Einen Umsturz muss Xi Jinping laut Analysten aber nicht befürchten.
Die seltenen Straßenproteste in chinesischen Städten waren nach Einschätzung von Experten das bisher stärkste Zeichen an Unmut über die Null-Covid-Strategie Pekings - und der stärkste öffentliche Widerstand, den Präsident Xi Jinping in seiner politischen Karriere zu spüren bekam. Seit den Protesten auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989 hatten nicht mehr so viele Chinesen Verhaftungen und andere Konsequenzen riskiert, um für ein Thema auf die Straße zu gehen.
Und die Warnungen der chinesischen Führung vor einem harten Vorgehen zeigt, wie ernst Xi das Thema nimmt. Doch er steht nach Ansicht von Katja Drinhausen von der China-Denkfabrik Mercis vor einer schwierigen Gradwanderung: Er muss einerseits den Kurs lockern - darf aber andererseits angesichts der niedrigen Impfquote nicht riskieren, dass die Corona-Situation in dem Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern außer Kontrolle gerät.
Xis Problem: Er hatte die persönliche Verantwortung für die Führung des "Krieges" gegen Covid-19 beansprucht, meint auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich in Berlin. Xi hatte die nach seiner Darstellung "korrekte" Corona-Politik zu seinen politischen Errungenschaften gezählt, als er auf dem 20. Parteitag der kommunistischen Partei für eine dritte Amtszeit gewählt wurde. Obwohl die Proteste in Peking, Shanghai, Wuhan, Chengdu und Urumqi für Xi peinlich sind, sind sie nicht annähernd in der Lage, ihn zu stürzen. Denn er habe die volle Kontrolle über die Partei, das Militär, die Sicherheit und die Propagandamaschinerie, sagen Analysten.
"Nieder mit Xi"
Während einige Demonstranten "Nieder mit Xi Jinping, Nieder mit der Kommunistischen Partei Chinas" skandierten, ging es den meisten anderen nur darum, sich gegen die Abriegelung ihrer Wohngebiete oder die Befreiung von den häufigen Tests auf das Virus zu wehren. "Sobald diese Eigeninteressen erfüllt sind, sind die meisten Menschen besänftigt und ziehen weiter", sagt Chen Daoyin, ein ehemaliger außerordentlicher Professor an der Universität für Politikwissenschaft und Recht in Shanghai, der jetzt als Kommentator in Chile lebt. Die Studenten waren nicht straff organisiert und wurden auch nicht von einer zentralen Figur angeführt, so Chen.
Anders als bei der Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens, die 1989 zur Ablösung des Generalsekretärs der Partei führten, gibt es zudem keinen Dissens in der Führung der KP, welchen Weg China in Zukunft einschlagen sollte.
Aber obwohl Xi auf dem Parteitag nur eigene Anhänger in Machtpositionen gehievt hat, sehen Analysten auch Schwachstellen. "Indem er sich nur mit Leuten umgibt, die das sagen, was er gerne hört, ist Xi in einer Echokammer gefangen. Das könnte dazu geführt haben, dass er unterschätzt oder nicht mitbekommt, wie sehr die Menschen unter seiner Covid-Politik gelitten haben", sagt Lance Gore, ein China-Experte am East Asian Institute in Singapur.
Dilemma
Und Xi steckt in einem Dilemma: Hält er an der strengen Corona-Politik fest, bleiben die Spannungen in der Bevölkerung oder wachsen sogar weiter. Zudem ist das Wirtschaftswachstum gefährdet. Möglicherweise müsse der Internationale Währungsfonds seine Prognose für Chinas Wirtschaftswachstum nach unten korrigieren, erklärte IWF-Chefin Kristalina Georgieva erst am Dienstag in Berlin. Sie verwies neben den Schwierigkeiten auf dem Immobiliensektor ausdrücklich auf die Coronavirus-Pandemie.
Aber wenn der Präsident dem öffentlichen Druck nachgibt, birgt dies ebenfalls große Risiken. "Wenn er nachgibt, würde das bedeuten, dass seine frühere Null-Covid-Politik völlig gescheitert ist und er die Verantwortung dafür übernehmen müsste. Dadurch würde er sein Gesicht verlieren", sagt Teng Biao, chinesischer Menschenrechtsaktivist, Anwalt und Wissenschafter. Es entspreche nicht Xis Charakter, nachzugeben, sagen Analysten.
Xi hatte die Notwendigkeit betont, eine "farbige Revolution" oder regierungsfeindliche Proteste zu verhindern, zuletzt bei seiner Rede auf dem Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit im September in Usbekistan. In einer Rede hinter verschlossenen Türen beklagte er außerdem, dass die Kommunistische Partei der Sowjetunion zusammengebrochen sei, weil niemand "Manns genug" gewesen sei, sich der Herausforderung zu stellen.
Merics-Expertin Drinhausen weist zudem darauf hin, dass die Pandemie sich in China ausbreiten könnte, wenn Xi seine Corona-Politik ändert, bevor das Land darauf mit ausreichenden Impfungen vorbereitet ist. "Für die nächsten drei bis sechs Monate wird es auf jeden Fall ein schmaler Grat werden, den die Regierung da gehen muss", sagt sie.
Wie diese Gratwanderung aussehen könnte, zeigt sich in der südchinesischen Stadt Guangzhou, die am Mittwoch die Corona-Bestimmungen lockerte. Das betreffe Vorsorgemaßnahmen und mehrere Stadtbezirke, teilte die Bezirksregierung mit. Der Stadtbezirk Conghua teilte mit, Kinder sollten wieder Präsenzunterricht haben, Kinos und Restaurants würden geöffnet.