Coronavirus

"Gefahr wird in Österreich massiv unterschätzt"

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Wirtschaftssoziologen Bernhard Kittel warnt vor 'Nonchalance' gegenüber Krise.

Wien. Der aktuelle, recht gelassene, teils "nonchalante" Umgang mit der noch schwelenden Coronakrise in Österreich gibt dem Wirtschaftssoziologen Bernhard Kittel zu denken. "Das Weiterbestehen der Gefahr wird derzeit in Österreich massiv unterschätzt", sagte er am Dienstag in einem Online-Vortrag, vor allem im Hinblick auf die wirtschaftlichen Folgen, die ein etwaiger zweiter Lockdown bringen könnte.

In Zusammenarbeit mit vielen anderen Wissenschaftern führt der Forscher vom Institut für Wirtschaftssoziologie an der Universität Wien seit Ende März unter rund 1.500 Österreichern eine wiederkehrende Befragung zu Einstellungen und Wahrnehmung, Reaktionen, etc. im Zusammenhang mit der Coronakrise durch. Beim "Austrian Corona Panel" geht es etwa um das gefühlte Gesundheitsrisiko, die wirtschaftlichen Effekte oder um die Zustimmung und Befolgung der von der Regierung verhängten Maßnahmen zur sozialen Distanzierung, erklärte Kittel beim Auftakt einer Online-Vortragsreihe mit dem Titel "Wien erforscht Corona" des Wiener Wissenschafts-, Forschungs-und Technologiefonds (WWTF). Der Fonds hat das Projekt als eines von insgesamt 24 Vorhaben mit Corona-Bezug in einem eigenen Förderprogramm unterstützt.

Schnelle, reibungslose Anpassung überraschte

Insgesamt habe ihn die schnelle, reibungslose Anpassung der Bevölkerung und die hohe Zustimmung "zu sehr einschneidenden Maßnahmen" hierzulande überrascht, sagte Kittel. Österreich steche im internationalen Vergleich als Land heraus, wo schnell, "aber in einer sehr starken obrigkeitsstaatlichen Weise" auf die Bedrohung reagiert wurde. Woanders habe sich wesentlich mehr Protest in der Bevölkerung geregt.

So war die österreichische Bevölkerung in hohem Ausmaß bereit, die Maßnahmen zu befolgen. Vieles wurde jedoch relativ rasch "über Bord geworfen", als Lockerungen in Aussicht gestellt wurden, erklärte der Wirtschaftssoziologe. Die verschiedenen Erhebungswellen würden nun eine gewisse Gewöhnung an das Leben mit dem Virus, einen starken Wunsch nach Normalisierung, Krisenmüdigkeit und das zunehmende Verlangen nach Begründungen für Maßnahmen durch Evidenz offenlegen.
 
Immer noch zeige sich zwar der größte Teil der befragten repräsentativen Stichprobe "durchaus einverstanden mit den Maßnahmen". Ein "ambivalentes Bild" habe die Bevölkerung jedoch bezüglich der Darstellung der Gefahr durch die Regierung, etwa mit den Ende März in den Raum gestellten, möglicherweise 100.000 Covid-19-Toten in Österreich.
 
Es stehe zu befürchten, dass die Bundesregierung nun sozusagen ihr Pulver für den Umgang mit einer etwaigen späteren Verschärfung der Situation verschossen habe. Insofern fürchte er sich am meisten davor, "was passiert, wenn es nochmals zu einem Lockdown kommt", sagte Kittel. Vor allem die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen wären dann voraussichtlich deutlich größer, denn aktuell fange die Kurzarbeit vieles ab. Der nun vielfach gelebte lockere Umgang sei auch ein "Tanz auf dem Vulkan". Er selbst nehme sich in dem Zusammenhang auch nicht aus, konstatierte Kittel.

Erstaunlich, wie gering die Unzufriedenheit ist

Alles in allem sei auch erstaunlich, wie gering die Unzufriedenheit in der Bevölkerung "in der ersten Phase der Krise" war. Das zeigte auch eine von Katharina Mader vom Institut für Heterodoxe Ökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und ihrem Team durchgeführte Untersuchung zur Verteilung unbezahlter Arbeit in der Gesellschaft im Krisenmodus. Für die nicht repräsentative Untersuchung befragten Forscherinnen der WU und der Arbeiterkammer (AK) Wien zwischen 20. April und 14. Mai rund 2.100 Personen online.
 
Eine zentrale Frage dabei war, ob sich traditionelle Rollenbilder durch den Lockdown und seine Folgen verstärkt haben. Tatsächlich arbeiteten Frauen in Paarhaushalten mit Kindern - bezahlte und unbezahlte Tätigkeiten zusammengerechnet - insgesamt ungefähr 14,5 Stunden am Tag, davon sind 9,5 Stunden unbezahlt. Männer kommen auf etwa 30 Minuten weniger Gesamtarbeitszeit, bezahlte (6,75 Stunden) und unbezahlte Arbeit (sieben Stunden) halten sich in etwa die Waage. Am stärksten habe die Zunahme der Arbeitszeit im Haushalt und bei der Kinderbetreuung Alleinerzieherinnen und Frauen aus der Mittelschicht mit Kindern betroffen, denen etwa Betreuungsoptionen abhanden kamen. Deren Partner schlossen die Lücke meist nicht, auch weil sie im Homeoffice mitunter stärker in die Ernährerrolle rutschten.
 
Wenn vielfach von einer Art Comeback der familiären Situation der 1950er Jahre im Gefolge der Krise gesprochen werde, müsse man festhalten, dass "Krisen ein Vergrößerungsglas für etwas sind, das so und so schon da ist", sagte Mader. Unsere Gesellschaft sei insgesamt "vielleicht gar nicht so stark aus den 50er Jahren herausgekommen wie gedacht", so ein Fazit der Forscherin. Um dem entgegenzuwirken, brauche es Gesetze, die Menschen mehr Zeit dafür geben, auch unbezahlte Arbeit gleicher zu verteilen, sowie lange überfällige Sensibilisierungskampagnen.
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