Karawane der Freiheit

Tausende nehmen am Marsch auf Tunis teil

Teilen

"Das Volk ist gekommen, um die Regierung zu stürzten", schreit die Menge.

In Tunesien lassen die Demonstranten auch rund eine Woche nach dem Sturz des verhassten Präsidenten nicht locker. Am Wochenende trugen Tausende Tunesier erneut ihre Wut über die Übergangsregierung auf die Straße. Die Massenproteste richten sich gegen Mitglieder der Führungsriege um Ex-Präsident Zine el-Abidine Ben Ali, die weiter in dem nordafrikanischen Land den Ton angeben wollen.

Demonstranten wollen eine "saubere" Regierung
Etwa 1000 Menschen aus der Region um die Stadt Sidi Bouzid, wo der Aufstand seinen Anfang nahm, marschierten nach Angaben des französischen Rundfunks am Sonntagmorgen in die Hauptstadt Tunis. "Das Volk will die Regierung stürzen", skandierten die zumeist jugendlichen Protestler, die eine "saubere" Regierung verlangten, ohne Vertreter des gestürzten Regimes. Auch aus anderen Landesteilen wollten Demonstranten zu Protesten nach Tunis marschieren.

Polizei protestiert mit
Den Protesten schlossen sich auch Tausende Polizisten an , die sich damit demonstrativ von ihrer Vergangenheit distanzierten. Bis zuletzt hatte die Polizei versucht, den Aufstand niederzuschlagen. Eine unabhängige Kommission soll nun die Rolle der Sicherheitskräfte bei den tödlichen Schüssen auf Demonstranten untersuchen. Die Polizei stellte zudem zwei Verbündete Ben Alis unter Hausarrest.

Ghannouchi wird sich nach Neuwahlen zurückziehen
"Das Volk will den Sturz dieser Regierung", skandierte am Sonntag die Menge vor dem Sitz des im Amt gebliebenen Ministerpräsidenten Mohamed Ghannouchi, der zuvor noch an die Geduld seiner Landsleute appelliert hatte. Unter dem Druck der Proteste hatte Ghannouchi angekündigt, sich nach Neuwahlen aus der Politik zurückzuziehen. In einer Fernsehansprache stellte er sich ebenfalls als ein Opfer der Ben-Ali-Herrschaft dar. "Ich habe gelebt wie die Tunesier und mich gefürchtet wie die Tunesier", sagte er mit Blick auf die wirtschaftlichen Nöte seiner Landsleute und die politische Verfolgung unter Ben Ali.

Die Regierung signalisierte am Sonntag die Bereitschaft, gegen Gefolgsleute Ben Alis vorzugehen und stellte zwei von ihnen unter Hausarrest: Es handelt sich der staatlichen Nachrichtenagentur zufolge um den Sprecher und Chefberater des Ex-Präsidenten sowie einem ehemaligen Innenminister und Vorsitzenden des Oberhauses im tunesischen Parlament. Nach einem politischen Berater Ben Alis werde noch gefahndet. In der vergangenen Woche hatte die Übergangsregierung bereits die Festnahme von 33 Mitgliedern der Ben-Ali-Familie vermeldet.

Am 14. Jänner hatten die Massenproteste Präsident Ben Ali selbst in die Flucht nach Saudi-Arabien geschlagen. Sein Ministerpräsident Ghannouchi blieb im Amt, um eine Koalition der Einheit zu führen. Doch viele Kritiker werfen ihm vor, dass ehemalige Top-Politiker von Ben Alis Regierungspartei Schlüsselministerium behalten sollen.

78 Tote bei Unruhen
Bei den Unruhen der vergangenen Tage starben nach tunesischen Regierungsangaben 78 Menschen. Der UNO zufolge wurden bei dem Aufstand 117 Menschen getötet, 70 davon durch Schüsse mit scharfer Munition. "Wir werden der Frage nachgehen, wer die Erlaubnis für den Einsatz der Schusswaffen gab", sagte der Chef der Untersuchungskommission, Taoufik Bouderbala. In einzelnen Fällen sei offenbar gezielt auf Köpfe und Oberkörper der Menschen geschossen worden. Es gehe darum, die Fakten zu prüfen, warum mit Waffen gegen Menschen vorgegangen sei, die unbewaffnet Brot und Freiheit gefordert hätten.

Die Übergangsregierung hat derweil die Zensur aufgehoben und die Einfuhr von Zeitschriften und Filmen, die vorher genehmigt werden musste, frei gegeben. Gewerkschaften haben die Lehrer zu einem unbefristete Streik aufgefordert. In der kommenden Woche sollten eigentlich Schulen und Universitäten ihren Betrieb wiederaufnehmen.

Ghannouchi will zu einer "Ära der Demokratie" beitragen
Unterdessen erklärte der tunesische Islamistenführer Rached Ghannouchi (69) er wolle "sehr bald" aus dem Londoner Exil in seine Heimat zurückkehren. Dem deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" sagte der Chef der verbotenen Partei Ennahdha (Al-Nahdha/"Wiedergeburt"), er strebe im neuen Tunesien kein Amt an. "Ich bin kein Khomeini", erklärte Ghannouchi. Vielmehr wolle er nach 22 Jahren im Ausland nach Hause und dort "intellektuell beitragen" zu einer "Ära der Demokratie". Er forderte von der jetzigen Führung eine Generalamnestie für alle Verurteilten einschließlich seiner Person.

Im Nachbarland Algerien löste die Polizei am Samstag gewaltsam eine Demonstration der Opposition für mehr Demokratie auf. Bei Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften in der Hauptstadt Algier seien am Samstag 42 seiner Anhänger verletzt worden, sagte der Präsident der Oppositionspartei RCD, Said Sadi. Das Innenministerium sprach von 19 Verletzten, darunter acht Polizisten.

 

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.