kandidat der Rechten gilt als Favorit der Wirtschaft. Analysten erwarten daher, dass ein Sieg Pineras den Börsen kurzfristig einen zusätzlichen Schub geben würde.