Machtlose Afghaninnen

Wie die Taliban Frauen brutal ausgrenzen

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Frauen werden vom öffentlichen Dienst weitestgehend ausgeschlossen - viele Mädchen dürfen nicht zur Schule 

Sara Seerat hatte einen tollen Job und große Ziele, beides wurde durch die Machtübernahme der Taliban zunichte gemacht. Die 27-Jährige war leitende Beraterin im Frauenministerium in Kabul, eine ihrer Aufgaben: Den Frauenanteil in afghanischen Behörden zu erhöhen. Die Taliban haben diesen Anteil derzeit nicht nur auf nahe Null gedrückt, sondern auch das Frauenministerium abgeschafft.

In dem Gebäude haben sie ausgerechnet das Ministerium zur Erhaltung der Tugend und Unterdrückung des Lasters wiederauferstehen lassen - dessen Religionspolizei während des ersten Taliban-Regimes 1996 bis 2001 berüchtigt für die brutale Unterdrückung von Frauen war. Ihre einstige Arbeitsstätte sei "von einem Frauenministerium zu einem Ministerium hundert Prozent gegen Frauen" gemacht worden, kritisiert Seerat. "Der Wechsel ist eine Botschaft, um Frauen verstummen zu lassen." Sie selbst setze sich seit ihrer Jugend für Frauenrechte ein, am liebsten wäre sie an ihrer einstigen Wirkungsstätte nach ganz oben aufgestiegen: Frauenministerin sei ihr "riesiger Traum" gewesen, auf den sie seit langem hingearbeitet habe. "Jetzt fühle ich mich machtlos." Auch die Träume vieler anderer Mädchen, die beispielsweise von ihrer Karriere inspiriert gewesen seien, seien nun zerbrochen.

Internationale Akzeptanz

Die Taliban bemühen sich seit ihrer Machtübernahme Mitte vergangenen Monats um internationale Akzeptanz. Besonders mit ihrer Frauenpolitik, die diesen Namen nicht verdient, sorgen sie aber für heftige Kritik. Der UN-Sicherheitsrat mahnte erst vor wenigen Tagen die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen im öffentlichen Leben in Afghanistan an. Die von den Taliban angestrebte Anerkennung durch westliche Staaten und vor allem die damit verbundenen Hilfsgelder dürften für die Islamisten unerreichbar bleiben, wenn sie Frauen weiterhin so ausgrenzen wie in ihren ersten Wochen an der Macht.

In ihrer Übergangsregierung haben die Taliban bisher 47 Kabinetts- und andere Posten vergeben, keinen davon hat eine Frau bekommen. Auf Anordnung der Islamisten müssen die allermeisten Frauen vor allem im öffentlichen Dienst bis auf weiteres ihren Jobs fernbleiben, es gibt nur wenige Ausnahmen etwa im medizinischen Bereich oder im Bildungswesen. In den Schulen können Buben und Mädchen die Klassen eins bis sechs besuchen, in denen auch Lehrerinnen unterrichten dürfen. Für Buben in den Klassen sieben bis zwölf hat am vergangenen Samstag die Schule wieder begonnen. Schülerinnen und Lehrerinnen dieser Klassen müssen dagegen auf unbestimmte Zeit zu Hause bleiben.

Totales Chaos

Die Direktorin einer Mädchenschule in Kabul sagt, sie habe die entsprechende Anweisung bei einem Treffen im Bildungsministerium mündlich bekommen. "Den Grund kenne ich nicht." Auch das ist symptomatisch für das Chaos der ersten Taliban-Wochen: Schriftliche Anordnungen gibt es oft nicht, vieles bleibt vage und unklar. Kaum jemand kann beispielsweise verlässlich Auskunft darüber geben, welche Jobs Frauen derzeit noch ausüben dürfen. Eine Lehrerin einer zehnten Klasse sagt: "Wir wollen unterrichten." Die Lage sei frustrierend. Schülerinnen riefen an und fragten, wann es endlich wieder so weit sei. "Das Abwarten ist nicht einfach, weil es kein Datum gibt." Die große Sorge: Dass es dieses Datum für eine Rückkehr nie geben wird.

Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid versucht, solchen Bedenken entgegenzutreten. Er lässt bei einer Pressekonferenz in Kabul die Möglichkeit offen, dass irgendwann auch Frauen dem Kabinett angehören könnten. Die Regierung arbeite außerdem an Plänen, wie Mädchen und Frauen sicher wieder zur Schule oder zum Arbeitsplatz gehen könnten, sagt er - unter Berücksichtigung der Scharia, des islamischen Rechts, das die Taliban extrem strikt auslegen. Wie diese Pläne aussehen und wann sie umgesetzt werden könnten, lässt Mujahid allerdings offen. Ob damit eher in Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren zu rechnen sei? "Wir können kein Datum nennen, aber diese Angelegenheit wird in der nahen Zukunft gelöst werden, so Gott will."

"Haben sich nicht geändert"

Die Frauenaktivistin Roshan Sirran traut den Islamisten nicht. "Bei Frauen- und Bildungsthemen haben sich die Taliban nicht geändert", glaubt die pensionierte Lehrerin. Die 67-Jährige erinnert sich noch daran, wie die Taliban zu Beginn ihrer Schreckensherrschaft im Jahr 1996 Lehrerinnen und Schülerinnen nach Hause schickten, und zwar bis zu einer weiteren Ankündigung. "Diese Ankündigung ist nie gekommen." Sie glaube dennoch nicht, dass die Taliban die extremsten Auswüchse der damaligen Zeit wiederholen würden, beispielsweise Steinigungen von Ehebrecherinnen. Eine beinahe totale internationale Isolierung wie damals wollten die Taliban schließlich vermeiden.

Aktivistin Sara Seerat hat in ihrer Heimatprovinz Kapisa protestiert, als klar war, dass keine Frau an der Übergangsregierung beteiligt würde. Die Demonstration sei von Taliban-Kämpfern gewaltsam aufgelöst worden, sagt sie. Dennoch: Frauen seien es, die sich gegen die Islamisten erheben würden. Auch in Kabul kam es zu Protesten, unter anderem vor dem ehemaligen Frauenministerium. Dass die Taliban Reportern inzwischen verbieten, "illegale Demonstrationen" zu filmen, mag auf eine gewisse Verunsicherung hindeuten.

"Die Taliban merken, dass wir nicht mehr wie die Frauen in den 1990ern sind", sagt Seerat. "Wir sind der Internationalen Gemeinschaft sehr dankbar, dass sie besonders uns Frauen unterstützt hat. Aber wir bitten, nein, wir fordern, dass sie diese Regierung niemals anerkennt oder unterstützt, solange darin keine Frauen sind." Die Staatengemeinschaft müsse darauf bestehen, dass Frauen, aber auch alle ethnischen Gruppierungen des Landes repräsentiert seien.

Seerat glaubt, dass die Taliban-Regierung nicht lange im Amt überleben wird - wegen ihrer Zusammensetzung, aber auch wegen der wachsenden wirtschaftlichen Probleme. Abwarten möchte sie nicht. Seerat will Afghanistan verlassen, am liebsten würde sie nach Kanada oder Deutschland gehen. "Ich habe genug geopfert", sagt sie. "Ich glaube nicht, dass ich in diesem Land noch einen Platz habe."
 

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