Die Zahl der Suspendierungen hat sich in nur vier Jahren fast verdoppelt.
Wenn Kinder und Jugendliche in der Schule wiederholt durch Gewalt auffallen, können sie für bis zu vier Wochen vom Unterricht ausgeschlossen werden. Und das passiert immer öfter, zeigt die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der FPÖ durch Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP). So hat sich die Zahl der Suspendierungen 2022/23 im Vergleich zu 2018/19 fast verdoppelt. Lehrer fordern Unterstützung durch Timeout-Klassen und Hilfsangebote für die Schüler.
Nach einem deutlichen Rückgang in den Schuljahren 2019/20 und 2020/21, als der Präsenzunterricht durch die Coronaschutzmaßnahmen eingeschränkt war, haben seither die Suspendierungen wieder deutlich zugenommen. Nach knapp 1.000 Fällen im Schuljahr 2018/19 vor Ausbruch der Pandemie waren es 2021/22 bereits über 1.300 und 2022/23 mehr als 1.900. Dabei kann die Maßnahme auch einen Schüler oder eine Schülerin mehrfach betreffen, in Wien gab es zuletzt etwa 814 Suspendierungen bei 664 (meist männlichen) Kindern und Jugendlichen.
Dabei ist die Suspendierung eine Sofortmaßnahme, um Gefahr von den Mitschülern oder Lehrern abzuwenden, wie der oberste Lehrervertreter Paul Kimberger (FCG) betont. "Meistens ist aber davor schon einiges vorgefallen." Die Suspendierung sei allerdings keineswegs als Maßnahme geeignet, um Gewaltphänomenen entgegenzuwirken. Damit wolle man nur das Umfeld schützen.
Timeout-Klassen
Für die auffälligen Schülerinnen und Schüler selbst bräuchte es professionelles Unterstützungspersonal (Psychologinnen, Sozialarbeiter), das sie in und außerhalb der Schule unterstütze. "Da stecken ja immer Schicksale dahinter." Kimberger setzt in diesem Zusammenhang auch weiter auf Timeout-Klassen. Dort sollten Schüler, die im normalen Klassenverband nicht mehr führbar sind, in einem separaten Bereich entsprechende Unterstützungsangebote bekommen.
Vom Bildungsministerium habe es zwar mehr Mittel für Supportpersonal gegeben, "aber das reicht scheinbar nicht". Schulen seien mitunter mit immer extremeren Formen von Gewalt konfrontiert, sagt er mit Verweis etwa auf einen aktuellen Fall in Wien, wo ein Mädchen am Schulklo eine Mitschülerin mit einem Stanleymesser schwer verletzt hat. Gewalt sei in der Schule immer noch ein Minderheitenphänomen, aber ein wachsendes. "Auseinandersetzungen in der Schule gab es früher auch, aber jetzt gibt es keine Grenzen mehr", so Kimberger. Durch die intensive Nutzung sozialer Medien könnten manche offensichtlich nicht mehr zwischen Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden.
Experten wie Jürgen Bell, Leiter der Schulpsychologie in der Wiener Bildungsdirektion, betonen dabei, dass die Zunahme der Suspendierungen nicht gleichzusetzen sei mit einer Zunahme der Gewalt an den Schulen. Die Sensibilität für das Thema habe zugenommen, die Schulen würden Gewalt schneller ahnden. Zusätzlich würden die Auswirkungen der Krisen der vergangenen Jahre und der Gegenwart sich auch in den Schulen niederschlagen.
Ursachen behandeln
Für Lehrervertreter Kimberger ist jedenfalls klar, dass die Schulen das Thema Gewalt alleine nicht lösen könnten. Die Probleme würden in Öffentlichkeit und Politik kleingeredet, kritisiert er. "Es ist an der Zeit, nicht nur die Symptome, sondern die Ursachen zu behandeln."
"Die Schule kann nicht alles selber leisten", betont auch Schulpsychologe Bell. In Wien will man deshalb bei Gewaltproblemen die Eltern stärker als bisher in die Pflicht nehmen. Verweigern diese etwa nach einer Suspendierung des Nachwuchses die angebotene Beratung durch Schulpsychologie oder -sozialarbeit, geht eine Gefährdungsmeldung an die Kinder- und Jugendhilfe. "In der Schulpartnerschaft braucht es auch die Eltern." An den Standorten selbst soll es laut dem Ende 2023 vereinbarten Gewaltschutzpaket auch die von den Lehrern eingemahnten "Timeout"-Optionen geben, bei denen auffällige Schülerinnen und Schüler in eigenen Förderklassen intensive Betreuung bekommen.