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Ein Toter in Niederösterreich

Zugsunglück in Münchendorf: Sechs Monate bedingt für Lokführer

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Beim Unglück im vergangenen Mai kam ein junger Musiker ums Leben.

Wiener Neustadt/Münchendorf. Ein Zugsführer ist am Dienstag wegen des Bahnunglücks von Münchendorf (Bezirk Mödling) mit einem Toten und mehreren Verletzen am Landesgericht Wiener Neustadt schuldig gesprochen worden. Der 53-jährige Lokführer erhielt wegen fahrlässiger Gemeingefährdung sechs Monate bedingte Haft. Der Zug war vor acht Monaten statt den vorgeschriebenen höchstens 60 mit 145 km/h unterwegs gewesen und entgleiste. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

 

Zugsunglück in Münchendorf: Sechs Monate bedingt für Lokführer
© APA/PRESSESTELLE BFK MÖDLING / LUKAS DERKITS
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"Ich träume jede Nacht, dass die Passagiere schreien", sagte der bei dem Unfall selbst schwer verletzte Ungar. Der Triebfahrzeugführer, der seit 35 Jahren seinen Beruf ausführt und zuvor noch nie einen Unfall hatte, bekannte sich vor Gericht nicht schuldig.

Der mit rund 70 Passagieren besetzte "Ventus"-Zug der Raaberbahn fuhr am 9. Mai 2022 auf dem Weg von Deutschkreutz (Bezirk Oberpullendorf) im Burgenland zum Wiener Hauptbahnhof. Bei Münchendorf wurde eine Störung angezeigt, deshalb wurde er von dem in Wien sitzenden Fahrdienstleiter vom Regelgleis auf ein Nebengleis geleitet, die Weichenumstellung wird dazu programmiert. Der Zugsführer wird bei der Raaberbahn mittels Signal darüber informiert. Der Beschuldigte meinte allerdings, dass eine Änderung telefonisch oder per schriftlichem Befehl bei einer Station angewiesen werden müsse, was der Fahrdienstleiter im Zeugenstand verneinte. Bei den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) gebe es auch ein elektronisches System, das den Lokführer in diesem Fall warnen könnte. Dieses digitale Warnsystem könne bei der Raaberbahn während der Fahrt nicht genutzt werden, betonte der Angeklagte.

Zug raste durch die Weiche

Der 53-Jährige berichtete beim Prozess, dass beim Vorsignal zwei orange Lichter angezeigt wurden, was bedeutet, dass man beim nächsten Hauptsignal anhalten muss. Als er allerdings zu diesem Hauptsignal gelangte, sei dieses von Rot auf Grün umgesprungen und somit habe der Ungar mit dem Zug wieder an Fahrt aufgenommen. Bei der Weiche in Münchendorf kam es schlussendlich zum Unglück. Der Zug raste durch die Weiche, die nur für Geschwindigkeiten von bis zu 60 km/h ausgerichtet ist, mit 145 km/h und die Garnitur entgleiste.

Einer der sechs Wagen der Doppelgarnitur stürzte in ein Feld. Einer blieb seitlich auf der Böschung neben der Zugstrecke liegen. Die übrigen vier Wagen waren aus den Gleisen gesprungen. Bei dem Unglück kam ein 25-jähriger Eisenstädter ums Leben. Der Triebwagenführer und zwei Fahrgäste aus Wien, eine Frau und ein Mann, hatten schwere Blessuren, weitere Passagiere leichte Verletzungen erlitten. Der Zugsführer war zwei Stunden unter dem Zug eingeklemmt. "Ich habe gesagt, sie sollen zuerst die Passagiere retten, nicht mich", sagte der 53-Jährige. Im Hubschrauber habe er dann das Bewusstsein verloren. Ein Bluttest ergab später, dass er nicht durch Medikamente, Drogen oder Alkohol beeinträchtigt war. "Ich kann seitdem nicht mehr Zug fahren, auch nicht als Passagier." Nach zahlreichen Operationen befindet sich der Mann immer noch im Krankenstand. Sein Anwalt Andrej Mlecka meinte, sein Mandant könne seinen "Traumberuf" nicht mehr ausüben.

Ähnlicher Vorfall ein Jahr vor dem Unglück

Ein Jahr vor dem Unglück war es auf der Strecke bereits zu einem ähnlichen Vorfall mit weitaus geringeren Folgen gekommen. Davon hatte der 53-Jährige aber nichts gewusst. "Nein, zum Unfallzeitpunkt habe ich keine Kenntnis gehabt", sagte er. Auf Vorhalt des Richters, dass er bei einer Schulung war, wo dies thematisiert wurde, meinte der Beschuldigte, dass es da nur um den Umbau der Strecke bei Münchendorf ging.

Ein Sachverständiger für den Eisenbahnbetrieb hat sich kurz nach dem Unfall die Örtlichkeit und die Stellanlage angesehen. Die ÖBB als Infrastrukturbetreiber teilte ihm mit, dass die Signalanlage drei Monate vor dem Unglück überprüft wurde. Allerdings konnte die ÖBB nicht vorlegen, wie dabei konkret vorgegangen wurde. Solche Signalisierungsfehler seien sehr gering, der Gutachter rechnet mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,01 bis 0,001 Prozent. Allerdings bezeichnete er das Sicherheitsmanagementsystem der Raaberbahn und der ÖBB als mangelhaft. Und die Unternehmen wären aufgrund des ähnlichen Vorfalls ein Jahr davor verpflichtet gewesen, dies zu untersuchen und danach Maßnahmen zu ergreifen.

Um 18.18 Uhr und 59 Sekunden war die Umleitung vorgenommen worden, um 18.19 Uhr und 7 Sekunden sei das Lichtsignal gegeben worden, dass der Zug nur noch 60 km/h fahren dürfe und um 18.20 Uhr und 2 Sekunden entgleiste der Zug. Auf die Frage des Richters, ob es Sorge gegeben habe, dass das Signal zu knapp erfolgt sein könnte, meinte der Fahrdienstleiter: "Nein." Es sei ein üblicher Vorgang und so werde recht oft vorgegangen.

Privatbeteiligten insgesamt 2.500 Euro zugesprochen

Der Richter sei deshalb in seiner Urteilsbegründung nicht davon ausgegangen, dass ein Signalfehler, wie vom Angeklagten behauptet vorgelegen habe. Es gebe andere plausible Erklärungen, warum der Lokführer mit erhöhter Geschwindigkeit in die Weiche gefahren sei: entweder habe er das Signal falsch interpretiert, es übersehen oder es missachtet. Der Strafrahmen geht bei fahrlässiger Gemeingefährdung bis zu drei Jahre. Es gab allerdings keinen Erschwerungsgrund. Mildernd wurde die Unbescholtenheit des Mannes, dass er selbst verletzt wurde und dass er den Schaden bereits teilweise wieder gut gemacht hat, gewertet. Zudem kam es bei dem Unfall zu einer "äußerst unglücklichen Verkettung von Umständen". Den Privatbeteiligten wurden insgesamt 2.500 Euro zugesprochen.

Die Gewerkschaft vida hat in einer Aussendung eine "systemrelevante Aufarbeitung des Vorfalls nach Ende des Gerichtsverfahrens" gefordert, das sei "unumgänglich", betonte Gerald Trofaier, Sprecher der Plattform Lokfahrdienst. Technische Komponenten und moderne Fahrzeuge seien das eine, gut ausgebildetes Zugpersonal das andere. "Die zunehmende Digitalisierung auf den Fahrzeugen und die unterschiedlichen Systeme sind für das Personal eine immer größer werdende Herausforderung und verursachen oft ungewollte Ablenkungen beim Fahren", sagte der vida-Gewerkschafter weiter.

Die bevorstehende europarechtliche Umsetzung der Triebfahrzeugführerrichtlinie muss Trofaier zufolge dafür genutzt werden, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Niemand würde beim Führerschein für Straßenfahrzeuge auf die Idee kommen, dass jedes Unternehmen Kraftfahrer nach eigenen Kriterien ausbilden könne. "Es gilt also, auch die Ausbildungsinhalte und Ausbildungsdauer im Eisenbahnbereich klar und einheitlich zu definieren", so der Sprecher.

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