Experte: "Kyoto realpolitisch nicht wahrgenommen"

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"Das Kyoto-Ziel wurde realpolitisch nicht wahrgenommen": Das sagt der Wifo-Experte Stefan Schleicher angesichts der heimischen Prognosen zur Klimapolitik. Ein Klimaschutzgesetz, wie es nun Nikolaus Berlakovich fordert, sei de facto schon seit 1998 notwendig gewesen, als man das Kyoto-Protokoll unterschrieben habe.

Der Zeitpunkt für diese legistische Maßnahme ist für ihn auch reichlich spät: Denn Auswirkungen habe es erst für die letzten zwei Jahre der Erfüllungsperiode des Klimaabkommens.

Für Schleicher ist das Eingeständnis Österreichs, als einziges der "alten" EU-15 seine internationalen Verpflichtungen zur CO2-Einsparung wohl nicht erreichen zu können, so etwas wie eine späte Rehabilitierung: "Ich selbst bin ja vor zwei Jahren in einen Konflikt gekommen, weil ich Mitautor einer Studie war, die das festgestellt hat." Damals sah er sich einem heftigen Disput mit dem nunmehrigen Finanzminister Pröll ausgesetzt, der Schleicher unter anderem attestierte, als Experte im Klimafonds "fehl am Platz" zu sein.

Berechnungen nun bestätigt

Schleicher sieht seine damaligen Berechnungen nun bestätigt. Bei der Verfehlung der Ziele dürfe man außerdem auch nicht gelten lassen, dass das von Österreich innerhalb der EU-15 vereinbarte Ziel mit minus 13 % CO2-Einsparung von vorneherein zu hoch angesetzt gewesen sei. "Das war damals ein völlig akzeptables Ziel, wir hatten zu dem Zeitpunkt eine fallende Tendenz bei den Emissionen." Und: Nicht einmal den EU-Schnitt von acht Prozent könne man nach derzeitigem Stand erreichen.

Hauptverantwortlich sei "an erster Stelle" der Verkehr, "den wir sich völlig außer Kontrolle entwickeln haben lassen". Die Emissionen in dem Bereich seien seit 1990 um mehr als als 70 % gestiegen. Vor allem beim privaten Individualverkehr müsse man endlich in Richtung des europäischen Durchschnitts kommen: "Ab zwei Kilometern dominiert bei uns die Verwendung des privaten Pkw. Da kommt in anderen Ländern viel stärker das Fahrrad zu tragen."

Großen Handlungsbedarf gebe es nach wie vor beim Thema Raumwärme, sprich: Dämmung. Dem Gebäudebestand, der bis 1980 gebaut wurde, abgewohnt und energetisch in einem schlechten Zustand ist, sei zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. "Die gesamte Sanierungsrate in Österreich ist kaum bei einem Prozent. Das heißt, wir werden 100 Jahre brauchen, um den ganzen Bestand zu sanieren."

Das Klimaschutzgesetz kommt für Schleicher reichlich spät: Man hätte bereits nach der Unterschrift unter das Kyoto-Protokolls die Chancen zur CO2-Reduktion und den Ausbau der erneuerbaren Energien ergreifen sollen, meint er. "Man muss jetzt akzeptieren, dass wir in der ersten Kyoto-Erfüllungsperiode drinnen sind. (Diese dauert von 2008 bis 2012, Anm.) Sollte das Gesetz nächstes Jahr in Kraft gehen, wird es nicht vor 2011 wirksam werden. Dann verbleiben uns nur noch 2 Jahre."

Leitl: Ziele waren zu ambitioniert

Angesichts der Versäumnisse bei den heimischen Klimazielen hat sich Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl mit Kritik zu Wort gemeldet. Die Warnungen der Wirtschaft hätten sich leider bewahrheitet, sagte er in einer Aussendung. Das Kyoto-Ziel mit Treibhausgas-Einsparungen um 13 % gegenüber 1990 sei viel zu ambitioniert gewesen, zudem hätten ausreichend dotierte Investitionen in die Energieeffizienz, die Infrastrukturen und die Technologieentwicklung erfolgen müssen. "Das ist jedoch nicht passiert und nun wird uns die Rechnung präsentiert", so Leitl.

Der Wirtschaftskammerpräsident brachte außerdem die Rechnung ins Spiel, wonach Österreich insgesamt rund 1 Mrd. Euro ausgeben wird müssen, um seine Kyoto-Verpflichtung durch den Zukauf von Emissionsberechtigungen auf dem internationalen Markt zu erfüllen. Dies hätten Experten ausgerechnet.

Leitl fordert außerdem einen stärkeren Fokus auf die thermische Sanierung von Gebäuden. "Experten bestätigen, dass diese Maßnahme das Budget aufgrund der Rückflüsse an Steuern und Abgaben nicht belastet, Arbeitsplätze und Aufträge für Betriebe sichert und den Energieverbrauch und damit den CO2-Ausstoß senkt." Hier sollte die Politik rasch handeln.

Investitionen in den Verkehrsbereich

Verkehrsministerin Bures betonte, wie wichtig die Stärkung des öffentlichen Verkehrs sei. "Diese Investitionen sind alternativenlos und ich hoffe, dass sie nun endgültig außer Streit gestellt sind", so Bures. Die Förderung für neue und alternative Antriebstechnologien sowie für E-Mobilität wurde seitens des BMVIT für 2009 und 2010 um 50 Prozent auf jeweils 60 Mio. Euro erhöht.

Eine Lanze für die Autofahrer brach der ÖAMTC: Durch den Tanktourismus würde die Bilanz stark verzerrt. "Fakt ist, dass durch die im Vergleich zu Deutschland und Italien günstigeren Spritpreise Österreich zum bevorzugten Tankland für Frächter und auch private Autofahrer geworden ist, die damit immerhin jährlich knapp 1 Mrd. Euro in das heimische Staatsbudget spülen", sagt der Chef der ÖAMTC-Interessenvertretung, Mario Rohracher.

Mehr als ein Drittel der in Österreich verursachten CO2-Emissionen aus dem Sektor Verkehr werden daher gar nicht im Inland verursacht. Laut Umweltbundesamt werden dem Verkehr 24,3 Mio. t zugeordnet, davon stammen 7,2 Mio. t aus dem Tanktourismus. "Ohne Tanktourismus wäre Österreich in derselben Situation wie andere EU-Länder. Dem Versuch, über die Kyotoziele den Weg für neue Steuern aufzubereiten, wird der ÖAMTC nicht tatenlos zusehen", sagt der ÖAMTC-Interessenvertreter.

Der ÖAMTC kritisiert außerdem, dass die von Österreich seinerzeit selbst vorgeschlagenen Emissionszielwerte viel zu ambitioniert angesetzt worden sind. Eine hypothetische Anhebung der Spritpreise mittels Mineralölsteuererhöhung um zehn Cent pro Liter könnte zwar den Tanktourismus zum Erliegen bringen und das Kyotoziel zumindest am Papier sofort erfüllen. Die Zusatzeinnahmen von 1 Mrd. Euro jährlich würden in diesem Fall jedoch 1:1 von den Tanktouristen auf die inländischen Konsumenten übergewälzt werden. Der Chef der ÖAMTC-Interessenvertretung: "Für Umwelt und Bundesbudget unter dem Strich ein Nullsummenspiel, jedoch mit einer zusätzlichen Belastung von einer Milliarde Euro für die heimischen Kraftfahrer."

Und dass hohe Spritpreise quasi automatisch zu geringerem Kraftstoffverbrauch führen, ist eher Wunschdenken als Realität. Beweist doch z. B. eine brandaktuelle Wifo-Studie einmal mehr, dass die Konsumenten auf Preissteigerungen von Diesel und Benzin eher unelastisch reagieren. "Solange gleichwertige Angebote und attraktive Anreize zum Umstieg auf andere Verkehrsmittel fehlen, ist das Auto in vielen Fällen eben die einzige realistische Alternative", sagt der ÖAMTC-Interessenvertreter abschließend.

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