Innenpolitik

Politischer Rechtsruck in Kroatien

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Wütende Demonstranten machen den Politikern Druck.

Der Alarm kroatischer Lehrer lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: "Wenn Sie wollen, dass Ihre Kinder zu normalen Menschen des 21. Jahrhunderts heranwachsen, retten Sie diese", verlangten sie in der letzten Woche eine Massenauswanderung: "Wenn Sie bleiben, werden Ihre Kinder zu grauen, gleichgeschalteten und fantasielosen ferngesteuerten Wesen mit verkümmerter Kreativität".

Hohle Phrasen
Rechte Politideologen ließen nicht zu, das veraltete Bildungssystem zu modernisieren und verlangten stattdessen nach Ansicht von Kritikern hohle Phrasen: Kirche, Vaterlandsliebe, Vater-Mutter-Kind-Ehe, die Verteufelung gleichgeschlechtlicher Beziehungen und eine Verklärung der nicht immer so hehren nationalen Geschichte müssten wieder ganz oben stehen. Träger dieses Gedankengutes ist die christlich-konservative große Regierungspartei HDZ.

Folgerichtig warfen nicht weniger als 500 Experten mit ihrem Leiter Boris Jokic an der Spitze in der vergangenen Woche das Handtuch. Sie hatten seit über einem Jahr an einer "historischen Reform des Schulsystems" gearbeitet, der grundlegendsten Bildungsreform seit der Unabhängigkeit vor einem Vierteljahrhundert. Das Bildungssystem "vom Kindergarten bis zur Uni-Fakultät" sollte von Uralt-Ballast befreit werden.

Demonstration
Am Mittwochabend demonstrierten Tausende gegen die Einmischung der Politik in die geplante große Bildungsreform. Allein in Zagreb gingen mehr als 15.000 Eltern, Schüler und Lehrer auf der Straße. Auch in einem Dutzend anderer Städte drückten wütende Menschen ihre Unterstützung für die zurückgetretenen Bildungsexperten und gegen die Politiker aus.

Der ideologische Rückschritt begann schon unter der sozialdemokratischen Regierung vor drei Jahren. Extrem Konservative setzten gegen die Sozis und gemeinsam mit der katholischen Kirche ein Referendum durch, mit dem die christliche Eheform als Regel in die Verfassung aufgenommen wurde.

Anlehnung ans Mittelalter
Dann verlangte der Vorsitzende der Bischofskonferenz Zelimir Puljic ein zweites Referendum, mit dem der Faschisten-Gruß im Zweiten Weltkrieg, "Fürs Vaterland bereit", innerhalb der Armee des EU- und NATO-Landes wiedereingeführt werden soll. Regelmäßiges Skandieren dieses Grußes bei Fußballspielen hatten die internationalen Sportverbände mit schweren Strafen geahndet.

Im Jänner kam die HDZ wieder an die Regierung und dann ging es erst richtig los. Der neue Veteranenminister Mijo Crnoja wollte in Anlehnung an den mittelalterlichen Pranger ein "Verräterregister" einführen. Ein Aufschrei der Kunstszene war die Folge. Tausende trugen sich selbst in ein fiktives Register ein, "weil ich kein Kreuzzeichen kann", "weil ich nichts gegen Schwule habe", "ich Satire mag" oder "weil ich sonntags Wäsche wasche" oder "mich enthaare".

Rücktritt
Der Minister musste schon nach einer Woche zurücktreten. Nicht wegen des geplanten stramm-rechten Registers, sondern weil er sich widerrechtlich ein Grundstück angeeignet, undurchsichtige Kredite besessen und auch bei einer angeblichen Kriegsverletzung geschummelt haben soll. Und dennoch: Weil das öffentlich-rechtliche Fernsehen HRT zu wenig patriotisch daherkam, wurde in einem umstrittenen Verfahren im März die Führung kurzerhand ausgewechselt.

Speerspitze der konservativen Wende ist der von der Kirche unterstützte Verein "Im Namen der Familie" unter ihrer Anführerin Zeljka Markic und der "christlichen Bewegung" erzkonservativer Politiker und Bürger "Hrast" (Eiche). Tausende nahmen am 21. Mai in Zagreb an einem "Marsch für das Leben" teil, mit dem jede Abtreibung verboten werden soll. Prominenteste Mitstreiterin: Die Frau des Regierungschefs, Sanja Oreskovic.

Ideologische Atmosphäre
In diese ideologisch aufgeladene Atmosphäre passt, dass der HDZ-Vorsitzende und stellvertretende Regierungschef Tomislav Karamarko auf Korruptionsvorwürfe, die auch von der Reformpartei Most (Brücke) als Juniorpartner mitgetragen werden, so reagierte: "Ich werde euch niemals verraten!", versprach er am Samstag auf dem Parteitag in Zagreb den Mitgliedern: "Für mich steht die Heimat und das Interesse unseres Volkes an erster Stelle. Ich werde nicht zulassen, dass man euch erniedrigt". Zu den Vorwürfen sagte er inhaltlich nichts.

Kulturminister Zlatko Hasanbegovic, dessen Rücktritt wegen Unterstützung faschistischen Gedankengutes namhafte französische Intellektuelle gefordert hatten, bekam auf dem HDZ-Parteitag bei Vorstandswahlen klar die meisten Stimmen.
 

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