Die Gefäßverkalkung ist nicht so einfach wie eine Waschmaschine, deren Rohre "zuwachsen". Es handelt sich vielmehr um einen komplizierten dynamischen Prozess, dessen Ursachen auch im Immunsystem liegen. "Ich glaube, dass eine chronische Entzündung das Ausmaß der Atherosklerose bestimmt", erklärte Christoph Binder, seit 1. September Professor für Atheroskleroseforschung an der MedUni Wien.
Binder arbeitet am Klinischen Institut für Medizinische und Chemische Labordiagnostik (AKH) sowie am Centrum für Molekulare Medizin (CEMM) und beschäftigt sich seit Jahren mit den immunologischen Hintergründen der Gefäßkrankheit, welche unter anderem zu Herzinfarkt und Schlaganfall führt. Eine wesentliche Rolle dürfte dabei das angeborene Immunsystem haben. B1-Zellen produzieren eine unerhörte Vielzahl von Antikörpern, welche - auch ohne Adaption des körpereigenen Abwehrsystems auf einen akut eingedrungenen Krankheitserreger - Feinde abwehren können.
Doch diese IgM-Antikörper haben auch noch andere Funktionen. Der Wissenschafter: "Wir haben entdeckt, dass vom gesamten Repertoire dieser Antikörper etwa 30 Prozent oxidierte LDL-Proteine und zellulären Abfall erkennen." Oxidiertes LDL-Cholesterin gilt seit langem als der Grundstoff für atherosklerotische Gefäßveränderungen. Schaffen es die IgM-Antikörper - weil sie zu wenig gebildet werden oder weil eben zu viel an Abfall vorhanden ist - nicht mehr für den Abtransport der Partikel zu sorgen, richtet das LDL womöglich Schäden an.
Wobei laut Binder nicht die Fettablagerungen in den Gefäßen selbst noch nicht am gefährlichsten sind: Erst wenn sie durch entzündlich-immunologische Prozesse aufreißen und sich akut Thromben bilden (Herzinfarkt, ischämischer Schlaganfall), wird es wirklich lebensgefährlich: "Dieses Aufreißen von Plaques ist ein entzündlicher Prozess." Vielleicht könnte man durch bestimmte Eingriffe in diese Mechanismen dieses Risiko wieder reduzieren. Seit langem ist bekannt, dass Patienten mit chronischer Polyarthrose auch vermehrt unter Atherosklerosefolgen leiden.
Screenig-Experimente
Eine mögliche Gegenstrategie wäre es, B1-Zellen zur stärkeren Produktion von IgM-Antikörpern zu bewegen. Der Wissenschafter: "Wir überprüfen mit 'Screening-Experimenten', ob schon bekannte und zugelassene Arzneimittel das bewirken können. Wir haben schon drei solche Substanzen identifiziert. Es sind Antidepressiva." Eine Stimulierung von B1-Zellen zur Produktion der Antikörper durch den Immunbotenstoff Interleukin-5 (IL-5) wäre ebenfalls eine theoretische Möglichkeit. Aber IL-5 wird vor allem durch bestimmte T-Lymphozyten (TH-2-Zellen) produziert, die wiederum eine Rolle beim Entstehen von Allergien und Asthma spielen.
Bliebe noch eine weitere potenzielle Strategie: Impfungen. Hier, so Binder, könnte man zunächst über IgM-Antikörper, die oxidiertes LDL markieren, jene Sequenzen identifizieren, auf welche die Antikörper am besten ansprechen. Dann könnte man ähnliche Strukuren nachbilden und als Mimikry-Antigene in Impfstoffen benützen, um eine bessere Immunantwort auf das böse oxidierte LDL-Cholesterin zu erzeugen. Der Wissenschafter schätzte, dass man für die Entwicklung einer solchen Impfung etwa zehn Jahre benötigen würde, wenn's klappt.