Kassen-Chefärzte lehnten Tamiflu-Rezepte ab

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Die Zahl der täglich neu bestätigten Schweinegrippe-Erkrankungen ist in den vergangenen Tagen mit etwa zehn pro Tag ziemlich konstant geblieben. Seit 9. August sollen Patienten in Österreich zuvorderst zu Hause und vom niedergelassenen Arzt betreut werden - antivirale Medikamente inklusive. Doch Kassen-Chefärzte bemühten sich vergangene Woche offenbar, Tamiflu-Rezepte bei der Bewilligung abzulehnen.

Trotz einer im Vergleich zu anderen Staaten in Österreich noch gar nicht richtig angelaufenen A(H1N1)-Welle, gingen der APA zwei Beispiele aus Wien zu, bei denen die Chefärzte erst nach Protest der verschreibenden Mediziner schließlich ihre Einwilligung gaben.

Die seit 9. August geltenden und vom Gesundheitsministerium herausgegebenen Regeln zur Verschreibung der antiviralen Medikamente: "Bei Verdachts- und Erkrankungsfällen (...) besteht die Indikation für eine antivirale Therapie ("Relenza" oder "Tamiflu") raschest, spätestens innerhalb von 48 Stunden, sofern nicht kontraindiziert."

Arzneimittel (noch) chefarztpflichtig

Freilich, in der niedergelassenen Kassenpraxis blieben die Arzneimittel (noch) chefarztpflichtig. Doch zur Vereinfachung der Situation wurde festgelegt: "Sofern nicht bereits eine Abgabe von 'Tamiflu' oder' Relenza' durch die Anstaltsapotheke erfolgt, ist es - um eine Bezahlung des verschriebenen Medikaments durch den zuständigen Krankenversicherungsträger zu ermöglichen - notwendig, folgende zusätzliche Anmerkungen auf dem Rezept anzuführen:

- Bei Verdachtsfällen: 'Verdachtsfall Influenza A(H1N1)' - Bei positiven Fällen: 'Erkrankungsfall Influenza A(H1N1)' - Bei engen Kontaktpersonen: 'Enge Kontaktperson eines Erkrankungsfalles Influenza A(H1N1) bei empfohlener Indikation'."

Diese Vorgangsweise wurde der APA im Anschluss an die Diskussionen rund um die Abwicklung der Maßnahmen zur Schadensbegrenzung bezüglich der Schweinegrippe in Österreich schriftlich von Christoph Klein, Stellvertretender Generaldirektor des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, bestätigt. Ebenso äußerte sich Jan Pazourek, Stellvertretender Generaldirektor der Wiener Gebietskrankenkasse.

Verwirrung um Tamiflu-Bewilligung

Doch am 20. August hatte ein Wiener Hausarzt mit Kassenvertrag ein ganz anderes Erlebnis: "Pat(ient, Anm.) ist vor 2 Tagen aus Spanien gekommen Fieber 38,9, Gliederschmerzen - hochgradiger Verdacht auf Influenza H1N1", schrieb der Arzt über das elektronische Rezeptbewilligungssystem (ABS) an die Krankenkasse der Patientin, die Krankenfürsorgeanstalt der Stadt Wien (KFA), um ein Tamiflu-Kassenrezept bewilligen zu lassen.

Rund 15 Minuten später kam überraschenderweise eine Ablehnung zurück. Unter "Antwort" findet sich der Hinweis "Pandemieplan", unter "Entscheidung": "Ablehnung". So zumindest die Rückmeldung der handelnden Chefärztin der KFA. Der Wiener Kassenarzt ließ nicht locker und schrieb zurück, dass laut Aussagen von Dr. Christoph Klein etc. Tamiflu im Erkrankungsfall bewilligt werden müsse. Im Falle des Aufrechterhaltens der Ablehnung erbitte man eine ausführliche Begründung. Der weitere Verlauf: Eine zweite Antwort der Chefärztin. Dieses Mal lautete die "Entscheidung": "Bewilligung". Dafür fand sich der zusätzliche Hinweis: "Virusnachweis mittels PCR?"

Der Arzt gegenüber der APA: "Das hat mich mindestens eine Dreiviertelstunde gekostet. Wenn ich auf einen Labor-Virusnachweis warte, brauche ich 'Tamiflu' gar nicht mehr zu verschreiben." Das sei doch Unsinn. Pikantes Detail am Rande: Zunächst war überlegt worden, ob die Patientin nicht ein Wiener Spital aufsuchen sollte. Als "umkomplizierter Fall" hätte sie dort aber laut den geltenden Empfehlungen nicht aufgenommen werden müssen. Außerdem hätte das wohl auch noch ein Infektionsrisiko für Schwerkranke im Krankenhaus bedeuten können.

Rudolf Holoubek, Chefarzt bei der KFA, erklärte dazu gegenüber der APA - ohne den speziellen Fall zu kennen -, dass es schon ein "harter Verdacht" auf Schweinegrippe sein müsse, um eine Bewilligung zu rechtfertigen. Bei einer echten Krankheitswelle werde sowieso die Bewilligungspflicht - wie bei einer normalen saisonalen Influenza-Epidemie - aufgehoben.

Patientin aus New York

"Werte Kollegen - eine Dramaturgie - mein erster Verdachtsfall", unter diesem Titel beschrieb Ende vergangener Woche ein Wiener Kassenarzt der Ärztekammer eine ähnliche Erfahrung mit zunächst erfolgter Ablehnung eines "Tamiflu"-Kassenrezeptes.

"Heute als vorletzter Patient in meiner Vormittagsordination: der erste A(H1N1)-Verdachtsfall. Pat. Weiblich, 34a, Lehrerin: Nach USA-Aufenthalt aus New York nach Wien angekommen, seit gestern Fieber, Halsschmerzen, Rückenschmerzen, leichte gastrointestinale Beschwerden. Mitbewohnerin angeblich ebenfalls mit gleichen Symptomen, diese aber in die Arbeit gegangen", schilderte der Arzt weiter.

Zunächst klappte die Abwicklung der Bewilligung über das elektronische System (ABS) aus technischen Gründen nicht. Der Arzt merkte weiter an: "Schließlich Antwort des ABS-Arztes: Entscheid: Keine Bearbeitung über ABS." Der Mediziner rief bei der Wiener Gebietskrankenkasse an, diese verwies auf die "Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA)", wo die Patientin versichert sei. Der Kassenarzt weiter. "Anruf bei BVA, erreiche in der Tat die Ärztin, die Ablehnung ausgesprochen hat. Erwirke Umstimmung und Zusage der Bewilligung des Medikaments beim zweiten Anlauf." Der Arzt will weiters einen Rachenabstrich durchführen lassen. Im Institut für Virologie sei die Frau aber abgewiesen worden, man nehme nur Proben an. Weiters sei dort die Verdachtsdiagnose angezweifelt worden.

"Motivation sinkt gewaltig"

Der Arzt an seine Wiener Standesvertretung: "Nun kommen mir ernsthafte Zweifel, ob man denn an der Eindämmung der Ausbreitung der Schweinegrippe wahrhaft interessiert sei? Wenn der Versuch, sich annähernd an die Empfehlungen zu halten, derart frustriert wird, sinkt die Motivation doch gewaltig. (...) Die Art und Weise, meine Verdachtsdiagnose infrage zu stellen und zudem meine Therapieempfehlung zu korrigieren, halte ich gelinde ausgedrückt für überheblich, anmaßend und in höchstem Maße unkollegial. Nun lassen wir der Influenza eben ihren Lauf. Es wird schon nicht so schlimm werden. Oder?" Die Patientin legte sich laut dem Mediziner schließlich ins Bett.

"Das ist mir unverständlich", erklärte ein Wiener Experte gegenüber der APA zu den berichteten Fällen. Freilich, der Hauptverband der Sozialversicherungsträger kann offenbar nur Empfehlungen aussprechen, er hat keine Richtlinienkompetenz gegenüber den Krankenkassen. Jeder Patient, dessen Kassenrezept nicht bewilligt wird, kann einen Bescheid verlangen, um dagegen eventuell anzukämpfen. Für die Behandlung der A(H1N1)-Influenza ist es bis zu dessen Erledigung wohl zu spät.

Diskussion um WHO-Empfehlungen

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte am 21. August neue Empfehlungen für die Verwendung der antiviralen Medikamente gegen die A(H1N1)-Influenza veröffentlicht. Exklusive der Influenza Gesunde mit unkompliziertem Krankheitsverlauf "müssen nicht" antiviral behandelt werden, Risikopersonen und Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf sehr wohl.

Das führt auch zu Diskussionen unter Experten. Der Wiener Sozialmediziner Michael Kunze will nach Studium des Papiers auf der sicheren Seite sein. "Wenn die Pneumonie (als eine Komplikation der Influenza, Anm.) am Tag 5 oder 6 auftritt, ist es zu spät", warnte er.

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