Justiz-Skandal

Mann in Wien womöglich zu Unrecht zu elfjähriger Haft verurteilt

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Ein 48-Jähriger ist im Februar 2022 in Wien womöglich zu Unrecht wegen Beteiligung an einem Mordanschlag zu einer elfjährigen Haftstrafe verurteilt worden.

Die beiden Verteidiger des Mannes, Michael Dohr und Marcus Januschke, hatten nach Rechtskraft des Urteils im Dezember auf Basis neuer, bis dahin nicht bekannter Beweismittel die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt. Das Wiener Landesgericht bewilligte diese, der Mann wurde enthaftet.

Das Wiener Oberlandesgericht (OLG) bestätigte in weiterer Folge diese Entscheidungen. Einer dagegen gerichteten Beschwerde der Staatsanwaltsaft Wien wurde Ende Mai nicht Folge gegeben, eine neue Hauptverhandlung gegen den 48-Jährigen in die Wege geleitet. Diese wird nun am 13. November im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts stattfinden. Die Rechtsvertreter des Angeklagten sind überzeugt, dass der 48-Jährige "diesmal nur freigesprochen werden kann", wie Verteidiger Dohr am Dienstag im Gespräch mit der APA meinte. Zu den bisherigen justiziellen Abläufe hielt Dohr fest: "Gerechtigkeit und Wahrheit sind Kinder der Zeit."

Ausgangspunkt der ganzen Sache ist ein Mordanschlag auf einen Mann, der am frühen Morgen des 20. November 2018 in der Hippgasse in Ottakring mit einem länglichen, rohrförmigen Werkzeug niedergeschlagen und lebensgefährlich verletzt wurde. Er erlitt unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma und einen Schädelbruch. Die fallbearbeitende Staatsanwältin stellte später fest, es grenze an ein Wunder, dass der Mann die ihm beigebrachten Verletzungen überlebte.

Wie sich herausstellte, hatte der ehemalige Schwiegervater des Mannes den Anschlag bestellt - aus gekränkter Ehre, weil dieser ein außereheliches Verhältnis mit seiner Schwägerin eingegangen war und mit ihr auch noch ein Kind gezeugt hatte. Das passte dem türkisch stämmigen Immobilienunternehmer, der die Ehe seiner Tochter arrangiert hatte, überhaupt nicht, er wollte den Ex-Schwiegersohn daher beseitigen lassen. Zu diesem Zweck suchte er nach einem Killer, den er nach längerer Suche gegen ein entsprechendes Entgelt auch fand. Nachdem der Mordanschlag gescheitert war, konnten die dafür Verantwortlichen nach langwierigen Ermittlungen ausgeforscht und festgenommen werden. Der Ex-Schwiegervater des Opfers wurde im Oktober 2019 vom Wiener Landesgericht wegen Bestimmung zum Mord, der unmittelbare Täter im vergangenen Februar wegen versuchten Mordes verurteilt. Beide fassten jeweils lebenslange Freiheitsstrafen aus, diese Urteile sind rechtskräftig.

Mitangeklagt und verurteilt wurde im Vorjahr auch der 48-Jährige, wobei dafür belastendende Angaben des Drahtziehers ausschlaggebend waren. Dieser hatte behauptet, der 48-Jährige habe den Tatplan gekannt, die Geldforderung des gedungenen Killers in Höhe von 10.000 Euro entgegengenommen, die Ausstellung einer entsprechenden Rechnung in Aussicht gestellt und diese auch bezahlt. Der 48-Jährige stritt das vor einem Schwurgericht vehement in Abrede, die Geschworenen schenkten seinen Unschuldsbeteuerungen jedoch keinen Glauben. Der Mann wurde als Beteiligungstäter schuldig erkannt und sollte dafür elf Jahre im Gefängnis verbüßen.

Dann stellte sich allerdings heraus, dass der Drahtzieher des Mordkomplotts den 48-Jährigen womöglich fälschlicherweise belastet haben dürfte. Ein Mithäftling des 58-jährigen ehemaligen Immobilienunternehmers wandte sich nämlich am 1. September 2022 in einem handschriftlichen Brief an Anwalt Marcus Januschke, einen der beiden Verteidiger des 48-Jährigen. Darin führte der Absender aus, der Drahtzieher habe ihm in der Justizanstalt Josefstadt und später während einer Busfahrt zur Justizanstalt Stein erzählt, er habe falsch gegen den 48-Jährigen ausgesagt und diesen in die Mordsache "hineingezogen", um sich zu rächen. Motiv: Der 48-Jährige soll in der Türkei im Besitz des 58-Jährigen befindliche Grundstücke verkauft haben und diesen dabei betrogen haben. "Er ist besessen von dem Rachegedanken. Mit seinen Lügen hat er das Hohe Gericht dazu gebracht, einen unschuldigen Menschen zu verurteilen", heißt es in dem Brief, der der APA vorliegt. Der Schreiber nannte darin auch einen weiteren Häftling namentlich, der ebenfalls gehört habe, dass der 58-Jährige zu Unrecht jemanden belaste. Der zweite Häftling bestätigte das im Jänner 2023 unter Wahrheitspflicht in einer Zeugeneinvernahme.

Das Wiener OLG, das sich mit dem Wiederaufnahmeantrag eingehend befasst hat, stellte fest, dass der Ex-Schwiegervater des fast getöteten Mannes den 48-Jährigen bis zum August 2021 niemals mit dieser Tat in Verbindung gebracht hatte. Mit den beiden neuen Zeugen - den früheren Mithäftlingen des 58-Jährigen - sei "nicht auszuschließen", dass sich damit die Beweislage gegen den 48-Jährigen erschüttern lasse, wie es im Beschluss heißt, mit dem die staatsanwaltschaftliche Beschwerde abgewiesen wurde: "Den Aussagen der beiden Zeugen, der einzige Belastungszeuge habe ihnen gegenüber eine falsche Belastung (...) zugegeben, weil er sich betrogen gefühlt habe, ist eine beachtenswürdige Beweisrelevanz nicht abzusprechen, sohin werde diese gemeinsam mit den anderen Beweismitteln vor einem neuen Geschworenengericht zu würdigen sein."

Die Verhandlung am 13. November ist bis 18.00 Uhr anberaumt. Leiten wird die Hauptverhandlung mit Andreas Böhm ein erfahrener, seit vielen Jahren am Grauen Haus tätiger Richter.

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