Georgische Behörden reagierten offensichtlich nicht auf Wiener Rechtshilfeersuchen.
Am Donnerstag ist am Wiener Landesgericht der Prozess gegen einen mutmaßlichen Vertreter der radikal-islamistischen tschetschenischen Terrororganisation "Emirat Kaukasus" fortgesetzt worden, der im Sommer 2012 im georgisch-russischen Grenzgebiet in eine Schießerei verwickelt gewesen sein soll. Staatsanwalt Leopold Bien war dabei in keiner beneidenswerten Position.
Von sieben zu diesem Beweisthema von der Anklage geführten georgischen Zeugen konnte kein Einziger vernommen werden. Die georgischen Behörden seien "ganz offensichtlich nicht bereit, das an sie ergangene Rechtshilfeersuchen zu erledigen", fasste der vorsitzende Richter, Andreas Böhm, die vergeblichen Bemühungen zusammen, die Zeugen - allenfalls auch per Videokonferenz - befragen zu können.
"Kein Ansatzpunkt"
Zwar hatte Georgien der Wiener Justiz vor Monaten schriftlich "volle Unterstützung" bei der Führung des Strafverfahrens gegen Magomed I. (38) versprochen. Den Worten folgten jedoch keine Taten, obwohl ein sich in Georgien aufhaltender österreichischer Kontaktbeamter wiederholt darauf gedrängt hatte. Georgien habe bisher "kein einziges Beweismittel vorgelegt, inwieweit der Angeklagte am Feuergefecht beteiligt war", sagte Böhm. Vielmehr gebe es "keinen Ansatzpunkt, dass die georgischen Behörden überhaupt wegen eines Feuergefechts ermitteln". Es existiere "kein offizielles Schreiben, dass das Feuergefecht überhaupt stattgefunden hat", stellte Böhm fest.
Laut Anklage soll Magomed I. eine 17-köpfige tschetschenische Kampftruppe angeführt haben, die über das georgische Lopota-Tal in der russischen Teilrepublik Dagestan einfallen und dort Anschläge verüben wollte. Die georgischen Sicherheitsbehörden bekamen davon Wind und lieferten sich mit den Tschetschenen eine Schießerei, bei der drei georgische Militärs und sieben mutmaßliche Terroristen ums Leben kamen. Die Staatsanwaltschaft Wien legt im Zusammenhang damit Magomed I., der 2005 von Tschetschenien nach Österreich gekommen war und der seit November 2009 als Konventionsflüchtling Asylstatus genießt, mehrfachen Mord im Rahmen einer terroristischen Vereinigung nach den Paragrafen 278 b Absatz 2 (Terroristische Vereinigung) und 278 c (Terroristische Straftaten) StGB zur Last. Außerdem soll sich Magomed I. von Österreich aus in einer höherrangigen Funktion für das "Emirat Kaukasus" betätigt haben, das einen unabhängigen islamistischen Gottesstaat im Nordkaukasus errichten möchte.
Neuerliche Ladung beantragt
Der Staatsanwalt beantragte die neuerliche Ladung der fehlenden Zeugen: "Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Rechtshilfe verweigert wird." Bei der Schießerei vom 29. August 2012 handle es sich immerhin um ein "zeitgeschichtliches Ereignis, das umfangreich dokumentiert ist", meinte Bien, wobei er auf Wikipedia, nicht näher bezeichnete "wissenschaftliche Quellen", vorgefundene Leichen und sichergestellte Waffen verwies. Nach längerer Beratung wies der Drei-Richter-Senat diesen Antrag ab. Es sei davon auszugehen, dass Georgien weiter nicht auf die Wünsche der Wiener Justiz reagieren wird, lautete die sinngemäße Begründung. "Es gibt von georgischer Seite nichts über diesen Vorfall", fasste der Vorsitzende abschließend den Stand der Dinge zusammen.
Nach Verlesungen aus dem Akt wurde das Beweisverfahren nach insgesamt dreitägiger Verhandlung - der Prozess war Anfang Juni eröffnet worden - geschlossen. Nach einer Mittagspause folgen die Schlussvorträge von Staatsanwalt und Verteidiger, das Urteil wird am späten Nachmittag erwartet.
"Maulwurf"
Die Anklage beruht im Wesentlichen auf ursprüngliche Angaben von Magomed I., in denen er sich selbst belastet und mehrerer Morde gerühmt hatte. Diese Verantwortung hielt er in der Hauptverhandlung nicht mehr aufrecht. Er behauptete nunmehr, seinerzeit für die Unabhängigkeit Tschetscheniens gekämpft zu haben. Er sei dann aber verwundet, inhaftiert und im Gefängnis gefoltert worden. Um nicht umgebracht zu werden und aus Angst um das Leben seiner Angehörigen, sei er auf ein Angebot eingegangen, zukünftig als Informant für den moskautreuen, tschetschenischen Präsidenten Ramzan Kadyrow zu arbeiten.
Vor diesem Hintergrund hätte er nach seiner Flucht nach Österreich im Asylverfahren falsche Angaben gemacht. Er sei im Sommer 2012 allein und ohne irgendeinen Auftrag nach Georgien geflogen, weil seine Schwester entführt worden sei und er ihre Freilassung bewirken wollte, so die Angaben des Angeklagten. Dort hätte er dann von einer geplanten Aktion von jungen Tschetschenen erfahren. Er habe sich der Gruppe angeschlossen - jedoch nicht aus Überzeugung und schon gar nicht als Kommandant, sondern als "Maulwurf".
Vor Erreichen des russischen Territoriums will Magomed I. eine SMS an Islam Kadyrow, den Bruder des tschetschenischen Präsidenten, geschickt und vor dem geplanten Terrorakt gewarnt haben. Daraufhin seien georgische Spezialkräfte informiert worden, die den Grenzübertritt der tschetschenischen Kämpfer verhindert hätten. Er selbst habe am Feuergefecht mit den georgischen Soldaten gar nicht teilgenommen, sondern sich vor der Schießerei abgesetzt, so die Darstellung des 38-Jährigen, der sich seit April 2016 in Wien in U-Haft befindet.