VdB im Interview zu 100 Jahre Republik

VdB: "Mussten Fehler der Ersten Republik büßen"

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Am 11. November 1918 wird die Republik ausgerufen, an die damals kaum einer glaubt.

Wien. Dieser 11. November 1918 ist ein in jeder Hinsicht historischer Tag. Der 1. Weltkrieg ist endgültig zu Ende gegangen, am Morgen hat das Deutsche Reich kapituliert. Das hat Österreich bereits hinter sich. Schon acht Tage davor, am 3. November, hat die österreichisch-ungarische Armee in der Villa ­Giusti bei Padua den Waffenstillstand unterzeichnet.

Im Wiener Parlament tritt um 10 Uhr der Staatsrat zusammen. Der Sozialdemokrat Karl Renner, der neue Kanzler, legt das Gründungsgesetz  der 1. Republik vor.

„Deutschösterreich ist eine demokratische Republik. Alle öffentlichen Gewalten werden vom Volk eingesetzt“, heißt es in Artikel 1.

Artikel 2 ist dann politisch hochbrisant: „Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik.“ Der Anschluss an Deutschland ist also bereits im Gründungsgesetz vorgesehen.

Keiner glaubt zu diesem Zeitpunkt an die Überlebensfähigkeit eines eigenständigen Österreich. Alle Abgeordneten stimmen zu – mit einer Ausnahme: der christlich­soziale Wilhelm Miklas. Er sollte sich 20 Jahre später als Bundespräsident am vehementesten gegen den Anschluss an Nazi-Deutschland stemmen.

Verzicht. Danach begibt sich eine Delegation zum Schloss Schönbrunn, wo Kaiser Karl zum Abschied gedrängt werden soll. Er unterschreibt schließlich (mit Bleistift!), auf sämtliche Regierungsgeschäfte zu verzichten. Formell abdanken wird er nie, schließlich sieht er sich von Gott eingesetzt. 

Am Abend dieses 11. November wird er mit seiner Familie Schönbrunn verlassen, bei Nacht und Nebel und durch einen Hintereingang. Im Schloss Eckartsau wird er die nächsten Monate verbringen. Die fast 650 Jahre lange Ära der Habsburger ist zu Ende. Am selben Tag stirbt auch Viktor Adler, legendärer Gründervater der Sozialdemokratie.

Der Übergang von der Monarchie zur Republik vollzieht sich also fast reibungslos. Nur am nächsten Tag, als das neue Österreich vor dem Parlament feierlich ausgerufen wird, kommt es zu Störaktionen von Kommunisten, die von einer „Räterepublik“ träumen. Schüsse fallen, bei der Massenpanik kommen zwei Menschen ums Leben.   

Diese „unblutige Revolution“ bleibt leider kein gutes Omen. Die 1. Republik wird an der Unfähigkeit der beiden großen Lager zum Miteinander scheitern, in Gewalt, Bürgerkrieg und „Anschluss“ enden. 

Lob für NS-Gedenken, Kritik für UN-Pakt, 12-Stunden-Tag

ÖSTERREICH: Wir feiern 100 Jahre 1. Republik. Der Erfolg der 2. Republik wird ja immer darauf zurückgeführt, dass die Fehler der Ersten vermieden wurden. Dass man den gemeinsamen Weg gesucht hat, statt im anderen ausschließlich den Gegner zu sehen. Sind wir drauf und dran, diese Fehler der 1. Republik zu wiederholen?

Alexander van der Bellen: Wenn man sich die Geschichte der 1. Republik ansieht, wird man sehen, dass die Gesprächs- und Kooperationsbereitschaft der großen politischen Parteien sehr rasch abgenommen hat, und das haben wir gebüßt im Laufe der Jahre. Nicht nur mit dem „Anschluss“. Nach dem 2. Weltkrieg hat sich dann ein damals sehr stark ausgeprägter Charakterzug des Österreichischen durchgesetzt. Das Offensein für Gespräche, das Im-Dialog-Bleiben. Das berühmte österreichische Wort „Beim Reden kommen d’ Leut’ z’samm“, das hat ja was. Das heißt jetzt nicht, dass man den Kompromiss suchen soll, bevor die Streitfrage überhaupt gestellt ist, aber das heißt, dass man in dem Gefühl einer starken Verbundenheit aufeinander schaut und sich gegenseitig leben lässt.

ÖSTERREICH: Ist das in Gefahr?

Van der Bellen: Im Leben einer Demokratie sind Machtwechsel normal. Aber man muss jedes Mal darauf achten, dass das Österreichische erhalten bleibt. Von selber passiert es nicht. Insofern haben Sie Recht, da müssen wir alle drauf schauen, dass es so bleibt.

ÖSTERREICH: In Österreich gibt es ja auch – ähnlich Italien – Zerfallserscheinungen in den Parteien. Auf die Grünen werden Sie nicht eingehen wollen …

Van der Bellen:  Genau. Da verweise ich nur gerne auf die Situation in Deutschland …

ÖSTERREICH: Aber auch die SPÖ …

Van der Bellen: Geben Sie doch Frau Rendi-Wagner eine ernsthafte Chance. Sie hat außerhalb der Politik Karriere gemacht und hat bewiesen, dass sie eine fähige und durchschlagskräftige Frau ist. Warten wir mal ab.

ÖSTERREICH: Wie beurteilen Sie Österreichs EU-Vorsitz?

Van der Bellen: Es gibt in der EU Konsens darüber, dass sich das Jahr 2015 nicht mehr wiederholen soll und darf. Nämlich die unkontrollierte Zuwanderung von Menschen. Da gibt es auch eine gute Initiative der Regierung, nämlich den Afrika-Gipfel im ­Dezember, wo es darum geht, mit unseren Kollegen in Afrika auf Augenhöhe zu kommunizieren und zu schauen, wo wir beide in beiderseitigem Interesse kooperieren können, die Migrationsfrage zu entschärfen. Das ist etwas Neues und kann ein positives Signal an die Welt sein.

ÖSTERREICH: Wo hat Sie die Regierung positiv überrascht?

Van der Bellen: Zum Beispiel im Bereich der Erin­nerungs­kultur, zuletzt die Entscheidung, maßgeblich für die Errichtung der Erinnerungsmauer beizutragen. Auch die Initiative, Menschen, die nach 1938 emi­grieren mussten, und ihren Nachkommen die Doppelstaatsbürgerschaft anzubieten, begrüße ich.

ÖSTERREICH: Und wo hat sie Sie negativ überrascht?

Van der Bellen: Aus meiner Ablehnung gegenüber der Nichtunterzeichnung des Migrationspakts habe ich kein Geheimnis gemacht. Auch aus meiner Einstellung gegenüber den Details zum 12-Stunden-Tag nicht. Vor allem bei der Frage, wer und wie man den Begriff der Freiwilligkeit definiert. Genau hier spießt es sich. Das kommt eben davon, wenn man sich nicht genügend Zeit lässt und zu wenig in die Gesprächsbereitschaft investiert. Das fällt ­einem später auf den Kopf.

ÖSTERREICH: Was halten Sie vom Deutsch-Gebot auf dem Schulhof?

Van der Bellen: Das macht keinen Sinn. Schon deshalb nicht, weil ich es für nicht ­exekutierbar halte. Soll jetzt hinter jedem Schüler eine Lehrerin stehen, die das kontrolliert? Natürlich ist es wichtig, dass alle Schüler im eigenen Interesse gut Deutsch lernen, aber man darf auch seine eigene Muttersprache pflegen dürfen und wenn zwei Schüler die gleiche Sprache sprechen, müssen sie das dürfen.

ÖSTERREICH: Eine außenpolitische Frage: Besteht die Möglichkeit, dass in den USA nach den Midterm-Wahlen wieder größere Normalität einkehrt? 

Van der Bellen: Die innen­politische Situation ist Sache der Amerikaner. Was die EU und Österreich betrifft, sind Fragen, wie sich außenpolitische Handlungen auswirken. Ich halte es für wenig hilfreich für das an sich traditionell gute Verhältnis zwischen den USA und Europa, wenn Präsident Trump glaubt, wegen des Zerwürfnisses mit dem Iran auch europäische Firmen bevormunden zu müssen, das halte ich für problematisch.

ÖSTERREICH: Werden Sie noch einmal kandidieren?

Van der Bellen: Meine Antwort kommt für Sie wahrscheinlich nicht ganz unerwartet. Ich fühle mich sehr wohl hier, erfahre von den Leuten sehr viel Zuspruch, das gibt einem natürlich Energie und Optimismus, den ich weiterzugeben versuche. 

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