Coronavirus

Schülerin rechnet ab: „So kann es an Schulen nicht weitergehen“

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In einem Wut-Brief rechnet die 17-jährige Schülerin Aimée Lisa mit der Regierung und ihren Corona-Maßnahmen ab. 

"Wie früher stehe ich auf, viel zu früh. Es ist sechs Uhr am Morgen, die Sonne ist noch nicht einmal aufgegangen, so quäle ich mich mühsam aus dem Bett, nur um so zu tun, als sei alles normal. 
 
Ich bin eine der vielen Maturantinnen, im Stich gelassen von einer chaotischen Regierung. Wir setzen uns dem Infektionsgeschehen in der U-Bahn aus, wir setzen uns dem Infektionsgeschehen in der Klasse aus, nur um dann für die Hälfte des Schultages keinen Unterricht zu bekommen. Das liegt weder an den Lehrern und Lehrerinnen noch an der Administration, die meisten dieser Fachkräfte versuchen das Beste aus den unlogischen und einschränkenden Maßnahmen zu machen. Die Schuldigen sind die ohne Realitätsbezug, die auf uns alle hinab regieren. Beraten von Expert*innen, die so gut wie stündlich ihre Meinung ändern, präsentieren sie ihre neuen Maßnahmen häppchenweise im Rampenlicht, man könnte schon denken, die Corona-Krise wäre ein riesiges Spektakel für unsere Regierung.  
 
Zugegeben, dieses ständige Schimpfen auf die Regierung hilft uns nicht weiter zu kommen, deswegen ist dieser Text entstanden. Hier möchte ich über Erfahrungen berichten und Lösungen vorschlagen, als Maturantin dieses Jahres.  
 
Auch wenn es mich, wie viele freut, Klassenkamerad*innen wiederzusehen, sehe ich das als keinen plausiblen Grund für Präsenzunterricht. Neuerdings geht dieses Gerücht um, „Schule“ stärke die sozialen Kontakte der Kinder und Jugendlichen, und sie seien ja so arm, denn das Umfeld „Schule“ sei ja so wichtig für die Entwicklung. Pure realitätsverweigernde Nostalgie nenne ich das. Erwachsene sehen zurück auf ihre Kindheit, dort sehen sie nur Schule und Freunde, meistens ist es jedoch so, dass selbst Schulfreundschaften erst in der Zeit außerhalb des gespannten Umfelds Schule entstehen. Am Nachmittag, in außerschulischen Kursen, in Gemeinden, bei Feiern. Derart stressgeladen, wie die Schule ist, fördert das keine Freundschaften, es fördert nur Konkurrenz, aber Danke, dass wir uns diesem Risiko aussetzen müssen, um „präsent anwesend“ zu sein.  Wäre es denn nicht vielleicht klüger gewesen einfach weiter online zu unterrichten, damit das Infektionsgeschehen eingedämmt wird und die Schüler und Schülerinnen vielleicht einmal wieder ein tatsächliches Sozialleben führen können, außerhalb der Schule? Wir haben das Recht auf Bildung, ich will nicht, dass dieses halbfertig riskiert wird, indem Kinder in die Schule geschickt werden, nur um die Nostalgie einiger älteren Wähler*innen zu berücksichtigen.  
 
Dies bringt mich auch schon zum nächsten Punkt. Warum werden Schularbeiten, die immer wieder als notwendige Übung bezeichnet werden, benotet? Müssen Kinder und Jugendliche in dieser Zeit nicht schon genug Stress bewältigen?  Es ist doch kompletter Unsinn, in so einer verwirrenden Zeit verpflichtend Schularbeiten zu veranstalten. Zwar kann das schockierend klingen für manche konservativ Denkende, doch wir Schüler und Schülerinnen befinden uns in der Schule, um etwas zu lernen, nicht um gute Noten zu schreiben. Könnten Sie behaupten, es ist so viel wichtiger für Schüler und Schülerinnen, wenn sie irgendwann eine Eins auf die und jene Schularbeit hatten, als den Schularbeitsstoff tatsächlich zu lernen, oder ist das vielleicht doch nicht das Ideal? Unser Schulsystem setzt dennoch auf Auswendiglernen und Testen. Wäre mehr Wert gelegt worden auf beispielsweise kritisches Denken, dann hätte unsere Regierung mit solchen Maßnahmen nicht durchkommen können. 
 
 
 
Wie schon erwähnt, bin ich Schülerin in meinem letzten Schuljahr, somit betrifft mich auch die diesjährige Matura. Immer wieder wurde etwas Neues entschieden, etwas anderes an die Medien weitergeleitet, etwas Drittes erreichte die Schulen verspätet, dann gab es wieder neue Pressekonferenzen. Jede Schule hat diese Zeit anders erlebt und bewältigt. Schüler und Schülerinnen sind nun wirklich auf extrem unterschiedlichen Niveaus, das Gelernte divergiert. Die folgende Lösung wurde mir in einem Gespräch vorgeschlagen und ich empfinde sie als den einzig fairen Weg in der jetzigen Situation. Könnten die Schulen nicht ganz einfach die Matura selbst gestalten? Es ist unmöglich, dass irgendwelche Mitarbeiter*innen fern der Praxis, in so einem Chaos von Unterricht, chancengleiche Maturafragen für jede und jeden schreiben können.  
 
So sitzen wir nun alle wieder hier in der Klasse, also nicht alle, denn wir sind zweigeteilt, aber in manchen Fächern auch viergeteilt, da dort andere Gruppen sind, ach ja, das Fach haben wir ja gemeinsam mit einer anderen Klasse, also sind wir achtgeteilt. Wenigstens lernen wir durch diese Maßnahmen multiplizieren. Lehrerkräfte rennen von Klassenraum zu Klassenraum und versuchen, uns den unverkürzten Stoff beizubringen. Manche Lehrer*innen weichen auf Teams aus, die eine Hälfte wird unterrichtet, die andere sieht stummgeschalten nebenan zu, warum sind wir denn überhaupt da? Wiederholt muss hier werden, dass die Schulen nicht die Absicht haben, derart kompliziert zu unterrichten. Es sind die nicht auf Anwendung überprüften seitenlangen Maßnahmen, die Schulen ohne die notwendigen Räume oder Mittel kreativ werden lassen. 
 
Hoffentlich verbreitet sich, was hier geschrieben steht. Ich wünschte, ich könnte auf die Straßen gehen, um zu demonstrieren, um zu schreien, dass es so nicht weitergehen kann, doch das wäre unvernünftig. Wir befinden uns in einer Krise, dennoch darf die Wissensweitergabe nicht stoppen. Die Folgen schlechten Unterrichts bemerkt man vielleicht nicht so schnell wie die eines bankrotten Geschäfts, aber man wird sie merken, und wenn es so weit ist, wird es kein Zurück mehr geben."
 
Leserbrief, Aimée Lisa Sax (17)
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