Programm sorgte für breite Diskussionen und umjubelte Erfolge.
Mit Aribert Reimanns " Lear
" wurde am Sonntag, 20.8., die letzte große Premiere im ersten Jahr der Intendanz von Markus Hinterhäuser bei den Salzburger Festspielen umjubelt - symptomatisch für die gesamte Bilanz. Die präsentierten Arbeiten polarisierten und provozierten ebenso enthusiastische Zustimmung wie vehemente Kritik. Kalt ließen die Festspiel-Premieren 2017 das Publikum jedoch nie.
Programmplanung
"Strategien der Macht" hieß das Über-Motto der Festspiele, das sich in vielen Produktionen durchaus schlüssig vermittelte. Auch die Strategien der Programmplanung schienen klar: musikalisch allererste Qualität, gepaart mit inhaltlicher und szenischer Offenheit. Da wurde viel gewagt und so manches gewonnen. Breite Diskussionen und umjubelte Erfolge gab es vor allem im Musiktheater. Das Versprechen, eine tief schürfende, durchaus auch kontroverse Befragung Mozarts vorzunehmen, löste Hinterhäuser bereits mit seiner ersten Opernproduktion ein: Teodor Currentzis und Peter Sellars brachten eine radikal gegenwärtig gedeutete "Clemenza di Tito" heraus, die mit ihren Streichungen der Rezitative und Additionen aus der c-Moll-Messe für stürmische Begeisterung sowie für manche beleidigte Apologeten der Werktreue sorgte.
Höhepunkt
Der gesellschaftliche Höhepunkt der Festspiele war zweifellos Anna Netrebkos Rollendebüt in " Aida
" - eine Premiere, die mit großem Beifall für die singuläre Strahlkraft der Operndiva endete, die hohen Erwartungen an das Opernregiedebüt von Shirin Neshat allerdings nicht erfüllen konnte. Dirigent Riccardo Muti hinterließ jedenfalls eine deutlichere Handschrift in dieser sängerfreundlichen, szenisch statischen Luxusproduktion.
Überzeugend
Zu Gesamtkunstwerken entwickelten sich hingegen die Interpretationen dreier Musikwerke des 20. Jahrhunderts: Schostakowitschs "Lady Macbeth von Mzensk" überzeugte nicht nur musikalisch in der Interpretation der Wiener Philharmoniker unter dem Salzburger Opern-Debütanten Mariss Jansons, sondern nicht zuletzt dank der Regie von Andreas Kriegenburg. Dieser stellte Wagner-Expertin Nina Stemme bei ihrem Rollendebüt in der Titelpartie in eine gigantische Betonkulisse und schaffte den Spagat zwischen Naturalismus und Abstraktion. Für Alban Bergs "Wozzeck" entwarf wiederum der südafrikanische Künstler William Kentridge ein Panoptikum aus Musik, Gesang, Darstellungskunst, Zeichnung und Film, das die Büchnersche Vorlage mit Assoziationsbildern des Ersten Weltkrieges zur Vorahnung der Menschheitstragödien werden ließ. Und schließlich gelang zum Abschluss des Premierenreigens Simon Stone mit seiner am absurden Theater geschulten Inszenierung von Aribert Reimanns "Lear" in der Felsenreitschule ein ebenso düsterer wie mit grotesken Fiebertraumbildern gespickter Publikumserfolg.
Abwesend
Das von Bettina Hering verantwortete Theaterprogramm hatte mit dem Fehlen von zeitgenössischen Stücken überrascht. Dies werde sich künftig ändern, versprach die Schauspielchefin im APA-Interview, in dem sie sich ansonsten sehr überzeugt von den Resultaten ihrer fünf Neuproduktionen zeigte und die fast durchwegs positiven Publikumsreaktionen hervorhob. Die professionellen Kritiker zeigten sich skeptischer. Einhellige Begeisterung rief keine Premiere hervor, mit dem Partizipationstheater rund um "Kasimir und Karoline" und dem "Lulu"-Deutungsversuch von Athina Rachel Tsangari gab es am Ende dagegen Produktionen, bei denen die Ablehnung deutlich überwog.
Nüchternen Jedermann
Der "Jedermann", kurzfristig Michael Sturminger überantwortet, erhielt eine radikale Entschlackungs- und Verjüngungskur, die dem fast 100 Jahre alten Stück nicht gut bekam. Ein von Beginn an grüblerischer Tobias Moretti, der seiner Figur die Fallhöhe nimmt, Konzentration auf moderne Nüchternheit anstelle von mittelalterlichem Mysterienspiel gepaart mit barocker Opulenz nahm dem Stück alles, was es zu einem Unikum gemacht hatte. Zwei Jahre wird diese Inszenierung noch gezeigt werden, zum 100-Jahr-Jubiläum von Stück und Festspielen scheint ein anderer Jahrhundert-Jedermann in Aussicht zu stehen.
Zweigeteilt
Zum Generalmotto passten Pinters "Geburtstagsfeier", Hauptmanns "Rose Bernd" und Wedekinds " Lulu
" ausgezeichnet. Mit einem glänzenden Ensemble machte Andrea Breth aus Pinters Stück ein Fest der Schauspieler und der penibel gearbeiteten Details, während Karin Henkel vor allem auf eine großartige Lina Beckmann als geschundene Hauptfigur setzen konnte, die an ihrer ignoranten, von Männern dominierten Umgebung zerbricht. Das zusammengewürfelte Bühnenbild und das Schlesische waren als Verfremdungseffekte nicht jedermanns Sache. "Buhs" gab es gar für die griechische Filmregisseurin Tsangari am Ende der "Lulu", die aus dem triebgeladenen Rätsel eine coole Kunstinstallation und aus der Hauptfigur ein Trio machte, ohne dafür auf der Bühne schlüssige Beweise ihrer gut argumentierten Theorien zu liefern.
Strecke
Dass bei "Kasimir und Karoline" durch mehrfache Hin- und Herübersetzungen des Ursprungstextes und die Rekrutierung von Laien Ödön von Horvath auf der Strecke blieb, war für viele ein Ärgernis. Früher wäre wohl dieser Abend im Rahmen des "Young Directors Project" gut aufgehoben gewesen. Ein solches deklariertes Experimentierfeld ging den Salzburger Festspielen 2017 ebenso ab wie das ultimative Theaterereignis, zu dem man unbedingt an die Salzach hätte reisen müssen. Die stärkste Produktion, "Die Geburtstagsfeier", ist nämlich bereits ab 3. September im Wiener Akademietheater zu sehen.