Buchtipp & Talk

Mareike Fallwickl: "Uns Frauen wird mit großer Absicht nicht geholfen"

Teilen

Im neue Buch von Mareike Fallwickl, "Und alle so still", legen die Frauen die Arbeit nieder. 

Die österreichische Autorin Mareike Fallwickl stellt in ihrem neuen Roman Und alle so still ein spannendes Gedankenexperiment an: Eines Tages liegen Frauen auf den Straßen. Ruhig. Stumm. Erschöpft. Was wollen sie, haben sie keine Forderungen? Polizei und Medien wissen nicht, was das soll.

Verweigerung

Es ist etwas großes im Gange und Frauen wie die junge, schöne Influencerin Elin spüren bald, dass diese stille, gewaltlose Verweigerung der einzige Weg ist, aus dem zermürbenden Hamsterrad der unbezahlten  Carearbeit  auszubrechen. Auch die Krankenschwester Ruth, der das medizinische System unter den immer tätigen Händen wegbröselt, sowie Gelegenheitsarbeiter Nuri, der sich gerade selbst zu finden versucht, fühlen die Dringlichkeit dieser Verweigerung. Denn, wenn die Frauen nicht mehr pflegen, sich kümmern, kochen, putzen, dann steht die Welt plötzlich ganz still…

Fallwickl
© Rowohlt

Ausgangspunkt

Fallwickl, deren vorheriges Buch Die Wut, die bleibt von Kritik und Leserinnen viel beachtet und bei den Salzburger Festspielen als Theaterstück inszeniert wurde, wollte mit ihrem Roman dort ansetzen, wo die meisten Diskussionen über Care-Arbeit enden. Nämlich mit dem abgenickten Totschlagargument „Wenn keine sich kümmert, bricht unserer System zusammen.“ Fallwickl: „Und ich habe mir gedacht, ich will, dass das der Anfang ist. Ich will wissen, was bedeutet das und wann fängt es an zu bröckeln? Wie lange dauert das?“ Schaut man auf das Insta-Profil der Autorin, bzw in ihre Storys, dann bröckelts schon gewaltig. Seit erscheinen des Buches legen sich die Frauen reihenweise - mit dem Buch - hin. Eine packend-bedrückende und wichtige Lektüre bis zum Ende. 

 

 

 

Das große oe24-Interview

ÖSTERREICH: Reden wir über Ihr neues Buch „Und alle so still“. Darin hören die Frauen einfach auf, die Dinge zu machen, die sie sonst immer machen sollen oder die ihnen umgehängt werden. Wie haben sie sich diesem durchaus auch brisanten, wichtigen Thema genähert?

MAREIKE FALLWICKL: Also tatsächlich steckt ja die Idee schon in „Die Wut die bleibt“ drin. Es gibt eben die eine Stelle, wo eine Protagonistin das so theoretisch mal in den Raum wirft. Sie stellt sich vor, Frauen würden all diese Dinge nicht mehr machen. Als ich das geschrieben habe, 2021, habe ich so kurz inne gehalten und habe mir gedacht, "oh, das wird mein nächstes Buch!" Und eigentlich war ab da sehr viel Recherche, sehr viele Gespräche mit Menschen in prekären Situationen, mit Frauen aus der Pflege. Aber ich habe auch unglaublich viel gelesen, so diese ganzen wirtschaftstheoretischen Dinge und so und wie wir denn so unser aktuelles kapitalistisches System aufgebaut haben. Das ist ja immer unglaublich pyramidal. Es gibt immer an der Spitze einige wenige, die sehr viel Macht und sehr viel Geld haben und unten an der Basis sehr viele Menschen, die angeblich sehr machtlos sind. Und ich finde einfach, ich fand es interessant literarisch auszuprobieren. Wenn wir alle, die wir ja in diesem Rad sind, immer sagen, ja, es ist alles so anstrengend, ich bin so gestresst hier, ich bin wie im Burnout. Aber ich muss halt, ich muss halt. Ich wollte solidarisch die Frage stellen, aber was ist, wenn wir nicht müssen? Was ist dann? Was passiert dann? 

"Was ist, wenn wir nicht müssen?"


ÖSTERREICH: Ja, man spürt auch, dass das durchaus sehr realistisch ist, wie sich die Erzählung dann entspinnt. Was wäre denn, wenn Ihr Buch, wenn Ihr Roman Realität werden würde? Die wievielte wären Sie, die sich hinlegt?

FALLWICKL: Na ja, kommt drauf an. Also, es ist ja so, dass es im Kollektiv passiert. Das ist unglaublich wichtig, weil man natürlich einzelne Menschen, die irgendwo liegen oder von mir aus auch stehen, weil sie dagegen sind, hier kann man sie sehr leicht wegtragen oder umschubsen. Aber viele Frauen, viele Menschen, die zusammenhalten, die einfach alle gemeinsam da liegen oder stehen, das ist eine große Sache. Und das ist schon offiziell. Und auch generell finde ich Verweigerung spannend als Motiv und es kommt auch daher weil ich dann so unglaublich viele Gespräche geführt habe. Ja auch auf politischen Bühnen über eben diese Sorgearbeit und dann kommt immer ein Satz, es gibt einen Satz. Der fällt in all diesen Gesprächen und irgendjemand sagt den, aber er sagt den meistens so als Totschlag-Argument, so als Schlusspunkt. Da kommt immer, "ja ohne Care-Arbeit bricht unser System zusammen". Und ich habe mir gedacht, ich will aber, dass das der Anfang ist. Ich will wissen, was bedeutet das und wann fängt es an zu bröckeln? Wie lange dauert das? Wer macht das als Erster? Was ist so ein System überhaupt? Und wie bricht das zusammen? Und da finde ich Literatur halt auch immer irgendwie ein schönes Mittel, weil man Dinge natürlich ausprobieren kann, die so nicht oder noch nicht passieren. Andererseits ist ja nicht alles nur fiktiv, also gerade auch so im Gesundheitswesen. Also was Ruths Kapitel angeht, daran ist nichts erfunden. Das sind alles echte Geschichten. 

"Roman ist nah an seinen Figuren"

ÖSTERREICH: Weil Sie eben sagen, Fakten und Fiktion: Mich hat das überrascht, dass dieser Roman wirklich sehr mitnimmt, obwohl wir alle wissen, wie es ist im Gesundheitsbereich. Wir kennen alle Fakten, wie Sie auch sagen. Aber warum ist das so? Sind wir alle schon so abgestumpft, dass uns das irgendwie mehr bedrückt, wenn wir es dann als Roman lesen?

FALLWICKL: Ich glaube, dass man bestimmt einen anderen emotionalen Zugang hat zu einer Geschichte als zu einem Sachbuch. Und vor allem, ja, dieser Roman prangert viele Missstände an und redet über viele Themen, aber er ist ja ganz nah an seinen Figuren. Also er begleitet diese drei Persönlichkeiten ja eine Woche lang und erzählt es ihr nur anhand von dem, was die erleben und was die tun und was ihnen passiert und wie sie sich dazu verhalten.

"Alle Männer profitieren vom Patriarchat"

ÖSTERREICHIch würde ich Sie gerne gleich fragen zur Figur des Nuri: Bei Ihnen ist Nuri ja ein männlicher, vielleicht queerer Mensch in dem Erzählgefüge. Ist es so, dass es den alten weißen Kerlen einfach nur nicht auffällt, dass sich das alles nicht mehr ausgeht mit den Machtverhältnissen? Und anderen fällt es eben schon auf, jenen, die am Rande der Gesellschaft stehen und Outcasts sind, weil sie aus anderen Gründen einfach da nicht reinpassen in dieses patriarchale Gefüge?

FALLWICKL: Also Nuri ist natürlich genau aus diesen Gründen ein marginalisierter Mann, der selber schon Diskriminierungserfahrungen gemacht hat und der sich eben auch durch diese ganze Arbeitssituation, in der er sich befindet, viel näher am Erkenntnisschritt dran ist, dass das Patriarchat auch Männern schadet. Weil ja, alle Männer profitieren vom Patriarchat, aber natürlich weiße Hetero-Cis-Männer am meisten und deswegen ist er aber auch unglaublich wichtig als männliche Figur in diesem Erzählgefüge, vor allem so als junger Mann. Ich bin auch viel an Schulen, ich mache viele Workshops, ich rede viel mit Jugendlichen und die finden auch die ganzen Themen im Diskurs. Wenn wir gerade momentan sagen, junge Frauen sind schon progressiver, bei jungen Männern gibt es einen Backlash. Und auch wird oft thematisiert. Wir merken diese, was wir denn toxische Männlichkeit nennen, ist irgendwie nicht mehr so unseres. Wir brauchen irgendwie neue Rollenbilder, aber es gibt sie noch nicht und sie sind anscheinend orientierungslos. Mein literarischer Zugang war dann eine Figur zu finden, die sich genau da befindet, die genau diese sucht und sich hin orientieren will. Fragt, was wäre denn eine neue Möglichkeit und gleichzeitig bricht aber eben alles zusammen.

"Männer: Begebe mich selber in Gefahr"

ÖSTERREICH: Die andere männliche Figur ist Valentin, der in den patriarchalen Strukturen lebt. Schafft es Valentin irgendwann einmal sich zu engagieren oder nicht? Er ist ja wahrscheinlich einfach die Vorlage für eine große Gruppe 'typischer Männer'.

FALLWICKL: Dass sind schon so Gespräche von denen ich hoffe, dass sie Denkanstöße geben, weil wenn sie überhaupt dann über diese Art von Männlichkeit reden, dann über die Täter, aber ja nicht über die Männer, die diese Taten ermöglichen, in dem sie sich nicht dagegen stellen.. Und ich frage dann auch wirklich oft in diesen Workshops die 16-jährigen Burschen, aber Leute, wenn ihr auf einem Festival seid oder fortgeht, so im Club, keine Ahnung, und ihr kriegt es mit, dass eure Freunde, eure Kumpels sich übergriffig verhalten, Warum geht ihr nie dazwischen? Warum seht ihr euch nicht in der Verantwortung zu sagen, 'hey, lasst sie in Ruhe' und so? Und das interessante ist, dass diese jungen Männer immer antworten, ja, weil dann begebe ich mich ja selber in Gefahr. Und das ist deswegen interessant, weil sie ganz genau wissen, dass diese Gefahr existiert und real ist und dass Frauen sich in dieser Gefahr befinden. Während sie ja dann oft gern so tun, 'naja, ist doch alles nicht so schlimm' und 'not all men' sagen. Aber in dem Moment, in dem sie so konfrontiert werden damit, heißt es: „dann gebe ich mich in die Schusslinie“. Und diese Gespräche sind jedes Mal auch unglaublich wichtig, finde ich, weil da sitzen halt gleichzeitig auch 16-jährige Mädels drin, die sagen, 'wir achten voll aufeinander und wenn wir sehen, dass ein fremdes Mädel, das wir gar nicht kennen, da bedrängt wird, dann schauen wir, dass wir ihr helfen. Obwohl wir uns dann auch in Gefahr begeben'.
Und dann zu den Männern einfach zu sagen, schauts mal, da gibt es eine Art von weiblichem Zusammenhalt. Ihr solltet dringend darüber nachdenken! Und so ist es natürlich auch mit Nuri und Valentin. Ich kann mir ja eh nur im besten Fall erhoffen, dass Menschen darüber nachdenken anfangen.


"Dürft sanft und hilflos sein"

ÖSTERREICH: Wie sollen wir unsere Söhne erziehen? Ist das genau das?

FALLWICKL: Ich finde es gut und wichtig, wenn wir uns damit auseinandersetzen, antipatriarchales Wissen zu haben, dass wir den Söhnen mitgeben können, aber wir sind halt nicht die Einzigen. Und alle anderen sind auch wahnsinnig laut, vor allem der Content, den sie konsumieren und alle Narrative, von denen sie umgeben sind, und diese ganze Sozialisierung. Ich finde das maximal schwierig und es ist etwas, was mich sehr beschäftigt. Ja und das ist vor allem meiner Meinung nach auch etwas, wo man tatsächlich ansetzen müsste. Wenn ich dann immer gefragt werde, was können wir denn tun? Also viel! Viel früher muss man losgehen, weil diese gendersensiblere Erziehung, auf die ja momentan schon teilweise geachtet wird, die bedeutet ja fast ausschließlich, dass ErzieherInnen, LehrerInnen den Mädchen etwas mitgeben. Eine Art von Empowerment, 'hey, sei selbstbewusst, sei laut, geh raus, hol dir das, was dir zusteht, interessiere dich für Technik!' und so weiter und so fort. Das ist gut, das ist wichtig, das ist legitim, aber wenn wir an echter Gleichberechtigung interessiert wären müssten wird auch in die andere Richtung agieren. Dann müssten wir ja auch den jungen, männlichen Kindern mitgeben, 'Hey du darfst sanft sein und zärtlich und hilflos und ratlos und weinend und dich kümmernd und alle diese Dinge, die wir weiblich konnotieren'. Und das tun wir nicht aktuell.
Wir schneiden Burschen und Männer von all diesen Emotionen und auch Eigenschaften ab. Also wir definieren das als komplett weiblich und etwas, das Männer sozusagen nicht machen sollen, nicht machen können. Die behaupten immer nur Frauen sind sehr empathisch und Männer sind emotionslos. Aber die Frage ist ja immer, wer hat sich dazu gemacht? Es kommt ja kein Baby auf die Welt, das denkt: 'Ah, das wäre doch eine sehr gute Idee, später mal jemanden zu vergewaltigen'. Nein. Wenn es um erwachsene Männern geht, kommt oft dieses große Huch. 'Wie konnte das geschehen, dass sie so wütend und gewalttätig sind?' Naja, wir haben das gemacht. Also wir haben gesamtgesellschaftlich dazu beigetragen.
 

"Frauen wissen, dass ihnen nicht geholfen wird"

ÖSTERREICH: Ist das auch das Einzige, was helfen wird, als Maßnahme gegen Femizide? Dass wir wirklich gesamtgesellschaftlich das lösen müssen?

FALLWICKL: Ich glaube ja, beziehungsweise, finde ich, so wenig getan wird ist ja Teil des Ganzen. Logischerweise hätten wir das Wissen, die Möglichkeiten, die Kompetenzen und das Geld, um diese Dinge zu ändern, absolut. Das ginge ja schnell und das wäre auch gar nicht schwierig. Und das ist schlimm. Dieses Wissen, das tragen ja auch  alle Frauen in sich, dass wir genau wissen, dass uns schon mit großer Absicht nicht geholfen wird.

Frauen im Lockdown

ÖSTERREICH: Sie lesen ja hauptsächlich nur noch Autorinnen. Sie haben auch Sprüche auf Ihren T-Shirts. Durchaus verbindet sich Ihr Schreiben ja  mit einem klaren politischen Engagement, mit einem aktivistischen Engagement. Wie wichtig ist das? Es lässt sich wahrscheinlich auch gar nicht mehr trennen, oder? Für Sie?

FALLWICKL: Ja, es ist so miteinander gewachsen. Dass mich mein Roman "Die Wut, die bleibt" auf politische Bühnen gebracht hat und ja eben auch auf der Fechtspielbühne war, kam überraschend. Zum Beispiel habe ich gerade die Keynote vom Equal Care Day gehalten, wo außer mir ja nur universitäre, wissenschaftliche Menschen von  Institutionen waren. Oder war bei der Enquete für Gleichstellung in Innsbruck, wo außer mir auch nur Landesrätinnen und Nationalrat zugegen waren. Ich dachte mir jedes Mal, wie bin ich hier gelandet? Ich habe einen Roman geschrieben!
Das war komplett ungeplant. Es ging wirklich Hand in Hand. Und war definitiv unerwartet. Jetzt ist es aber mit dem neuen Buch schon eine aktive Entscheidung. Also ich hab mir dann gedacht, die Bühne ist da, die ganzen Mikros und Kameras, die in mein Gesicht gehalten werden, sind alle da: Ich nutze das jetzt aus, um diese Themen irgendwie einfach noch in größerem Rahmen hoffentlich in den Fokus zu stellen. 

"Werde weiterhin Schreibarbeit und Aktivismus verknüpfen"


ÖSTERREICH: Das heißt, es geht wahrscheinlich in diese Richtung weiter. Sie verknüpfen weiterhin Politik,  Aktivismus, mit ihrem Schreiben?

FALLWICKL: Ich denke schon. Ich finde es ehrlich gesagt total spannend über diese Themen zu schreiben. Das ist ja auch meine größte Herausforderung. Ich hab mir gedacht, ganz klassisch, das Buch, das es nicht gibt, das du leben willst, musst du selber schreiben. Und die ersten 150 Seiten war ich so im flow: So hat noch nie jemand so ein Buch geschrieben! Und dann bin ich wirklich so wie so eine Glaswand geknallt.
Und ich denke, 'Mareike, warum tust du das immer? Du kannst mir für nichts Bekanntes berufen. Du kannst nirgends irgendwie heranziehen.' Gerade, wenn es um diese Dinge geht mit den Frauen.
Es ist nicht romantische Liebe, es ist aber auch was anderes als Freundschaft. Es ist so Dazwischen- und Alles-davon. Und einfach dann zu merken, ich will über Dinge erzählen und es existieren einfach gar keine deutschen Begriffe dafür.

Was passiert im Literaturbetrieb?

ÖSTERREICH: Es gibt jetzt Bücher von Franziska Schutzbach oder von Nicole Seifert, die ganz viel bewegt haben, eben auch unseren Blick geschärft haben. Also alle Leute, die sich mit dem Thema Frauen auseinandersetzen. Tut sich was endlich in den Verlagsvorschauen? Haben Sie das Gefühl, es geht in eine gute Richtung, im Sinne von Ausgewogenheit zwischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern?

FALLWICKL: Ja, mehr Frauen, endlich mehr Frauen. Ich sage nicht mal Gleichgewicht, aber mehr. Mehr Sichtbarkeit. Was sich zumindest verändert, finde ich, ist, dass es jetzt solche Bücher gibt. Also dass jemand wie Nicole sich hinsetzt, das recherchiert, das anschaut, darüber schreibt, und das zumindest ein bisschen in den öffentlichen Diskurs kommt. Andererseits muss man aber auch so ehrlich sein, also ich habe zum Beispiel gerade ein Nachwort geschrieben zum "Namen Unbekannt" von Sanora Babb, und das wäre eigentlich, es hätte erscheinen sollen gleichzeitig mit "Früchte des Zorns" von John Steinbeck. Der Roman ist aber 1939 nie erschienen, sondern nur seins. Seines erlangte Weltruhm und ihres ist absolut komplett verschwunden. Und diese Wiederentdeckungen, das finde ich schon so schlimm, dass es da Frauen Wiederentdeckungen geben muss, weil sie vergessen und abgewendet wurden. Oft gab es dann diese Autoren in den 80er Jahren schon mal, dass die wiederentdeckt wurden und dann wurden sie erneut vergessen. Das ist dann das, was meiner Hoffnung einen Dämpfer versetzt. Naja toll, jetzt machen wir das gleiche wie vor 40 Jahren nochmal und rühmen uns. Aber was ich schön finde, und ich kann jetzt nur von meiner eigenen Reichweite an meiner kleinen Bühne sprechen, ich bekomme sehr viel Feedback von Lesenden, die sagen: Ich sehe mich ganz anders abgeholt und ich lasse jetzt doch das Handy wieder öfter liegen und kaufe mir Bücher und sehe plötzlich meine Perspektive. Und es gibt da noch so viele interessante Dinge, weil die halt so wie wir alle mit dem ganzen Kanon immer nur Männer, Männer, Männer gelesen haben. Und es freut mich dann erstens immer am meisten, wenn ich weiß, es bricht andere Menschen wieder zum Reden an und bringt denen auch irgendwie den Spaß zurück. Das heißt ein bisschen eine missionierende, ein bisschen eine Orientierungshilfe. 

"Wir gehen derzeit einfach ein"


ÖSTERREICH: Werden wir uns irgendwann  denken, Gender Pay Gap, was ist denn das noch einmal?  Wird sich was tun in 50 Jahren?

FALLWICKL: Es ist ja aktuell wirklich dieses ein Schritt vor, zwei zurück. Aber was der Roman ja hoffentlich auch zeigt und was ich ganz stark glaube ist, was der Mensch durchaus hat, ist  Überlebenswille. Und wie wir aktuell leben und wie wir das aktuell aufteilen, bedeutet es für so viele Menschen so einen großen Erschöpfungszustand, dass wir einfach dabei eingehen. Also sprichwörtlich. Wirklich, man kann es ja auch medizinisch, wissenschaftlich belegen, dass es sich hinten und vorne nicht ausgeht. Weder für die Frauen noch für die Männer.
Und ich glaube, dass das schon so eine Motivation sein wird, Dinge zu verändern. Und vor allem sind wir oft so festgefahren, wir schauen es uns so um und denken uns, boah, Kapitalismus, Patriarchat, irgendwie alles zach, aber das lässt sich ja nicht ändern. Aber in Wirklichkeit, wenn man nur ein bisschen zurückschaut in die Menschheitsgeschichte, Menschen haben immer schon in anderen Gesellschaftsformen gelebt, haben sich auch alle teilweise radikal verändert. Also das ist nicht was Unmögliches. Alle diese Systeme sind komplett menschengemacht. Das heißt meiner Meinung nach sind wir viel aktiver eingebunden und haben viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten als wir denken und als wir auch denken sollen. Ja. Und daraus resultierend aber auch eine viel größere Verantwortung tatsächlich aktiv zu werden. Wir sind die Gesellschaft. Wir tragen das ja jeden Tag mit und gestalten das mit. Und das ist für mich immer so ein Punkt, wo ich auch versuche, besonders in den Workshops oder auch bei Lesungen die Leute darauf aufmerksam zu machen. Und sage: Ihr seid nicht passiv. Das ist nichts, was euch zustößt. jeden Tag selber gestalten. Und das repräsentiert aber auch die Möglichkeit, es zu verändern.

"Auf Schwesternschaft besinnen"

ÖSTERREICH: Also vielleicht auch im Kleinen zu überlegen, wie sieht man Menschen wirklich, wie wollen sie auch gesehen werden, bin ich da achtsam?

FALLWICKL: Schon. Vor allem eben auch Frauen. Zumindest lernen in diesem Framing der internalisierten Misogynie kleine Löcher zu stechen, wie wir auf andere Frauen schauen. Und versuchen sich, auf diese Schwesternschaft zu besinnen. Davon abgesehen, dass ich dann oft gefragt werde, 'Du hältst die Bücher anderer Frauen und mir die Kamera. Was ist, wenn die Leute jetzt diese Bücher kaufen und deines nicht?' Und ich sage dann immer, 'das Beste, was uns passieren kann, ist, wenn mehr Bücher von Frauen und nicht binären Trans-Schreibenden gekauft und gelesen werden und darüber geredet wird'.
Und deswegen habe ich ja auch bei allen, allen Veranstaltungen diese Flyer mit den Buchtipps mitgehabt und verteilt und auch gesagt, das sind nicht meine Konkurrentinnen, das sind meine Schwestern, die gehören zu mir auf die Bühne. Und schon auch ein bisschen in der Hoffnung, nicht nur, dass jetzt möglichst viele Leute diese Bücher kaufen, sondern da sitzen auch immer, keine Ahnung, 100, 150 Frauen mindestens im Publikum. Und wenn nur zwei oder drei von denen sehen, achso, wenn sie es kann, auf der Bühne so vehement andere Autorinnen zu empfehlen und sie verliert nichts, sondern es gewinnen alle gemeinsam, dann kann ich das ja vielleicht auch so sehen. Da kann ich auch schauen: Wo kann ich anderen Frauen die Hand reichen, statt sie in den Abgrund zu schubsen? Und das ist eben das, wie Sie sagen, etwas Kleines. Ja, da sind es vielleicht zwei oder drei Frauen, aber viele kleine Dinge machen ja auch was Großes.
 

"Schwesterlichkeit real werden lassen"

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.