Das neue ÖSTERREICH- History-Buch beleuchtet den Aufstieg Adolf Hitlers.
Vor 130 Jahren wurde Adolf Hitler in Braunau am Inn geboren. Über seine Familie und seine Kindheit sind nur wenige Dokumente erhalten – Hitler hat die meisten vernichten lassen.
Auch über die Herkunft seiner Ahnen wissen wir wenig. Das kleine Dorf im Waldviertel, aus dem sie kamen, hat Hitler ausradiert, als er dort einen riesigen Truppenübungsplatz anlegen ließ.
Die Hiedlers und Schicklgrubers hätten nicht für eine ideale deutsche Ahnentafel getaugt, ob Adolf Hitler den großen Ariernachweis geschafft hätte, ist fraglich. Die Familie waren Kleinhäusler, seit Generationen durch eine lange Tradition der Inzucht degeneriert.
Auch über seine Kindheit erzählte Hitler wenig, in „Mein Kampf“ behauptet er, in Armut aufgewachsen zu sein. Das ist, wie wir heute wissen, falsch.
Der neue Band der ÖSTERREICH-History-Serie, der ab sofort erhältlich ist, zeigt den Aufstieg Adolf Hitlers vom mäßig begabten Kleinbürgersohn zum Diktator Deutschlands und zu einem der größten Massenmörder der Geschichte. Er beleuchtet auch seine Herkunft und Kindheit, die wir auch im ersten Teil unserer Wochen-Serie schildern. Jeden Samstag lesen Sie ein anderes Kapitel aus der Lebensgeschichte jenes Mannes, der sein Land und die ganze Welt in den Abgrund gerissen hat.
Das neue Buch: Hitlers Weg an die Macht
Verhasster Vater, geliebte Mutter - Hitlers Kindheit
Es sei „glückliche Bestimmung“ gewesen, in Braunau geboren worden zu sein, schreibt Hitler in „Mein Kampf“, an der Grenze „zweier deutscher Staaten, deren Wiedervereinigung“ er als „Lebensaufgabe“ sah. In Wahrheit kann er sich an Braunau gar nicht mehr erinnern.
Als Adolf drei Jahre alt ist, übersiedeln die Hitlers den Inn aufwärts nach Passau, später nach Lambach und dann nach Leonding bei Linz. Nach Adolf bringt Klara Hitler noch zwei Kinder zur Welt: Edmund, der im Alter von sechs Jahren stirbt, und das Nesthäkchen Paula.
Mittelstand. Quellen über Hitlers frühe Jahre sind spärlich. Alle Dokumente, die Auskunft geben könnten, ließ Adolf Hitler nach der Machtergreifung 1933 beschlagnahmen und 1945 vor seinem Selbstmord verbrennen. In „Mein Kampf“ gibt er wenig Auskunft über seine Kindheit, doch wir erfahren, dass sie sich in beengter Armut, doch idyllischer Redlichkeit abgespielt haben soll. Das Gegenteil ist der Fall. Finanziell ist die Familie gut abgesichert, sie gehört dem Mittelstand an, der Vater ist mittlerweile Zollamtsoberoffizial und verdient mehr als ein Volksschuldirektor.
Von Armut keine Spur. Der Haushalt hält sich eine Dienstmagd, außerdem hilft die Hanni-Tant im Haus, eine Schwester von Hitlers Mutter, die geistig zurückgeblieben ist.
Der Vater genießt Ansehen in der Gemeinde, doch in der Familie ist er wegen seiner cholerischen Wutausbrüche gefürchtet. Von seinen Kindern fordert er unbedingten Respekt und Gehorsam. Spurt ein Kind einmal nicht, gibt’s den Rohrstock. Auch Adolf wird regelmäßig geschlagen.
Alkoholiker. Alois Hitler trinkt auch gerne am Stammtisch im Wirtshaus mit seinen Zechkumpanen. Das Bild vom Alkoholiker, den der kleine Adolf betrunken aus den „stinkenden, rauchigen Kneipen“ heimzerren musste, dürfte aber stark überzeichnet sein.
Geliebte Mutter. So sehr er den Vater verabscheut, so sehr vergöttert Hitler seine Mutter. Sie ist eine bescheidene und zurückhaltende Frau, die ihre Kinder, so gut es nur geht, vor den Zornesausbrüchen ihres Mannes in Schutz nimmt. Vor allem Adolf wird von ihr verhätschelt. Er ist ihr Lieblingskind. Adolf Hitler wird das Bild seiner Mutter ständig bei sich tragen, bis zu seinen letzten Tagen im Führerbunker in Berlin.
Die Konstellation „strenger und gewalttätiger Vater“ und „zärtliche und liebevolle Mutter“ taugt jedenfalls nicht zur Erklärung, warum aus Hitler später der monströse Massenmörder wurde. Sie war zu dieser Zeit häufig und soll auch heutzutage noch auftreten. In Wirklichkeit dürfte Adolf Hitler eine grundnormale Kindheit durchlebt haben.
Als Adolf sechs Jahre alt ist, übersiedelt die Familie nach Fischlham bei Lambach und der Bub kommt dort in die einklassige Volksschule. Dort soll er ein „aufgeweckter, lebhafter und offenbar begabter Schüler“ gewesen sein. Das berühmte Foto aus der 4. Volksschulklasse in Leonding zeigt ihn in überlegen selbstbewusster Pose mit arrogantem Blick in der obersten Reihe. Doch werden, so Biograf Joachim Fest, seine offensichtlich guten „Anlagen durch ein schon frühzeitig hervortretendes Unvermögen zu geregelter Arbeit beeinträchtigt“.
Kriegsspiel. Die Volksschuljahre sind unbeschwert. Nach der Schule spielt Adolf mit den anderen Buben und am liebsten Krieg. Schon damals sagt ihm die Rolle des Anführers am meisten zu. „Damals war Burenkrieg“, erzählt später ein Sitznachbar aus der Schule, „wir Leondinger waren unter Führung Hitlers die Buren, die Untergamberger waren die Engländer.“
Karl May. Hitler beginnt zu lesen, am liebsten Karl May, dessen Romane damals der Reihe nach erscheinen und in dessen Welt er eintaucht. May wird ihn bis weit in sein späteres Leben begleiten, seinen Generälen wird er den Abenteuerschriftsteller empfehlen, damit sie sich von dessen Fantasie was abschauen können.
Den Wechsel von der Volksschule in die Realschule in Linz bewältigt er schlecht. In der Volksschule war er der Rädelsführer, hier ist er, umgeben von Kindern aus dem gehobenen Bürgertum, der Außenseiter vom Land. Der Schulweg, von Leonding nach Linz geht er täglich eine Stunde und eine weitere retour, trägt auch nicht zu seinem Wohlbefinden bei. Schon die erste Klasse muss er wiederholen, in Mathematik und Naturgeschichte setzt es einen glatten Fünfer. Sein Fleiß wird mit „ungleichmäßig“ beurteilt. In seinen Zeugnissen dominieren die Vierer, nur in Betragen, Turnen und Zeichnen ist er besser. Im September 1904 darf er nur unter der Bedingung aufsteigen, die Schule zu wechseln, doch auch ein Wechsel in die Realschule Steyr bringt nichts. 1905 geht er ohne Abschluss von der Schule ab. Sein letztes Zeugnis weist in Deutsch, Mathematik und Stenografie ein „Nicht genügend“ aus, auch in seinen Lieblingsfächern Geografie und Geschichte, in denen er seinen Mitschülern angeblich turmhoch überlegen gewesen sein soll, wie er in „Mein Kampf“ prahlt, bringt er es nur auf Vierer.
Vaterkonflikt. Der schulische Misserfolg Hitlers mag auch im Konflikt mit seinem Vater begründet sein, der darauf besteht, seinen Sohn auf die Realschule statt auf das praxisferne humanistische Gymnasium zu schicken. Das scheint ihm die bessere Vorbereitung auf die Beamtenlaufbahn zu sein, die er für ihn vorgesehen hat. Doch genau davor graut es Adolf. Einmal hat Alois den Sohn auf das Zollamt mitgenommen, um ihm Appetit auf eine Karriere im Staatsdienst zu machen. Das sollte sich als kontraproduktiv herausstellen. Später wird Hitler erzählen, dass ihn dieser Besuch mit „Schrecken, Hass und dauerhafter Abscheu gegen das Beamtentum erfüllt“ habe.
Faulheit. Ob er als Schüler aus Opposition zu seinem Vater oder an seiner unbestrittenen Faulheit gescheitert ist, wird nie endgültig zu klären sein. Es werden wohl beide Faktoren eine Rolle gespielt haben.
Der Vater als alleinige Ausrede, wie es aus „Mein Kampf“ herauszulesen ist, kann jedenfalls nicht stimmen. Der stirbt nämlich bereits zweieinhalb Jahre vor Adolfs ruhmlosem Abgang aus der Schule. Am 3. Jänner des Jahres 1903 kippt Alois Hitler beim Wiesinger in Leonding nach dem ersten Schluck Wein beim Frühschoppen von der Wirtshausbank.
Offensichtlich ein Schlaganfall. Noch bevor der Arzt oder ein Priester eintrifft, haucht er im Zimmer neben der Schank sein Leben aus. Die Linzer „Tagespost“ würdigt in einem ausführlichen Nachruf Alois Hitlers Bürgersinn, seinen fortschrittlichen Geist, seine Häuslichkeit und sogar seinen Humor.
Lüge von der Armut. Später wird Hitler behaupten, der Tod des Vaters hätte die Familie endgültig in die Armut getrieben. Das ist natürlich überhaupt nicht wahr. Für seine Frau, noch mehr aber für die Kinder, bedeutet der Tod des Haustyrannen wohl eher eine Erleichterung. Materiell ist vorgesorgt, Klara Hitler bezieht eine großzügige Witwenpension.
Adolf Hitler ist jetzt der einzige Mann im Haus, doch seine Mutter besteht dennoch darauf, dass er weiter auf die Schule geht. Nach dem erfolglosen Jahr in Steyr willigt sie schließlich ein, dass Adolf seine Ausbildung abbricht. Sein Leben lang wird er seinen elementaren Hass auf seine Lehrer behalten. „Die Lehrer, ich kann sie nicht leiden. Die wenigen, die gut waren, bestätigen die Regel.“