Nach 9 Minuten endete der Horror

Das Protokoll der Nacht, die Österreich erschütterte

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Beim Terror-Anschlag von Wien kamen vier Zivilisten ums Leben. Das Protokoll.

Rund 550 Polizisten sind im Schnitt in einer normalen Nacht in Wien im Einsatz. Rund 1.000 waren es nach dem Terroranschlag mit vier Toten und mehr als 20 Verletzten am Montagabend bzw. in der Nacht auf Dienstag. Rund 150 Beamte hatten sich freiwillig in den Dienst gestellt, um zu helfen. Nicht nur für die Einsatzdisponenten in der Landesleitzentrale bedeutete die Sonderlage eine enorme Herausforderung.

 
3.000 bis 4.000 Notrufe gehen jeden Tag bei der Wiener Polizei ein, diese führen zu 1.100 bis 1.200 Einsätzen. 540 Notrufe waren es am Montag allein zwischen 20.00 und 21.00 Uhr. Aufgrund der chaotischen Situation wurden viele Polizisten auch als mögliche Terroristen von der Bevölkerung wahrgenommen und beim Notruf gemeldet. Dadurch wurden viele Beamten gebunden.
 
"Im Chaos der ersten Minuten ist es am schwersten, aber gleichzeitig am wichtigsten, den Überblick zu bewahren. Bei hunderten Notrufen, dutzenden Streifeneinheiten und sekündlich veränderten Informationen ist das natürlich ein absoluter Ausnahmezustand", erinnerte sich Notruf- und Einsatzdisponent Revierinspektor Christian H. am Wochenende gegenüber der APA. "Viele Kolleginnen und Kollegen der Funkstelle waren stundenlang unter Strom - erst um Mitternacht ist es erstmals etwas ruhiger geworden", ergänzte sein Kollege Thomas F..

 

Im Folgenden eine Auflistung ausgewählter Einträge, Zeitangabe in Stunden, Minuten und Sekunden vom 2. November 2020:

20.00.00 Der Terrorist holt eine AK-47 heraus

Ein Video zeigt den Attentäter erstmals in der Judengasse beim Friedmann-Platz. Von dort zielt er laut Polizei um genau 20 Uhr in Richtung der Jerusalem-Stiege und erschießt einen 21-Jährigen.

20.00.48 Uhr: Erster Notruf: "Mehrere Schüsse in der Seitenstettengasse 5", Anrufer wohnt in der Nähe
20.01.10 Uhr: Einsatz erhält Priorität 1
20.01.22 Uhr: Der erste Streifenwagen wird entsandt
20:01:23 Uhr: Zwei weitere Wagen werden geschickt. Der Schütze zielt kurz darauf in Richtung eines Restaurants am Ruprechtsplatz. Eine Kellnerin (24) erleidet tödliche Verletzungen.

Das Protokoll der Nacht, die Österreich erschütterte
© oe24
× Das Protokoll der Nacht, die Österreich erschütterte
20.01.23 Uhr: Meldung über Schusswechsel beim Schwedenplatz mit Schrotflinte. Der Attentäter tötet eine 44-Jährige.

Ein Überwachungsvideo zeigt, wie der Täter danach vorging. Um 20.01 Uhr biegt Kujtim F. in die Seitenstettengasse ein und tötet dort eine 44-jährige Angestellte, die gerade das Büro verlassen hat. In der Seitenstettengasse werden weitere Personen verletzt. Er läuft die Gasse vor der Synagoge auf und ab und beschließt dann, in den Rabensteig einzubiegen.

Das Terror-Netzwerk des Wien-Attentäters zeigt Verbindungen durch Europa
© bild.de
× Das Terror-Netzwerk des Wien-Attentäters zeigt Verbindungen durch Europa
 9 Minuten lang dauerte Terror-Amoklauf von Kujtim F.
20.03.21 Uhr: Der Täter wird gesichtet. Vor einem Lokal in der Seitenstettengasse kommt es zu einem ersten Schusswechsel mit zwei Beamten. 

An der Ecke Rabensteig/Franz-Josefs-Kai trifft F. auf den Betreiber (39) eines chinesischen Restaurants und feuert in seine Richtung. Der Gastronom steht vor der Eingangstür eines Imbiss-Lokals. In der Glastüre sind am Tag darauf sieben Einschusslöcher zu sehen. Unklar ist, wie viele Projektile ihn trafen. Dem 39-Jährigen gelingt noch die Flucht in Richtung U-Bahn-Station. Aufgrund der Schwere seiner Verletzungen bricht er aber kurz darauf zusammen. Für ihn kommt jede Hilfe zu spät. Er ist das letzte Todes-Opfer des Terroristen.

Terror in Wien: Polizei jagt Attentäter
© APA/ROLAND SCHLAGER
× Terror in Wien: Polizei jagt Attentäter
 
20:03:22 Uhr: Beamte finden die erste verletzte Person. 
20.04.48 Uhr: Ein Beamter wird getroffen und schwer verletzt
20:05:12 Uhr: Es liegt eine erste Täterbeschreibung vor
20.05.30 Uhr: Laut Anrufer hat der Täter eine automatische Waffe
20:07:41 Uhr: Weiterer Schusswechsel zwischen Terrorist und Polizei im Bereich Morzinplatz
20:07:59 Uhr: Der Polizeihubschrauber trifft im ersten Bezirk ein
20:08:31 Uhr: Ein Täter wird im Bereich Ruprechtskirche gesichtet
20:09:34 Uhr: WEGA-Beamte töten Attentäter bei Ruprechtskirche
 

Offenbar auf der Suche nach weiteren Opfern läuft F. über den Rasen am Franz-Josefs-Kai und trifft dort auf die Polizei, die sich ihm langsam nähert. Polizei und Schütze liefern sich eine Schießerei, bei der ein Exekutivbeamter zwar schwer verletzt wird, aber überlebt.

Der Polizei gelingt es, den Attentäter immer weiter zurückzudrängen. Bis zur Ruprechtsstiege. Zwei Beamte der Sondereinheit WEGA setzen dem Horror schließlich ein Ende. F. wird um 20.09 Uhr am Schulterblatt getroffen. Das Projektil durchschlägt den linken Lungenflügel und verletzt das Rückgrat. F. kann jetzt niemanden mehr Schaden zufügen.

Danach setzen Entschärfer einen Roboter ein, weil am Körper des Attentäters mehrere Gegenstände kleben. Schließlich kann nach dem Einsatz von Röntgen-Technik Entwarnung gegeben werden: Der Gürtel besteht aus drei mit Klebeband umwickelten leeren Cola-Dosen mit angeklebten Ringen, die militärische Gegenstände simulieren sollten.

 
20:09:42 Uhr: Meldung am Funk: "Anhaltung eines Täters" - der Attentäter ist tot
20:12:29 Uhr: Eine weitere divergierende Täterbeschreibung liegt vor - Verdacht auf mehrere Täter verhärtet sich
20:18:31 Uhr: 1. Paralleleinsatz: Jemand meldet tote Person im Stadtpark.
20:29:33 Uhr: 2. Paralleleinsatz: Meldung über verdächtige Personen auf einem Hausdach in der City
20:32:37 Uhr: Laufend melden sich Zeugen, die den bzw. die Täter gesehen haben
20:38:12 Uhr: 3. Paralleleinsatz: Jemand meldet einen Täter am Hohen Markt
20:43:28 Uhr: 4. Paralleleinsatz: Meldung über "Mann mit Gewehr" am Hof
20:43:45 Uhr: 5. Paralleleinsatz: Meldung über "Attentäter in Lokal"
20:44:07 Uhr: 6. Paralleleinsatz: Meldung über "Bewaffnete Person in Naglergasse"
20:45:33 Uhr: 7. Paralleleinsatz: Meldung über "Schüsse am Tuchlauben"
20:48:10 Uhr: 8. Paralleleinsatz: "verdächtige Gruppe im 2. Bezirk"
20:49:28 Uhr: 9. Paralleleinsatz: Meldung über "Schüsse am Graben"
20:52:36 Uhr: 10. Paralleleinsatz: Meldung über "Täter im Keller von Lokal"
20:52:56 Uhr: 11. Paralleleinsatz: Meldung über "Täter in Goldschmiedgasse"
20:53:52 Uhr: 12. Paralleleinsatz: Meldung über "Täter in Lokal"
20:57:44 Uhr: 13. Paralleleinsatz: Meldung über "Bewaffnete in einem Lokal"
21:11:59 Uhr: 14. Paralleleinsatz: Jemand meldet "Attacke durch mehrere Männer"
21:30:00 Uhr: 15. Paralleleinsatz: Jemand meldet Geiselnahme in Restaurant in Mariahilf
 

Larissa Eckhardt/APA

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