Geophagie

Wenn Erdeessen zur Sucht wird

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30 bis 80 Prozent der Menschen in Afrika essen regelmäßig Erde - das nennt man Geophagie.

Täglich werden zwischen 100 und 400 Gramm Erde konsumiert. "Vor allem schwangere und stillende Frauen haben praktisch immer Erde dabei. Man kann das am Markt günstig erwerben", berichtete Ruth Kutalek vom Zentrum für Public Health der MedUni Wien (Institut für Sozialmedizin).

Rätsel über die Ursache

Die Ursache dieses Verhaltens, das es früher auch weit verbreitet in Europa und Asien gab, ist noch ungeklärt und weitgehend unerforscht. Jetzt konnte eine Studie an der MedUni zeigen, dass es sich um ein suchtartiges Verhalten handelt. Das ist das zentrale Ergebnis des Papers, das nun im renommierten "The American Journal of Tropical Medicine and Hygiene" erschienen ist, und das aus den Diplomarbeiten der drei Medizin-Studierenden Lena Hübl, Stephan Leick und Lukas Güttl unter der Leitung von Kutalek am Zentrum für Public Health entstanden ist.

Erde als Snack für Schwangere?

Beschrieben wird das Erde-Essen darin als "Craving", als Substanzverlangen. Die Autoren sehen es ähnlich wie Heißhunger auf Schokolade oder als eine Art "Belohnung". Kutalek: "Diese Menschen konsumieren Lehmerde oft als Snack zwischendurch und berichten, dass sie ohne die Substanz nicht auskommen können."

Der Hintergrund könnte aber ein anderer sein und ist zugleich vielschichtig: In der Erde sind Lehmanteile enthalten, die Giftstoffe (Toxine) binden, ähnlich wie in Kohletabletten gegen Durchfallerkrankungen. Diese Lehmanteile können einerseits den pH-Wert der Magensäure beeinflussen und gegen Sodbrennen wirken – viele der Frauen in Afrika ernähren sich hauptsächlich von Mais, Maniok und Bohnen –, andererseits gibt es Hinweise, betonte Kutalek, dass die Erde auch gegen Schwangerschaftsübelkeit wirkt.

Daher gilt das Erde-Essen bei vielen afrikanischen Ethnien als "weiblich" und der vermehrte Verzehr von Erde steht als Zeichen dafür, dass eine Frau schwanger ist. Männer greifen aber, so die MedUni Wien-Experten, immer häufiger zu Erde, vor allem weil Lehmerde auch als natürliches Stimulans gilt.

Blei und Quecksilber in der Erde nachgewiesen

Aus Public Health-Sicht ist das Erde-Essen bedenklich – zumindest in großen Mengen. Denn in der Erde wurden, insbesondere in Afrika, sehr viele Schwermetalle wie Blei oder Quecksilber nachgewiesen, was vor allem ungeborenen Babys, aber auch Erwachsenen schadet. "Eine Reduktion des Konsums ist daher unbedingt ratsam", sagte Kutalek. Die Empfehlung, gänzlich damit aufzuhören, ist schwierig umzusetzen, weil suchartiges Verhalten nicht von heute auf morgen zu ändern ist. Weitere Forschungen zur Ursache des Verlangens nach Erde laufen bereits am Zentrum für Public Health der MedUni Wien.

Übrigens greifen aus Afrika stammende Migranten in Europa, und auch in Wien, aus Gewohnheit zu Erde. Portioniert gibt es sie in exotischen Supermärkten zu kaufen. In Reformhäusern wird "Heilerde" zur inneren Anwendung angeboten. Ein Verzehr dieser Erde ist allerdings nicht ratsam.

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