Czypionka: "Befeuert das, was man verhindern will"
Der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) hält die von der Regierung beschlossenen Lockerungen bei den Quarantäneregeln für "kaum sinnvoll", um die kritische Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Dies würde nur in bestimmten Ausnahmefällen Sinn machen. Dass diese nun für alle gelten, sei sogar kontraproduktiv. Auch trat Czypionka im APA-Gespräch dem Narrativ entgegen, man könne die Omikron-Welle nicht eindämmen.
Czypionka betonte im APA-Gespräch am Montag, auch für das Ziel, die kritische Infrastruktur aufrechtzuerhalten, müsse man alles daran setzen, die Welle insgesamt abzuflachen. "Wenn ich weiß, es kommt eine Welle, dann muss ich schauen, dass diese Welle möglichst flach bleibt, weil sonst viele Leute im Spital landen."
Kritische Infrastruktur
Relevant sei das aber auch abseits der Krankenhauseinweisungen, auch bei Omikron. Denn man wisse, dass ungefähr die Hälfte der mit dem Virus Infizierten Symptome entwickelt und zumindest ein paar Tage ausfallen. "Weil das Schlimmste ist, dass wahnsinnig viel Leute ausfallen, das betrifft insgesamt auch die kritische Infrastruktur."
Die Quarantäne-Bestimmungen schon von Anfang an für alle zu lockern, hält Czypionka daher für kontraproduktiv. Besonders kritisch sieht er die Vorgabe, dass dreifach Geimpfte überhaupt nicht mehr als Kontaktpersonen gelten. Denn diese könnten sehr wohl (wenn auch weniger als Ungeimpfte) das Virus weitertragen. Es gebe "immer eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass ich das Virus weitergebe, auch als dreifach Geimpfter." Außerdem signalisiere man damit der Bevölkerung, dass man als dreifach Geimpfter kein epidemiologisches Risiko mehr darstelle.
FFP2-Maske befreit
Für ebenso bedenklich hält Czypionka die Regel, dass man nun auch dann nicht als Kontaktperson gilt, wenn sowohl der Betroffene selbst als auch der Infizierte eine FFP2-Maske getragen haben - denn diese könnten das (gegenüber den Gesundheitsbehörden, Anm.) auch einfach behaupten, um der Quarantäne zu entgehen.
Außerdem verwies der Experte darauf, dass die Kontaktpersonen-Regeln schon lange nicht mehr dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Es sei "spätestens seit Delta, wenn nicht schon vorher" unbestritten, dass das Corona-Virus über die Luft übertragbar ist (nämlich über Aerosole), verwies Czypionka auf die Faktenlage. Die Vorgabe, dass man nur dann als Kontaktperson gilt, wenn man länger als 15 Minuten unter zwei Metern mit einer infizierten Person direkten Kontakt hatte, ignoriere diese Tatsache.
Besser als eine generelle Lockerung der Regelung wäre es laut dem IHS-Experten, die Quarantäne erst dann zu lockern, wenn konkret ein Mangel aufzutreten droht - etwa bei einem Elektrizitätswerk oder einer anderen kritischen Infrastruktureinrichtung. Dies sei ja auch schon bisher so gehandhabt worden in früheren Wellen - etwa, dass Kontaktpersonen im Notfall dann doch im Spital mit FFP2-Maske weiterarbeiten konnten. "Das was jetzt gemacht wird, macht vor allem jetzt am Anfang keinen Sinn. Man befeuert hingegen das, was man verhindern will." Auch in den Schulen werden die Lockerungen dazu führen, dass sie sich dann "quasi alle selbst schließen", so Czypionkas Einschätzung.
Omikron nicht unaufhaltbar
Entgegen dem aktuell vorherrschenden Narrativ der Politik sei auch die Omikron-Welle "nicht unaufhaltbar". Der Experte verwies darauf, dass das Virus entgegen der ursprünglichen Annahme nicht infektiöser ist als jenes der Delta-Variante. "Das stimmt offenbar nicht" - vielmehr dürfte neben dem Immune-Escape in erster Linie das serielle Intervall zwischen zwei Infektionen kürzer sein. Dies sei auch der Grund für die raschere Verbreitung.
Vereinfacht ausgedrückt bedeutet das, dass ein Infizierter das Virus rascher weitergeben kann als bei Delta, weil er nach der Ansteckung schneller infektiös wird. Damit könne eine Person in einem Raum aber nicht mehr Personen anstecken als bei vorangegangen Wellen, die Variante sei nicht besser übertragbar.
Gleichzeitig bedeute das aber, dass die gleichen Maßnahmen, die schon in vorangegangenen Wellen geholfen haben, auch bei Omikron helfen. Kontaktbeschränkungen könnten sogar besser wirken, so Czypionka. Denn nach den jüngsten Erkenntnissen dürften Infizierte zwar rascher infektiös werden - diese Infektiosität aber rascher verlieren als bei früheren Varianten. Das heißt, es würde ausreichen, infizierte Personen (wie beschlossen) kürzer in Quarantäne zu schicken - aber auch, dass ein kurzer harter Lockdown deutlich besser wirken würde als etwa in der Delta-Welle. Der Grund dafür ist, dass etwa ein 14-tägiger Lockdown in den meisten Fällen länger dauern würde als die Infektiosität von mit Omikron Infizierten.
"Der Fatalismus ist unangebracht", sagte Czypionka zu Aussagen, man könne die Welle nicht aufhalten. Vor allem "nach allem, was wir schon erbracht haben und wo wir jetzt stehen".
Damit verwies der Experte auf ein Phänomen, das auch der Berliner Virologe Christian Drosten in seinem jüngsten Podcast thematisierte. Auch er berichtete von Hinweisen darauf, dass die Generationszeit bei Omikron etwas kürzer ist. "Wenn das aber so ist und wie gesagt, es gibt dezente Hinweise darauf, dann wäre der R-Wert dieses Virus eigentlich kleiner und damit sind die Kontrollmaßnahmen effektiver", sagte Drosten.
Czypionka merkte auch an, dass (anders als von manchen vermittelt) die Pandemie nach Durchlaufen der Omikron-Welle keineswegs beendet sein wird. Denn in jeder Welle werde nur ein Teil der Bevölkerung infiziert, bevor sie wieder zurückgeht. Grund dafür sei, dass sich immer nur gewisse "Netzwerke" anstecken - vereinfacht gesagt entstehen mehrere sehr große Cluster, in denen dann irgendwann die Infektion "ausbrennt". Damit bleiben aber nach jeder Welle ausreichend Immun-Naive übrig, die für weitere Wellen sorgen können - ganz abgesehen davon, dass auch Infizierte nach einer gewissen Zeit wieder ansteckbar sind.
Ein Nachteil ist die verkürzte Generationszeit hingegen bei den Tests, da man nach einer Ansteckung schneller infektiös wird. Besser wäre, die Gültigkeitsdauer von Tests zu verkürzen, wie das etwa schon der Molekularbiologe Andreas Bergthaler gefordert hatte, so Czypionka. Gleichzeitig verwies er aber darauf, dass man sich dabei an den Testkapazitäten orientieren müsse - und dabei müssten eben Kompromisse gefunden werden.