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Robert Schindel legt "Der Kalte" vor

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Kein Vergessen und kein Verdammen: Schlüsselroman über Waldheim-Jahre.

21 Jahre nach "Gebürtig" erscheint in den kommenden Tagen wieder ein neuer, großer Roman von Robert Schindel. Leicht macht es der 68-jährige Autor, der sich zunächst als Lyriker einen Namen gemacht hatte, mit "Der Kalte" seinen Lesern nicht. Das liegt nicht nur an dem weit über 600 Seiten betragenden Umfang des Buches, das am 22. Februar im Wiener Akademietheater präsentiert wird. Es liegt auch an der epischen Breite, mit der Schindel eine Fülle von Figuren etabliert, ständig Perspektiven und Erzählstimmen wechselt, Handlungsfäden verknüpft und Geschehnisse verfolgt. Und es liegt vor allem an der schwer zu widerstehenden Versuchung, das Opus vor allem als Schlüsselroman über Wien und Österreich in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre zu lesen.

Alles transparent
Diese sich aufdrängende Lesart bereitet ein kurzes Vergnügen, denn die über die prominentesten Figuren geworfenen Schleier sind nahezu transparent und verhüllen nichts. Der Bundespräsidentschaftskandidat Johann Wais, dessen lange verheimlichte Kriegs- und SA-Vergangenheit vom politischen Gegner im Wahlkampf thematisiert wird, kann nur nach dem Vorbild Kurt Waldheims entworfen sein. Dass es sich beim unter Stalinismus-Verdacht stehenden Bildhauer Krieglach und dem den prominenten Standort für dessen Antifaschismusdenkmal durchsetzenden Bürgermeister Purr nur um Alfred Hrdlicka und Helmut Zilk handeln kann, ist ebenso ohne Insiderwissen lösbar wie die Zuordnung des Höllenspaßes, den sich der deutsche Burgtheaterdirektor Schönn und der oberösterreichische Dramatiker Munthesius mit dem Stück "Vom Balkon" erlauben, zum echten "Heldenplatz"-Skandal. Diese und viele andere Namen sind rasch enträtselt. Doch der Roman ist lang.

Drei Kulturkämpfe

Wer nicht aufpasst, dem verstellt die Rätselrallye den Blick auf das Eigentliche. Die drei "Kulturkämpfe" jener Zeit, die Robert Schindel mit vielen wahren und einigen hinzugedichteten Details schildert, sind nur der dicht gewebte Hintergrund für die wahren Tragödien im Zentrum des Romans, der sich weniger mit einigen gemeinsamen Figuren sowie dem zeitlichen Anschluss als Fortsetzung von "Gebürtig" anbietet, als mit der Grundthematik der immer wieder aufs Neue emporsteigenden Vergangenheit. Edmund Fraul, ehemaliger kommunistischer Spanienkämpfer, hoch geachteter KZ-Überlebender, der in Auschwitz als Arzt-Schreiber Viele vor dem Tod retten konnte, und nun unermüdlich gegen das Vergessen kämpfender Zeitzeuge, ist der titelgebende "Kalte". Dessen emotionale Kälte sorgt für größte Distanz zwischen ihm und seinem Sohn, dem jungen Burgtheater-Nachwuchsstar Karl Fraul, der sich gierig ins Leben und Spielen wirft und im Stück eines nach Vorbild von George Tabori gezeichneten Dramatikers mit der eigenen schwierigen Vaterbeziehung konfrontiert wird.

Edmund Fraul - Auf der Seite der Täter  
In einer erzählerischen Gegenbewegung lässt Schindel Edmund Fraul einem Mann immer näher kommen, der in Auschwitz auf der Seite der Täter gestanden war. Der ehemalige KZ-Aufseher Wilhelm Rosinger hat sein Haftstrafe abgesessen, doch die sieben Kinder, die er im Lager mit einer Phenolspritze getötet hatte, verfolgen ihn weiterhin in seinen Träumen. Es sind nicht nur ähnliche Albträume, die Täter und Opfer miteinander verbinden, auch gemeinsame Erinnerungen. Bei Schachpartien in einem Praterwirtshaus beginnt eine ungewöhnliche, respektvolle Beziehung, die in Spaziergänge und den Austausch von Lagergeschichten mündet.

Kein Verdammen  
Kein Vergessen, kein Vergeben, aber auch kein Verdammen. Das ist am Ende der erstaunliche, außerordentlich warme Grundton von "Der Kalte". Dem Schicksal entkommt weder der KZ-Aufseher noch der Präsident, dessen Pferd bei der SA gewesen sein soll. Rosinger wird vor seinem Haustor überfahren. Wais, der bei Schindel einen Tag vor Weihnachten 1989 zurücktritt, stirbt erst 14 Jahre später. "An seinem Sterbebett bat er alle um Verzeihung, die er gekränkt und verletzt hatte." Kaum ein Jahr später stirbt auch "der Kalte". Der Sohn sitzt an seinem Sterbebett und hört die letzten Worte seines Vaters: "Wir müssen alle unseren Weg gehen."

Info
Robert Schindel: "Der Kalte", Suhrkamp Verlag, 662 S., 25,70 Euro, Erscheinungstermin: 18.2.; Buchpräsentation: Akademietheater, 22.2., 20 Uhr, mit Robert Schindel, Dörte Lyssewski und Markus Meyer. Einführung: Rudolf Scholten.

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