Neue Grippe: Diskussion um antivirale Medikamente

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Die sogenannten Neuraminidase-Hemmer Oseltamivir ("Tamiflu"/Roche) und Zanamivir ("Relenza"/GSK) sind seit Jahren als Therapie gegen die Influenza zugelassen. Laut den klinischen Studien reduzieren sie die Krankheitsdauer und können Komplikationen vermeiden helfen. Zwei brandneue Analysen der wissenschaftlichen Literatur - keine neuen klinischen Studien - sorgen jetzt aber für Aufregung. Die Untersuchungen britischer Wissenschafter sprechen von einem nur sehr beschränkten Effekt. Bei Kindern komme es bei Verwendung von Oseltamivir manchmal zu Erbrechen als Nebenwirkung.

Veröffentlicht wurden die Meta-Analysen, bei denen die Daten verschiedener bereits durchgeführten klinischen Studien an Probanden zusammengelegt und erneut ausgewertet wurden, in "Lancet Infectious Diseases" (Samstag) und im British Medical Journal (Montag). In allen Fällen handelte es sich um Studien zur saisonalen Influenza, da es ja in den vergangenen Jahren keine Influenza-Pandemie gab.

Jane Burch und Lesley Stewart von der Universität York in Großbritannien analysierten die Daten von zehn klinischen Studien (sechs mit Zanamivir, vier mit Oseltamivir) mit Influenza-Erkrankten mit bzw. ohne ein größeres Risiko für Komplikationen. Ihre Ergebnisse. "Insgesamt kam es zu einer medianen Verringerung der Zeitdauer bis zum Abklingen der Symptome bei sonst gesunden Erwachsenen um 0,57 Tage mit Zanamivir und um 0,55 Tage mit Oseltamivir. Bei Risikopersonen wurde die Zeit bis zum Abklingen der Symptome mit Zanamivir um 0,98 Tage und mit Zanamivir um 0,74 Tage erreicht."

Fazit laut den Autoren: "Nimmt man die Vor- und Nachteile verschiedener Strategien zur Kontrolle der saisonalen Influenza bei sonst gesunden Erwachsenen zusammen, scheint die Empfehlung des Gebrauchs von antiviralen Medikamenten bei Patienten mit Symptomen wahrscheinlich nicht die beste Wahl zu sein." Anders wäre das bei Risikopersonen - die möglichst breite prophylaktische Impfung wäre sicher besser. Die Ergebnisse ließen sich auch auf die Schweinegrippe übertragen.

Dazu erklärte der Wiener Sozialmediziner Michael Kunze: "Klar, Impfen ist immer das beste. Aber derzeit haben wir noch keinen A(H1N1)-Impfstoff. Bisher haben sich die Neuraminidasehemmer bei der Schweinegrippe bestens bewährt. Die Behandlung reduziert auch das Übertragungsrisiko, weil die Leute dann weniger 'ansteckend' sind."

Wenig Wirkung bei Studie unter Kindern

Am Montag (10. August) sorgte schließlich eine weitere Meta-Analyse des Gebrauchs der Neuraminidase-Hemmer - dieses Mal bei Kindern - für weiterer Diskussionen. Ein Team von Oxforder Wissenschaftern unter Matthew Thompson untersuchte neuerlich die Daten aus vier Studien zur Behandlung und von drei Studien zur Prophylaxe von saisonaler Influenza nach Kontakt mit Erkrankten bei Kindern. Hier kam heraus, dass eine Therapie die Krankheitsdauer um 0,5 bis 1,5 Tage reduzierte. Zehn Tage prophylaktische Einnahme der Arzneimittel verringerte die Erkrankungsrate um acht Prozent. Es gab keine Wirkung auf Asthma-Symptome, auch der zusätzliche Gebrauch von Antibiotika wurde nicht verringert.

Die Autoren: "Neuraminidase-Hemmer bewirken einen kleinen Benefit bei Kindern, was die Reduktion der Dauer der Erkrankung und der Übertragung im Haushalt anlangt." Bei der Verwendung von Oseltamivir (zum Schlucken) käme es aber im Durchschnitt bei einem von 20 Kindern zu Übelkeit und Erbrechen.

Oseltamivir ist in Österreich seit dem Jahr 2002 auf dem Markt. Klinische Studien erfolgten mit rund 11.000 Probanden. Der Wiener Chemotherapeut Wolfgang Graninger erklärte damals mit Hinblick auf die Zulassungsstudien über die Wirkung: "Die Krankheitsdauer wird um rund zwei Tage gesenkt. Insgesamt kommt es zu einer 40-prozentigen Verringerung der Symptome. Die Rate der Sekundärkomplikationen wird um 55 verringert." Dazu gehören vor allem Bronchitis, Nasennebenhöhlen-, Mittelohr- und Lungenentzündungen.

Infektiologe: Keine Überraschung

"Die Studie zur Verwendung der antiviralen Medikamente gegen die Influenza bei Erwachsenen zeigt eigentlich, was wir eigentlich bisher schon wussten. Ihr Effekt ist relativ bescheiden. Vom Standpunkt des öffentlichen Gesundheitswesens ist natürlich eine prophylaktische Impfung wesentlich besser", erklärte am Dienstag Christoph Wenisch, Leiter der Infektionsabteilung am Kaiser-Franz-Josef-Spital in Wien, gegenüber der APA.

Man müsse aber auch die Limitierungen der Meta-Analyse sehen. Der Experte: "Die Untersuchung hat mit A(H1N1) nichts zu tun, weil sie nicht anhand von Studien über diese Influenza durchgeführt wurde. Zweitens tritt der größte Effekt der antiviralen Medikamente bei frühester Gabe ein. Bei Einnahme innerhalb der ersten zwei bis drei Stunden wird man auch bei sonst Gesunden einen Effekt haben." Risikopersonen werde man die Medikamente auf jeden Fall geben.

Zu der Studie über die Verwendung von antiviralen Influenza-Medikamenten bei Kindern gab es am Dienstag auch eine Stellungnahme von Roche, dem Hersteller von Oseltamivir ("Tamiflu") gegenüber der APA. Darin hieß es unter anderem: "Alle namhaften Zulassungsbehörden, allen voran die europäische EMEA und die amerikanische FDA haben weltweit die Wirksamkeit und Verträglichkeit von 'Tamiflu' untersucht und auf Basis von zahlreichen Placebo kontrollierten Studien, die alle dem neuesten Stand der Wissenschaft entsprechen, zur Therapie und Prophylaxe von Influenza-Infektionen zugelassen. Auf dieser Basis hat auch die WHO Tamiflu eingehend geprüft, bevor sie entsprechend positive Empfehlungen zum Einsatz von Tamiflu gegeben hat."

Der Effekt sei klar. Das Unternehmen: "Laut diesen Zulassungsstudien verkürzt 'Tamiflu' klar die Krankheitsdauer und die Anzahl von Komplikationen signifikant, wenn mit der Therapie innerhalb von 48 Stunden begonnen wird. Erfolgte der Therapiebeginn früher, war die Wirksamkeit noch wesentlich besser." Meta-Analysen hätten bekanntermaßen eine beschränkte Aussagekraft, da man hier Studien mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen analysiere. Als Grundlage für die Zulassung von Arzneimitteln seien solche Untersuchungen ungeeignet. Man sollte "in Krisenzeiten (wie dies eine Pandemie darstellt) mit Information zu Studien und Studiendesigns transparent und verantwortungsvoll" umgehen und weder Bevölkerung noch Ärzteschaft verunsichern.

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