Im polnischen Parlament zeichnet sich eine Mehrheit für eine vollständige Öffnung der kommunistischen Geheimdienst-Archive ab.
Sowohl die regierende rechtsliberale Bürgerplattform (PO) als auch die stärkste Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) wollen den Streit über die Vergangenheit und die mögliche Geheimdienst-Mitarbeit polnischer Bürger lösen, indem sie die Archive allgemein zugänglich machen. Die PiS will dafür eine Verfassungsänderung beantragen.
Die von "Recht und Gerechtigkeit" vorgeschlagene Novelle des Grundgesetzes soll das Recht auf Zugang zu öffentlichen Informationen erweitern. "Ohne diese Änderung gibt es keine Sicherheit, ob die Öffnung der Archive verfassungsgemäß sein wird", sagte der Vorsitzende der PiS-Fraktion, Przemyslaw Gosiewski, gegenüber der Tageszeitung "Rzeczpospolita". Seiner Meinung nach lässt sich die Lustration bei aktueller Verfassungslage angesichts eines Urteils des Verfassungsgerichts vom vergangenen Jahr nicht durchführen.
Vollständige Öffnung
Auch die PO befürwortet eine
vollständige Öffnung der Geheimdienst-Archive. Premier Donald Tusk sagte vor
kurzem, dass eine Sonderarbeitsgruppe einen entsprechenden Gesetzesentwurf
vorbereite. Laut dem Chef der PO-Fraktion, Zbigniew Chlebowski, wird er
bereits im September fertig sein. PO und PiS verfügen im Parlament gemeinsam
über eine ausreichende Mehrheit, um Verfassungsänderungen durchzusetzen,
wenn sie zusammenarbeiten.
Das Verfassungsgericht hatte im Mai 2007 einen Teil der Regelungen des neuen Lustrationsgesetzes für verfassungswidrig erklärt. Unvereinbar mit der Verfassung sei unter anderem die Überprüfung von Journalisten, Unternehmern, Schulleitern, Wissenschaftern und Politikern, befand der Gerichtshof.
Umstrittenes Gesetz
Das umstrittene Gesetz zwang schätzungsweise
700.000 Polen, die "öffentliche Ämter" bekleiden, Auskunft über eine
mögliche Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten im kommunistischen Polen zu
geben. Wer dabei der Lüge überführt wurde oder die Auskunft verweigerte,
konnte seinen Posten verlieren und durfte zehn Jahre lang keine öffentliche
Funktion mehr ausüben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in
Straßburg entschied im vergangenen Jahr, dass das Gesetz das Recht auf
Verteidigung verletzt.
Prominentes Opfer des Lustrationsgesetzes hätte der ehemalige Bürgerrechtler und Europaabgeordnete Bronislaw Geremek werden können, der am Sonntag bei einem Autounfall tödlich verunglückte. Der ehemalige polnische Außenminister hatte sich geweigert, Auskunft über seine Vergangenheit zu geben, weil er durch das Gesetz demokratische Grundlagen verletzt sah.