Nischen statt Moden für Hotels

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Der Typus des Zukunftsforschers hat es nicht leicht: Weil der Blick auf das Kommende international gefragt ist, reist er viel herum und nächtigt die Hälfte des Jahres auswärts. Oft checkt er dabei in Hotels ein, die ihm bereits in der Gegenwart von gestern scheinen, schließlich hat er den Kopf schon voller Ideen für das Morgen. Über Relikte aus alten Zeiten wie teure Internetpauschalen kann er sich nur noch wundern. So zumindest geht es dem deutschen Experten Matthias Horx und seinem Zukunftsinstitut-Kollegen Harry Gatterer.

Sie forderten bei einem Hotellerie-Symposium in Wien die Branche zu "Nischen statt Trendopportunismus" auf - wohl auch in eigener Sache. Nur das Außerordentliche werde den Gast noch locken. Der hat nämlich heute mehr Reiseerfahrungen, als je zuvor und will in seinem Hotelzimmer keinen niedrigeren Komfort, als in den eigenen vier Wänden. "Gehen Sie ins Extrem und fragen Sie sich, 'wie könnte ich in meinem Betrieb Barack Obama zufriedenstellen. Wie würde sich der US-Präsident am besten erholen'", riet Gatterer zur Unerschrockenheit gegenüber dem Unüblichen.

Verzicht auf Zielgruppen oder Sinusmilieus

Besser außergewöhnlich denken, als altersgestaffelte Zielgruppen bedienen, lautet die Devise. "Zielgruppen sind ein schlechter Ausgangspunkt, weil dabei meist ein Konzept so lange zurechtgerückt wird, bis es ins eigene Denkbild passt", sagt Horx. Mit den echten Kundenbedürfnissen hat das genausowenig zu tun, wie die Einteilung der Klientel in die beliebten Sinusmilieus. Denn wer des Morgens am Weg zur Arbeit noch in der "Bürgerlichen Mitte" unterwegs ist, empfindet sich möglicherweise schon in der Kaffeepause als "Urbaner Hedonist".

Horx spricht deswegen lieber von Menschen in gleichen Lebensphasen als von einer Einteilung in Alter, Herkunft oder Beruf. Leichter erscheint die Positionierung für die Hotellerie dadurch jedoch nicht wirklich, denn die Marktforschung hat die Lebensphasen in kleinste Einheiten seziert. Schon unter den Alleinstehenden tummeln sich Gruppen wie "Nestflüchtlinge", "weibliche Panisingles", "männliche Frustsingles", verwitwete Senioren, "Arbeits-" oder "Funsingles" usw.

Megatrend Individualisierung

Letztgenannte Spezies liefert übrigens ein gutes Beispiel für das schief gelaufene "Zurechtdenken" einer Zielgruppe, wie Horx erklärt: Während man heute weiß, dass die wenigsten unter den Partnerlosen tatsächlich gern allein sind, stürzte sich die Werbewirtschaft vor nicht allzu langer Zeit regelrecht auf das Funsingle-Segment - "Sex and the City" lässt grüßen - um hier ihr Geld zu verbrennen. "Die waren aus irgendeinem Grund wichtig für die Medien", so Horx.

Homogene Gruppen gehören jedenfalls der Vergangenheit an. Wer seinen Betrieb für die Zukunft positionieren will, müsse, so empfiehlt es die Forschung, die schnell veränderlichen Moden und Märkte hinten anstellen und vorrangig die langfristigen "Megatrends" ins Auge fassen. Die Individualisierung gehört dazu.

Im Sinne der Marktforschung bedeutet Individualisierung, man sollte sich als Anbieter auf differenzierte menschliche Lebenslagen einstellen, die klingende Bezeichnungen tragen, von deren "Political Correctness" die so Benannten selbst vermutlich nicht immer überzeugt sind: "CommuniTeens" (sie meistern gestiegene Mobilitätsanforderungen durch Intensiv-Networking), "Inbetweens" (Findungsphase, "was will ich?"), "Latte Macchiato-Familien" (hohe Geburtenrate, wollen aber nicht auf urban-hedonistischen Lebensstil verzichten), "Very-Important-Baby-Familien" - kurz "VIBs" (nach erfolgreicher Karriere wird das spät geborene Kind als "Projekt Baby" mit dem selben Ehrgeiz durchgeplant), "Super Grannys" (Motto: "Kinder halten jung", wollen mit Enkeln verreisen), "Tigerladies" (Powerfrauen) oder "Silverpreneure" (zweite Berufskarriere statt Pension).

Emanzipation bringt Veränderung

Als gesonderter "Megatrend" firmiert in der touristischen Zukunftsforschung außerdem der weibliche Bevölkerungsanteil. Bildung werde zunehmend von Männern auf Frauen umverteilt, mancherorts sorgen Quotenregelungen bereits für mehr Geschlechter-Ausgewogenheit in den Vorstandsetagen. Das werde nicht nur die gesellschaftlichen Wertevorstellungen kippen, sondern auch zu neuen Reiseentscheidungen führen, meint Horx. Stichworte: Businessreisen und Ferien als Ausgleich zum oder abgestimmt auf den Job.

Seit langem gelten Frauen als die unterschätzte Zielgruppe am Reisemarkt. Zwar hat sich die Anzahl reisender Geschäftsfrauen in den vergangenen fünf Jahren weltweit verdoppelt, ausgewiesen frauenfreundliche Hotels lassen sich aber bis jetzt nur schwer finden.

Wer sich also des öfteren über dunkle Hotelgänge und Parkplätze ärgert oder über schicke Design-Badezimmerspiegel, die durch das trennende Waschbecken so weit in die Ferne rücken, dass man sich genauso gut mithilfe des Zimmerfensters schminken könnte, oder wer im "Lady"-Bereich diverser Fitnessstudios auf einem Abstellgleis für Geräte trainiert, deren Sitzpolsterung Schaumstoffflocken freisetzt, wird also freudig, wenn auch mit einer Portioin Skepsis hoffen, dass die Wissenschaft mit ihrer Trendprognose Recht behält.

Darüber hinaus werden sich auch die Motive des Reisens selbst grundlegend ändern. Sind seit den Anfängen der Travel-Industry Erholung, Urlaub, Unterhaltung, Wiederherstellung der Arbeitskraft vorherrschend, rücken zunehmend Bereiche wie Kultur, Wissen, Erlebnis, Erfahrung, Business und Weiterbildung in den Vordergrund. Statt einem großen Urlaub verreist man in mehreren kleinen Tranchen.

Von der Zukunft der Hotellerie zum Hotel der Zukunft

Doch so individuell und kleinteilig die Zukunft auch daher kommen mag, der Wunsch der Gäste nach Orientierung und Zugehörigkeit bleibt, mahnt Harry Gatterer. Er hat sich vor dem Hintergrund der großen Wandlungsszenearien in einem neuen Buch mit dem "Hotel der Zukunft" auseinandergesetzt. Gerade im Zeitalter der Eigenständigkeit brauche der Mensch das Umfeld Gleichgesinnter. Stabilität und gemeinsame Abgrenzung bleiben als Reaktion auf steigende Unsicherheiten durch die Betonung des Individuums besonders wichtig.

Die soziokulturellen Änderungen werden sich nicht zuletzt auch auf die Raumkonzepte auswirken. "Hotels werden zu Denkräumen, zum Ort der Inspirationssuche und Lösungsfindung," meint Gatterer. Ausgedehnte "Play-Zones" zum Austoben oder Entspannen oder "Phantastische Inspirationsräume" spiegeln die Wichtigkeit von Werten wie Lernen, Kreativität oder von Tendenzen wie der Verschmelzung von Beruf und Freizeit in der Ökonomie der Zukunft.

Auch für die im Kommunikationszeitalter alles entscheidende Interaktion mit der Umwelt haben sich findige Hoteliers schon Lösungen überlegt: "Chat Rooms" - und zwar reale, nicht virtuelle - werden als "Ja, ich will reden"-Zonen eingerichtet. Etwa ein Frühstückstisch, an dem ein morgendliches Pläuschchen ausdrücklich erwünscht ist (zb Avia Ressort). Alleinreisende müssen sich somit nicht mehr hinter ihrer Frühstückszeitung verstecken.

Mischung aus global und lokal

Bei der Design-Perspektive spannt Gatterer eine große Bandbreite: Attribute wie urig-gemütlich, supercool, opulent, Ökosign, topleger und "moodig" sind im Kommen. Hauptsache Qualität und aufmerksame Gestaltung stehen im Vordergrund und nicht Protz und Prunk, denn das Gästeauge kennt sich mit Ästhetik immer besser aus. Dabei werden große Chancen jenen Styles prognostiziert, die "sowohl globalen als auch lokalen Charakter beweisen". Wer das regional-ursprüngliche in seinem Betrieb betont, muss sich damit nicht gegen Internationalität und Weltoffenheit entscheiden.

Schließlich sehen die Zukunftsforscher "mehr globale Kultur als je zuvor" herannahen. Die zunehmende Globalisierung, vor allem aber der neue weltweite Wohlstand gelten als die größten Veränderungsprozesse, auf die sich die Tourismusbranche einstellen muss, meint Horx. Die Welt wird multipolar: Heute wirtschaftlich dominante Spieler wie die USA oder Europa verlieren durch den wirtschaftlichen Aufschwung in anderen Kontinenten auch am Reisemarkt ihre Vormachtstellung. Eine neue, gut ausgebildete Mittelschicht aus Ländern wie Indien oder China wird den Sektor bereichern. 4,4 Mrd. "Wohlständige" seien bis 2035 zu erwarten, rechnet Horx vor. Es werde mehr "globale Kultur" geben, und damit einhergehend eine breitere Schicht von Menschen, die einen einheitlichen internationalen, von Bildung und Verhalten geprägten Kodex beherrschen.

Neue Hotelbewertungen

Bleibt noch die Frage, wie man als Hotelier seinem weltweiten Publikum die eigenen Leistungen und Feinheiten kommuniziert. In Österreich existieren seit 25 Jahren unverändert die Sterne-Kriterien als orientierendes Klassifizierungssystem. Ab 1. Jänner 2010 kommt nun eine neue Methodik zum Einsatz, der nicht (wie bisher) nur Mindestkriterien, sondern auch ein Punktesystem (max. 860 Punkte) und ein präzisierter Anforderungenkatalog zugrunde liegt. Darüber hinaus kann sich jede Kategorie das Qualitätsmerkmal "Superior", das für ein Mehr an Dienstleistung steht, verdienen.

Gleichzeitig mit Österreich stellt auch Deutschland um. Die Schweiz soll ein Jahr später folgen. Der Fachverband Hotellerie in der Wirtschaftskammer wünscht sich, dass daraus ein einheitliches Sterne-Qualifizierungssystem für Mitteleuropa entsteht. Weitere österreichische Nachbarländer sind bereits in den Prozess eingebunden.

Für die Gäste soll das neue System mehr Transparenz bringen, heißt es. Dem "Vielreiser" Horx fehlt allerdings noch eine eigene Skala für den Grad des von ihm prognostizierten "Megatrends Individualität", wie er mit einem Augenzwinkern anmerkte. Schließlich seien es gerade die Besonderheiten bei Geschmack, Design oder Freundlichkeit, die beim Gast den größten Eindruck hinterlassen. Im Prinzip hat aber die Beurteilung des Services in Tourismusbetrieben ohnehin längst das interaktive WWW mit seinen zahlreichen Bewertungsseiten übernommen.

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