"Der Omikron-Zug wird mit oder ohne Lockdown durchrauschen"
Der Innsbrucker Infektiologe und Direktor der Uni-Klinik für Innere Medizin, Günter Weiss, sieht aufgrund der derzeitigen Omikron-Welle eine Durchseuchung laufen, die "nicht aufhaltbar ist". Bei einer "gezielten Durchseuchung mit angezogener Handbremse", das heißt bei Beachtung banaler und effizienter Präventionsmaßnahmen, orte er die reelle Chance auf die ersehnte Rückkehr zur Normalität, sagte Weiss im APA-Interview.
Dieses Szenario laufe derzeit in ganz Europa ab, so Weiss. Die Durchseuchung mit der wesentlich milderen, aber ansteckenderen Omikron-Variante sei ein "dynamischer Prozess, der jetzt läuft" und wahrscheinlich in rund zwei Wochen ihren Höhepunkt erfahren und dann wieder abflachen wird. Diesen könne man auch nicht mehr wesentlich beeinflussen: "Das wird so sein, ob man will oder nicht". Deshalb würden auch Lockdown-Maßnahmen nichts bringen, die er in dieser Phase nicht für sinnvoll und effektiv halte: " Der Omikron-Zug ist auf Schiene. Und er wird mit oder ohne Lockdown durchrauschen", betonte der renommierte Mediziner, der auch dem Beraterstab im Gesundheitsministerium angehört. Weiss erinnerte zudem an die Situation in anderen Ländern, in denen sich die Situation ähneln bis gleichen - unabhängig von lockdown-ähnlichen Maßnahmen.
Chance auf Normalität
Durch die Durchseuchung werde man, verbunden mit der Impfung, eine "hohe Immunität in der Bevölkerung" haben und es hoffentlich bzw. wahrscheinlich auch schaffen, aus der "Pandemie herauszukommen" und einen "normalen Sommer" haben. "Und damit werden wir hoffentlich von einer pandemischen in eine epidemiologische Situation übergehen, in der wir in der kalten Jahreszeit wieder mit dem Virus konfrontiert sein werden", sah Weiss ein ähnliches Szenario wie bei anderen Viren, mit denen man auch zu leben gelernt habe. Dann werde es immer wieder darauf ankommen, dass sich möglichst viele ältere Menschen und Risikopatienten impfen lassen. Natürlich gebe es immer wieder Unwägbarkeiten, genau prophezeien könne man nichts. Dies habe man in den vergangenen fast zwei Jahren gelernt, so Weiss. Diesbezüglich halte er es mit Karl Valentin, der einmal treffend gemeint habe: "Vorhersagen sind immer sehr schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen".
Bei dieser "Durchseuchung mit angezogener Handbremse" gelte es aber auch danach zu trachten, dass "nicht zu viele Fälle auf einmal anfallen, damit nicht doch ein Problem mit der medizinischen Versorgung entstehen" könne. Dafür müsse man einfach die vorgegeben Hygienemaßnahmen einhalten, plädierte Weiss für Hausverstand.
Herausfordernde Situation
Nach momentanem Stand und auf Basis der Erfahrung in anderen Länder sah der Infektiologe jedenfalls keine unbewältigbare, aber durchaus eine herausfordernde Situation auf das Gesundheitssystem zukommen. Die bisherige Omikron-Welle habe gezeigt, dass - im Gegensatz zu vorherigen Wellen - die Auslastung in Intensiv- wie Normalstationen nicht in demselben Ausmaß mit den steigenden Infektionszahlen zunimmt. Er rechne zwar damit, dass kurzfristig auch hier die Belegung etwas steigen wird, derzeit bestehe aber Grund für leichten Optimismus, obwohl Vorsicht weiter geboten sei und man erst in etwa zwei Wochen wirklich sagen wird können, wie sich die Omikronwelle in den Hospitalisierungen niederschlagen wird.
Man habe derzeit "marginal" mehr Corona-Patienten in den Krankenhäusern, aber solche mit Omikron würden nur einen relativ geringen Anteil ausmachen. Dies liege zum einen an den weniger schweren Verläufen, die offenbar mit einer anderen Art der Symptomatik (Erkältungs- und Schnupfensymptome) einhergehe. Dazu komme eine offenbar "gute Hintergrundimmunität" durch die Impfungen und durchgemachten Infektionen in früheren Wellen hinzu. "Der letzte Punkt, der bei der Bewältigung der Omikronwelle helfen wird, ist die Forcierung der Booster-Impfung, die bei älteren und Risikopatienten den erwünschten Schutz aufgebaut hat. Dadurch werden diese bei einer Omikron-Infektion nicht so schwer krank und müssen nicht im Krankenhaus behandelt werden", erklärte Weiss.
Die Impfpflicht ist für ihn die "letzte und drastischste Möglichkeit", dem Ziel einer Erhöhung der Impfquote und in weiterer Folge insbesondere dem Ziel, schwerere Verläufe und Todesfälle zu verhindern, näher zu kommen. "Die Für und Wider müssen auch im Hinblick auf die Dynamik der Pandemieentwicklung sorgsam abgewogen und kommuniziert werden, um massive und anhaltende Spaltungen und Zerwürfnisse in der Bevölkerung zu verhindern", mahnte der Experte aber.
Ein Dorn im Auge ist Weiss weiterhin das seiner Ansicht nach übermäßige und ungezielte Testen in Österreich. Österreich teste rund zehnmal so viel wie Deutschland und die Schweiz - habe aber bezogen auf die Bevölkerung die gleichen Infektionszahlen und Hospitalisierungsraten bzw. Todesfälle wie diese Länder. "Dieses ungezielte Testen bringt für die Pandemiebekämpfung eigentlich wenig. Wir geben Milliarden aus, ohne dass wir wirklich einen gesundheitlichen Benefit haben. Es gehört jetzt irgendwann mal aus der Welt geschafft". Im Gegenteil - die Menschen würden sich mit negativen Testzertifikaten in falscher Sicherheit wiegen und auf Hygienegrundregeln verzichten. Tests seien Momentaufnahmen von sehr kurzer Gültigkeitsdauer und Testen sollte deshalb gezielt und symptombasiert aufgrund einer "medizinische Indikation" bzw. im Rahmen des Contact-Tracing oder in kritischen infrastrukturellen Bereichen erfolgen. Es sei doch nicht notwendig, zum Beispiel als dreifach geimpfte und Maske tragende Person für eine Veranstaltung auch noch einen PCR-Test vorweisen zu müssen, kritisierte Weiss: "Man sollte besser schauen, dass die Leute die Masken richtig tragen, die Händehygiene und Abstandsregeln beachten".